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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Der Knabe war schnell bei der Hand, er eilte hinab nach dem Gasthause, der Vater Louisens kam und mit ihm zwei Träger mit einem Tragsessel. Louise wurde hinabgetragen, neben ihr ging Herr Edgar, er hatte das Bild in der Hand.




13. Liebe mit Manschetten.

Der Unfall Louisens brachte das ganze Haus in neue Bewegung. Zunächst war man froh, einen Arzt unter sich zu haben, und der junge Mann, der bisher so verdrossen und schweigsam, auch von allen Anderen übersehen war, wurde nun in den Mittelpunkt des Interesses versetzt. Er untersuchte den Fuß und fand allerdings eine starke Anschwellung des Knöchels.

Caspar, der Allesversorger, hatte auch für solche Fälle Hülfe bereit. Er kam mit einem Topf Salbe, die er noch aus seinem Dienst im päpstlichen Heere als überaus heilsam für solche Fälle pries. Er war nicht wenig stolz, als der Arzt vorläufig diese Salbe annahm.

Als Louise verbunden war, bat sie, daß man sie allein lasse. Sie räthselte über die Erschütterung, welche die Erwähnung von Mariens Verlobung bei Herrn Edgar hervorgebracht; sie konnte die Lösung nicht finden. Dann suchte sie sich hineinzudenken, was die Mitbewohner jetzt über das Begegniß sprechen möchten. Aber auch dies gelang ihr nicht, und ein beglückender Schlaf befreite sie von allem Sinnen und Grübeln.

Als sie erwachte, war es noch heller Tag und sie sah zu ihrer Freude das Bild auf einer Staffelei vor sich aufgestellt. Sie ließ den Vater und Herrn Edgar rufen und in ruhigem Tone berichtete sie, daß sie natürlich keine Ahnung davon gehabt, in welchem Verhältniß Herr Edgar zu Marie von Korneck gestanden habe. Jetzt zum ersten Male hörte Louise ausdrücklich, daß der Rittmeister nur zum Schein als Bräutigam auf dem Gute zum Besuch war, damit sie ihn um so unbefangener kennen lerne. Sie bedeckte sich das Gesicht mit einem Taschentuche; der Maler aber rief: „Das ist einer ihrer tollen Streiche, aber er ist doch zu frei. Das darf kein Mädchen und am wenigsten ein Mädchen, das durch ein persönliches Gelöbniß mit einem Andern verbunden ist.“

Louise gewann Fassung und Ruhe genug, Marien zu vertheidigen, und sie konnte nicht umhin, auch des ständigen Ausdrucks der Großmutter zu erwähnen, daß Marie Neigung und Beruf zum Theaterspielen habe.

Der Maler sah Louisen ernst an und bat, daß er erzählen dürfe, wie er mit Marie bekannt geworden und welcher Art ihre Verbindung sei. Louise richtete sich auf und athmete tief. Der Vater legte ihr die Hand auf die Stirn und ersuchte den Maler, die Erzählung auf den andern Tag zu verschieben. Louise wagte nicht zu widersprechen, der Maler zog sich zurück und Louise saß allein beim Vater. Sie forschte nochmals nach, ob es in der That ganz so sei, daß der Rittmeister nur als Scheinbräutigam auf dem Gute erschienen war. Herr Merz mußte es wiederholt bestätigen.

Der Abend brach herein, Louise fieberte und der Arzt gab ihr ein beruhigendes Mittel. Vor dem Hause hörte man keinen Laut und Conrad verstopfte auch den Springbrunnen, damit man sein geschwätziges Plätschern nicht höre.

Am Morgen erwachte Louise neubelebt. Herr Edgar ließ fragen, ob er sie besuchen dürfe. Louise bejahte, und nun saß er vor ihr und dem Vater und erzählte:

„Wie Sie, Herr Merz, mir gestern Abend berichteten, haben Sie mit lebhafter Theilnahme sich den allgemeinen Angelegenheiten des Vaterlandes gewidmet, und ich kann Ihnen nur beistimmen, daß die Art, wie die ganze jugendliche Männerwelt heute in Waffen steht, etwas Barbarisches hat. Gewiß! diese Verschwendung von Lebenskraft und Besitz ist ein tiefer Widerspruch mit dem humanen Charakter unserer Zeit; aber vielleicht haben auch Sie weniger in’s Auge gefaßt, wie viele aufgeputzte vornehme Scheinexistenzen ohne gesunde feste Widerlehne sich aus diesen Verhältnissen gestalten. Ich weiß das. Ich bin ein Soldatenkind, ein früh vaterlos gewordenes. Von meinem siebenten Jahre an trug ich die Uniform; meine Mutter lebte kümmerlich und sie entschloß sich sogar in Dienst zu treten. Sie war vierzehn Jahre lang Wirtschafterin auf einem Landgute, nicht weit von Ihrer Heimath. Ich machte ihr vielen Kummer, denn statt, wie es sich gehörte, zum Officier befördert zu werden, verließ ich mit dem Scheine großer Undankbarkeit den Soldatenstand und folgte meiner Neigung zur Kunst. Sie mögen sich den Kummer meiner guten Mutter denken, und in ihre Klagen, daß ich ein Vagabund werde, mischte sich oft und oft der seltsame Ausdruck ihres Schmerzes, daß ich nie wie der Vater einen Orden auf der Brust tragen werde. Sie sehen, daß es nicht Eitelkeit ist, sondern eine Befriedigung des seltsamen Mutterwunsches, daß ich den Orden trage. Doch, entschuldigen Sie, ich erzähle verwirrt. – Ich habe vielerlei Lebensnoth durchgemacht; aber das ist ein Glück unserer Natur, daß wir Schmerz und Noth in nachfolgender Zeit vergessen. Mir ist jetzt, als hätte das ein Anderer erlebt, nicht ich selbst. Es sind jetzt vier Jahre her, da ward mir ein großes Glück zu Theil. Ein deutscher Kaufmann, der sich in Schottland ein bedeutendes Vermögen erworben hatte und sich nun ein schönes Landhaus in der Nähe von Bieberich erbaute, wollte den großen Gesellschaftssaal mit Bildern aus Schottland schmücken. Er hatte bei einem Kunsthändler ein von mir zum Kaufe ausgestelltes Landschaftsbild gesehen, und nun erhielt ich den überraschenden Auftrag, den Gesellschaftssaal zu schmücken. Ich empfing Reisegeld, um einen ganzen Sommer mich in Schottland umherzutreiben. Ich kam zurück und nahm mit frischer Lust meine Arbeit auf. Eine ältere Schwester von der Frau des reichen Kaufherrn, eine Dame des edelsten und durchgeklärtesten Wesens, nahm mich in ihren besonderen Schutz, und ich kann sagen, nächst meiner Mutter hat mir im Leben nie irgend ein Mensch das Herz so tief erquickt, wie Frau Agathe. Was kann es Schöneres geben? Ich hatte wohlwollende, mich freundlich hegende und fördernde Menschen; ich konnte meine Mutter bestimmen, daß sie ihren Dienst aufgab und zu einer Schwester zog, die an den Förster in N. verheiratet ist, und dazu hatte ich große Wandflächen und das beste Licht, um meine Bilder zu malen.

In mir sang und jubelte es beständig. Da siedelte sich im Hochsommer eine Freundin meiner Gönnerin in Bieberich an und bei ihr war Fräulein Marie von Korneck. Sie kamen öfter zu uns in’s Haus; die alte Dame hatte keinen Sinn für Malerei und war stolz und ehrlich genug, ihn nicht zu heucheln. Marie dagegen verfolgte meine Arbeiten mit großer Theilnahme.

So saß ich einst, es war in der Dämmerung, im Garten und träumte so hinein in die Zukunft und in die weite schöne Landschaft. Da hörte ich, wie meine Gönnerin, die mit ihrer Schwester lustwandelte, sagte: ‚Ja, wenn ich mir eine Frau für Edgar wünschen könnte – es wäre Marie Korneck.‘ Mich erschütterte es. Auch ich hatte tiefes Wohlgefallen an dem allezeit frischen Naturell Mariens gefunden, aber sie zu erringen, sie mein zu nennen, war mir nie in den Sinn gekommen. Ich gestehe ganz offen, ich habe eine tiefe Furcht vor der Armuth; ich habe sie kennen gelernt in ihren bittersten Folgen. Oft in stillen Stunden, wenn ich an die Zukunft dachte, sagte ich mir: du darfst dir nie eine Häuslichkeit gründen, die auf einen fraglichen Erwerb gestellt ist. Ich wies jede Anmuthung zurück, und so war ich dreißig Jahre alt geworden und immer mehr befestigte sich in mir der Vorsatz, auf Familienglück zu verzichten, wenn ich es nicht auf eine gesicherte Existenz bauen könnte. Man mag dieses philisterhaft finden – zaghaft – muthlos …“

Herr Merz schüttelte den Kopf verneinend und Edgar fuhr fort: „Ich machte mir selbst oft Vorwürfe wie diese und mit noch strengeren Ausdrücken; aber meine Entsagung auf Liebesglück und Familienglück stellte sich auf die vielbedachte Erwägung: ich war aus der gewöhnlichen bürgerlichen Ordnung, aus dem Streben nach bloßer Versorgung ausgetreten, – ich war meiner Neigung gefolgt in meinem Berufe und war dafür entschlossen, jede andere Neigung nach häuslicher Seßhaftigkeit zu unterdrücken. Ich sagte mir, daß ich das Opfer schuldig sei, und ich sah so viele meiner Berufsgenossen verkommen, weil sie nicht mehr den Eingebungen ihres Genius folgen durften, sondern für Frau und Kind gut verkäufliche Arbeiten ausführen mußten. Ich hatte einen Freund, der auf jedem Bilde, mochte es passen oder nicht, zwei Mädchen anbrachte, ein blondes und ein braunes; das eine wo möglich in Sammet, das andere in der Regel in Seide – das sind Bilder, die sich gut verkaufen, aber sie verunstalten die reine Kunst. So war ich also entschlossen, für mich allein und, so weit es möglich war, für meine Mutter mein Leben frei in meiner Kunst zu erhalten. Eine Familie mit mir in diese Fraglichkeit hineinzuziehen, dazu hielt ich mich nicht für berechtigt.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 290. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_290.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2019)