Seite:Die Gartenlaube (1870) 302.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)


Berliner Erinnerungen.
Von Eduard Devrient.

1. Spontini.

(Fortsetzung.

So kam die erste Aufführung heran, am 14. Mai 1821, und machte einen mächtigen Eindruck. Die Großartigkeit des Zuschnittes im ganzen Werke, die Macht der musikalischen Gedanken, die declamatorische Schönheit und Gewalt in der vorzüglichsten Verlebendigung: Statira durch die majestätische Frau Milder, Olympia, Cassander, Antigonus durch die energischen Talente der Frau Schulz, der Herren Bader und Blume, die großen Ensemblestücke in nie erlebter Zahl von Chor- und Orchesterkräften, die glänzenden Ballets, der Decorations- und Costümpomp, alles das versetzte das Berliner Publicum in einen wahren Taumel von großartigen Eindrücken.

Mit dieser oft wiederholten Aufführung der Olympia hatte Spontini den Gipfel der Bewunderung und des Beifalls erreicht, welche Berlin ihm gewähren sollte. Seine Gegner traten für einige Zeit in den Hintergrund und die Partei der enragirten Verehrer riß die allgemeine Meinung mit sich fort. Daß seine Productionskraft noch leistungsfähig, auch dafür fand Spontini Gelegenheit Zeugniß abzulegen. Der Besuch der ältesten Tochter des Königs mit ihrem jungen Gemahl, dem Großfürsten Nicolaus, wurde Anlaß zu einem glänzenden Hoffeste, bei welchem die Darstellung des englischen Gedichtes „Lalla Rookh“ in lebenden Bildern von Seiten des Hofes den wichtigsten Platz einnahm. In glänzender indischer Tracht zog der Hof durch die Bildergalerie des Schlosses – auf prächtigem Palankin die schöne zarte Großfürstin, das Costüm mit Diamanten besät – nach dem weißen Saale und nahm vor der im Hintergrunde für die lebenden Bilder errichteten Bühne Platz.

Spontini hatte in merkwürdig kurz gemessener Zeit die Festmusik und die Begleitung der Bilder, zum Theil in Liedern und Chören, welche der Herzog Karl von Mecklenburg, der Schwager des Königs, gedichtet, componirt. Dieses Fest wurde der Anlaß zur Composition der Oper „Nurmahal, oder das Rosenfest von Cachemir“, welche, nach Angabe des Herzogs, von Herklotz gedichtet wurde. Schon am 22. Mai 1822 ging sie, zur Feier der Vermählung der Prinzessin Alexandrine mit dem Erbgroßherzoge von Mecklenburg-Schwerin, in Scene.

Die Pracht der Ausstattung, der Reiz der Balletmusik, in welcher, nach dem Urtheile aller Parteien, Spontini’s Compositionstalent excellirte – die Präcision und Energie der Aufführung ließen im ersten Eindruck übersehen, daß der dramatische Gehalt der Oper sehr schwach war und daß der sinnliche Zauber dieser Balletoper ihr ganzer Werth sei. Mit diesem Werke trat offenbar der Wendepunkt in Spontini’s Productionskraft ein, die, weil sie innerlich an Gehalt verlor, sich immer mehr auf Berechnung äußerer Effecte und auf blendende Ausstattung stützte. Der selbstständige und bahnbrechende Geist, welcher sich in der Vestalin angekündigt, in Ferdinand Cortez und Olympia in voller Eigenthümlichkeit und Größe seiner leidenschaftlichen Gewalt ausgesprochen hatte, dieser Geist wich von Spontini und machte einer kleinlichen Effectjagd Platz, einem Hange, durch sinnlichen Reiz, Nervenerschütterung und blendende Pracht dem Geschmack des Hofes und des großen Publicums zu schmeicheln.

Spontini hatte, seinem Anstellungsstatut gemäß, die Verpflichtung, alle zwei Jahre eine große Oper, oder in jedem Jahre eine kleine zu componiren, wozu ihm die General-Intendanz die Texte liefern sollte. Diese wunderliche Verpflichtung, nur geeignet, stete Unzufriedenheit zwischen den Verpflichteten zu erhalten, führte natürlich nicht zum Zweck. Die Schwierigkeit, gute Operngedichte zu erlangen, ist bekannt genug; begreiflich war es, daß Spontini alle, die ihm Graf Brühl bieten konnte, als untauglich zurückwies. Ein Gedicht von Joni, das Spontini noch von Paris mitgebracht hatte, um es in Berlin zu componiren, und das er schon zum Gegenstand verschiedener feierlicher Besprechungen gemacht hatte, kam um so weniger in Angriff, als der Auftrag zu einer neuen Vermählungsoper in Aussicht stand, für welche der Gegenstand des Joni’schen Gedichtes, die grausige Sage von den Danaiden, nicht geeignet war. Es wurde Hülfe in Paris gesucht.

Die illustrirten Prachtausgaben der solennen Opern-Aufführungen in Versailles, bis auf Lully zurück, wurden durchforscht, der Dichter Théaulon nach Berlin berufen, um aus diesen älteren Opern und neuen Motiven für Ballet- und Decorationspomp eine Zauberoper zusammenzuleimen, die dann, von Herklotz übersetzt, unter dem Titel „Alzidor“ am 23. Mai 1825 zur Feier der Vermählung der jüngsten königlichen Prinzessin zu dienen hatte.

Noch mehr als in Nurmahal war in dieser Oper das dramatische Moment versäumt, Ballet und überraschende Schaustellungen nahmen allen Raum ein. Diese Arbeit war eine deutliche Bankerotterklärung des berühmten dramatischen Componisten. Obenein hatte seine Erfindungskraft nicht mehr ausgereicht, um die Partitur zu füllen; und er hatte zu Einschaltungen aus seinen früheren italienischen Jugendcompositionen, komischen Opern, Zuflucht nehmen müssen, denen er durch unerhörte Orchester- und sonstige Toneffecte großen Styl zu geben versuchte. Zum Introductionschore wurde auf sechs Amboßen Alzidor’s Schwert geschmiedet, in einem Zaubergarten, in dem statt der Früchte Glocken an den Büschen hingen, wurde bei gewissen Stellen von mehr als hundert Glocken, Glöckchen und Schellen ein betäubendes Geräusch gemacht. Diese Dinge trieben manchen Zuhörer vorzeitig aus dem Theater; der alte Zelter, dem das auch geschah, traf beim Hinausgehen den vorüberziehenden großen Zapfenstreich und rief gegen seinen Begleiter aus: „ah, welch eine sanfte Musik!“ Alzidor erhielt den Spottnamen „Allzudoll“, und dabei war diese Oper das Resultat jahrelanger, peinvollster Nachtarbeiten.

Spontini’s zunehmende Langsamkeit im Arbeiten wurde ihm immer hinderlicher. Er hatte die Gewohnheit, am Clavier zu componiren und die musikalischen Gedanken mühsam auf den Tasten, in endlosen Versuchen, zu finden. Dazu war er, bei einer sehr unvollkommenen italienischen Schule, in allem Erlernbaren der Theorie und in der Fertigkeit des Schreibens weit hinter seiner Erfindungskraft zurückgeblieben. Er malte sehr lange an den runden Köpfen seiner Noten, während andere Musiker die Köpfe nur durch einen breiten Druck der Feder herstellen, verrieth auch selbst, daß er es thue, um Zeit zu haben, sich recht genau auf die nächste Note zu besinnen. Darum ließ er sich auch vielfach beim Instrumentiren helfen. Der junge Componist Telle, der gewesene Capellmeister Kiehnlein – den er deshalb zu sich in’s Haus nahm – die Musikdirectoren Henning und Abraham Schneider – letzterer von außerordentlicher Fertigkeit im Schreiben, der ihm von einem Musikstücke sogleich verschiedene Instrumentationen zur Auswahl machen konnte – sie Alle haben nach einander sich Spontini sehr hülfreich erwiesen.

Mit Alzidor ging der durch Nurmahal schon wankend gewordene Credit des berühmten Componisten in der Musikwelt zu Grunde, er büßte den Vorzug, Componist für Hofgelegenheiten zu sein, sehr schwer. Sein Anhang schmolz, man spottete seiner deutschen Compositionen, der Unfähigkeit seinen Verpflichtungen nachzukommen. Man fing an, ihn als fremden Eindringling zu hassen, der durch seinen selbstsüchtigen Ehrgeiz der Oper ebenso großen Nachtheil brachte, als man sich Vortheil davon versprochen hatte. Und in der That vermochte Spontini, dem nach seiner Instruction als General-Musikdirector viele Rechte und Machtvollkommenheiten zuerkannt, aber wenig Pflichten und Verantwortlichkeiten auferlegt waren, zu Gunsten seiner Opern, die er vorzugsweise les grands ouvrages nannte, das Aufkommen aller neuen, Sensation verheißenden Werke zu hindern und begonnene Studien und Proben anderer Arbeiten rücksichtslos zu kreuzen. Indessen konnte der General-Intendant Graf Brühl, der nur kurze Zeit seine selbstbeschränkte Stellung eingehalten und, theils um den Nachtheil von dem Theater abzuwenden, theils um das Heft nicht ganz aus seiner Hand zu geben, sich des Opernrepertoires wieder angenommen hatte, dabei doch 1822 die Aufführung von Weber’s „Freischütz“ und 1825 die der „Jessonda“ von Spohr durchsetzen, auch 1828 die des „Oberon“.

Spontini’s Dirigententhätigkeit, neben der bei seinen eigenen Opern, beschränkte sich auf Mozart’s „Don Juan“, Gluck’s

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 302. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_302.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)