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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

„Wo wollen wir gehen?“ fragte Frank schüchtern.

„Wo es ist, vielleicht ein wenig an’s Wasser.“

„Ich will rudern Sie hinaus in Schiff,“ sagte Frank und eilte, das Boot loszumachen.

Sie stiegen ein, Fräulein Körner setzte sich, Frank ruderte stehend. Er warf den Rock ab, um sich freier zu bewegen. Die weißen Hemdärmel, durch die seine schwarze Haut hindurch schimmerte, kleideten ihn gut. So hatte er ausgesehen, als er Aennchen rettete. Ida verfolgte bewundernd die Bewegungen der riesigen Gestalt, wie er den Griff der Ruderstange gegen Brust und Schulter stemmte, das Ende auf den Strand stieß und so mit einem Ruck das Schiffchen hinaustrieb in das hohe Wasser. Und wie er dann schnell das Ruder wieder anzog mit seinen langen weit ausgreifenden Armen und die Wellen zertheilte, die sich aufschäumend um das Fahrzeug drängten, und so sicher und groß auf den schwankenden Brettern stand, da mußte sie ihn wieder und wieder anschauen in seiner männlichen Herrlichkeit, in seiner dunkeln Pracht!

Ida Körner, ein stilles poetisches Gemüth, war in der schweren Noth des Broderwerbs nie dazu gelangt, ihre Gaben zu entwickeln, ja sich ihrer nur bewußt zu werden. Sie war die Waise eines Schullehrers und unterstützte die Mutter und vier jüngere Geschwister mit ihrem kleinen Erwerb. Sie machte keine Gedichte, aber die Poesie durchdrang ihr ganzes inneres Leben und ergoß sich über Alles, was ihr nahe kam.

„Miß!“ sagte Frank, „warum sind Sie so still?“

„Ich denke darüber nach, was Sie nun wohl für einen Beruf ergreifen werden,“ sagte sie fast verlegen, als seine Stimme sie aus ihren Träumen aufschreckte.

„Herr Hösli will, daß ich soll sein Verwalter bei diesem Gute. Aber ich muß lernen noch mehr Landwirthschaft, drüben auf die Schule. Dann ich kann wohnen in das kleine Haus von der Inspector, den Herr Hösli will schicken weg.“

„Sprechen Sie lieber Englisch, Herr Frank, das Deutsche wird Ihnen sauer. Seit wir so viel bei Aenny zusammen waren, verstehe ich Sie schon weit besser, und ich werde Ihnen Deutsch antworten.“

Frank ließ sich das nicht zweimal sagen und fuhr auf Englisch geläufiger fort: „Die Inspectors–Wohnung ist schön und groß – viel zu groß für mich, denn es könnte noch eine Frau darin wohnen – ich aber bekomme keine.“

„Und warum sollte ein braver edler Mann wie Sie keine Frau bekommen?“ fragte Ida erröthend.

„O ich bitte Sie – mit meinem schwarzen Gesicht – ein Neger!“ sagte Frank kopfschüttelnd.

„Nun, Sie haben ja schon so Vieles erfahren, was wohl keinem Ihrer Brüder zu Theil wurde, Sie machen in Allem eine Ausnahme, warum sollten Sie es nicht auch darin thun?“

„O ja, meine Brüder!“ sagte Frank, „es geht ihnen so schlecht und mir so gut. O mein armer Vater, was hat er gelitten!“

„Wer war Ihr Vater, wollen Sie mir das nicht erzählen?“ bat Ida theilnehmend.

„Es ist so traurig, ich muß immer weinen, wenn ich daran denke. – In Rio de Janeiro, der Vaterstadt unserer Frau, steht nahe am Hafen auf einer Anhöhe, von wo man den schönsten Blick über die Bay hat, eine Villa, so prächtig mit Säulen und Kuppeln geschmückt, als sei sie ein Palast des Meergottes, an den mein Volk glaubte, bevor wir Christen wurden. Alle Fremden bewundern dies Zauberschloß und neiden es dem, der es bewohnt. Dies Haus hat mein Vater erbaut. Er war ein so schöner und kluger Neger vom Stamme der Fulahs, daß man seinem Herrn oft ungeheure Summen für ihn bot; aber dieser gab ihn nicht her, er wußte wohl warum. Mein Vater hatte schon früh eine große Neigung und Begabung für das Baufach gezeigt, sein Herr hatte ihn darin ausbilden lassen und ihn zu seinem obersten Baumeister ernannt. Als nun mein Vater die Villa vollendet hatte, ganz Rio zusammenströmte, um diese Schöpfung eines Negers anzustaunen, und der Besitzer die lichten Marmorhallen, die hängenden Gärten, die weiten Gemächer durchschritt und von den hohen Balcons hinausschaute über die herrliche Bay, da glaubte mein Vater, der Augenblick sei gekommen, wo er seinen wohlverdienten Lohn fordern dürfe. Er bat den Herrn, ihm die Freiheit – nicht zu schenken – nur für die Ersparnisse seines Fleißes zu verkaufen. Ein Schlag in’s Gesicht war die Antwort. Meine Mutter, die in den Zimmern der Villa gearbeitet hatte, stand dabei. Sie trug mich damals unter ihrem Herzen; ich meine, ich müsse den Schlag, den mein Vater bekam, im Mutterleibe empfunden haben, denn ich spüre ihn heute noch, wenn ich daran denke.“

Frank hielt inne, so überwältigte ihn die Wuth. Er biß in das Holz der Ruderstange, daß es splitterte; die wilde Natur bäumte sich plötzlich in ihm auf bei der qualvollen Erinnerung, daß Ida fast erschrak. Aber ein einziges sanft vorwurfsvolles „Frank!“ brachte ihn wieder zur Besinnung, und er steuerte dem Ufer zu.

„Mein Vater wollte mit meiner Mutter auf einem englischen Dampfer entfliehen, ein Europäer wollte ihm dazu helfen, aber der grausame Herr entdeckte die Flucht und ließ ihn zur Strafe mit einem andern störrischen Neger zusammenkoppeln und Feldarbeit thun. Am folgenden Tage schnitt sich mein Vater den Hals ab!“

„Der arme unglückliche Mann!“ sagte Ida erschüttert.

„Er konnte es nicht ertragen, ein gemeiner Sclave zu bleiben.“ Frank hielt inne und kämpfte seine Aufregung hinunter, dann fuhr er fort: „Mister Pallender, der Vater unserer Frau, Gott segne ihn – er heißt in ganz Rio nur der ‚Sclavenvater‘, – hatte Mitleid mit meiner Muttter. Sie hatte in ihrem Jammer Verwünschungen gegen den unbarmherzigen Herrn ausgestoßen, und der ließ sie dafür peitschen, daß man sie straßenweit schreien hörte. – Da kaufte Herr Pallender sie dem niederträchtigen Schinder um den zehnfachen Preis ab. Ein paar Monate später kam ich zur Welt und gleich darauf Frau Hösli. O – bei Mister Pallender war der Himmel und unsere Frau war ein Engel darin. Ich und sie, wir waren immer bei einander. Ich hatte allen Unterricht mit dem kleinen Mädchen zusammen, und es saß mit mir auf meiner Mutter Schooß und hörte zu, wenn sie mir von meinem Vater erzählte. Und als meine Mutter starb, da war ich ein erwachsener Bursche und mußte ihr schwören, meine Milchschwester nie zu verlassen und ihr zu dienen und zu helfen, wo ich kann.“

Frank stieß an’s Land. Sie stiegen aus und schritten am Ufer hin.

„Sie haben den Schwur gehalten, bester Frank, und Ihre Mutter wird Sie dafür segnen noch aus dem Grabe,“ sprach Ida.

Er schaute sie traurig an. „Was ich bis jetzt gethan habe, das war leicht, Miß. Das Schwere kommt erst noch.“

„Wie so?“

„Bis jetzt habe ich Niemand so lieb gehabt als meine Herrschaft und Aenny; bei ihr zu sein, war mein einziges Glück! Aber jetzt habe ich noch Jemand lieb und möchte bei ihm sein immer – immer – noch lieber als bei der Herrschaft! Ach Miß, wenn Sie einmal fortgehen und ich muß hier bleiben, das wird viel schwerer für mich sein, als da ich zu Aenny hinaufgestiegen bin.“ Die breite Brust des Negers arbeitete heftig. Fräulein Körner überlief ein Schauer halb des Schreckens, halb der Freude. Vorurtheil und Liebe begannen den Entscheidungskampf in ihrem Herzen. Sie schwieg.

„O Miß, seien Sie nicht böse, daß ich so spreche; ich möchte ja nichts, als Ihnen dienen und für Sie arbeiten wie ein Sclave und nie wieder frei werden, nie!“

Ida ging gesenkten Hauptes neben ihm her. Er wartete auf eine Antwort von ihr.

„Sind Sie mir böse, Miß?“ fragte er ängstlich.

Sie blieb stehen und reichte ihm die Hand; er faßte sie leidenschaftlich. „Ich weiß nicht, Miß, woher ich den Muth nehme, Ihnen das Alles zu sagen. Erinnern Sie sich, wie Fräulein Duchèsne dem Kinde neulich das französische Märchen vorlas? ‚La Belle et la Bête‘ hieß es. Sie übersetzten mir’s. Es war eine schöne Königstochter, die einen Bären liebte und gar nicht mehr von ihm lassen konnte, und endlich zeigte es sich, daß das Unthier ein verzauberter Prinz war. Das – ach, liebe Miß! – das hat mich so wunderbar ergriffen, und ich dachte, wenn ich doch der Bär wäre und Sie die Königstochter und wenn Sie mich trotz der rauhen schwarzen Hülle lieb haben könnten – ich meine, das müßte den Zauber brechen, der mich so häßlich macht, und ich müßte unter Ihren Liebkosungen auch ein schöner Prinz werden, der Sie belohnen könnte für Ihre Güte. Aber das sind eben nur Märchen und Träume. Das ist Alles unmöglich. Ich – ich bin ein alberner einfältiger Mensch!“

„Das sind Sie nicht, Frank – o, ich verstehe Sie, Ihre Worte haben einen tiefen Sinn. Wohl, wohl haben Sie Recht,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 211. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_211.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2019)