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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)


ergreifend, „seien Sie mir herzlich gegrüßt und nehmen Sie nicht über, daß ich zu Ihnen komme wie eine wandelnde Dachtraufe …“

Juli stand sprachlos; sie war zu überrascht, als daß sie ihm zu wehren vermocht hätte, als er ihre Hand an den Mund führte und mit Küssen bedeckte. „Sie sind’s, Herr Falkner?“ stammelte sie. „Sie kommen zu mir – und zu dieser Stund’? … Ich sorg’, ich geh’ um im Traum und werde jählings aufwachen …“

„Nein, Sie träumen nicht … ich bin es und halte wirklich und leibhaft diese liebe warme Hand umfaßt! Wie freue ich mich, daß gleich Sie es sind, die mir zuerst begegnete … ich habe Ihnen so Vieles zu sagen, ich habe mich so sehr darnach gesehnt, Sie wieder zu sehn!“

Ein Händedruck verrieth ihm, daß diese Sehnsucht nicht vereinzelt gewesen, wenn auch ihre Rede aus nichts bestand, als aus Worten wirthschaftlichen Eifers. „Mein Gott,“ rief sie, „Sie tropfen ja, Sie sind bis auf die Haut naß geworden. … Kommen Sie doch herein! Das Herrenstübl ist geheizt, wegen der Passagiere, die Nachts mit dem Postwagen kommen … machen Sie sich’s bequem, Sie müssen ja durch und durch verkältet sein – kommen Sie nur herein, ich will Ihnen gleich ein Glas warmen Wein machen …“

„Lassen Sie das,“ sagte Falkner, indem er der leitenden Hand in das kleine angenehm erwärmte Nebenstübchen folgte, „ich bin nicht so verwöhnt, daß mir ein solches Regenbad gleich Schaden bringen sollte … ich habe Ihnen so viel zu sagen und darf mich nicht verweilen … es möchte nicht gut sein, wenn ich Ihrem Vater begegnete …“

Sie widersprach nicht und nickte traurig; Falkner zog sie auf einen Stuhl an seiner Seite nieder und hielt fortwährend ihre Hände in den seinigen umschlossen. „Zwei Gründe sind es hauptsächlich,“ sagte er, „die mich bestimmten, trotz Regen und Nacht noch heute den Umweg zu Ihnen zu machen. Sie wissen wohl schon, daß die Hindernisse, welche der Anlegung einer Eisenbahn entgegenstanden, heute beseitigt wurden und in kürzester Zeit mit dem Bahnbau begonnen werden soll. Die Nachricht von der Erkrankung meines Vaters nöthigt mich, morgen mit dem Frühesten eine Reise in meine Heimath anzutreten, die mich lange, vielleicht auf unbestimmte Zeit ferne hält; sollte ich gehen, ohne Sie noch einmal gesehen zu haben? Konnte ich es, ohne mindestens Abschied von Ihnen genommen zu haben, so wie es mir um’s Herz ist? … Und dann bin ich auch Ihres Vaters wegen hier. Sie sollen das heute zwischen mir und ihm Vorgefallene nicht von Andern, nicht von ihm, Sie sollen es nur von mir selber erfahren …“

„Also ist wirklich etwas vorgefallen?“ seufzte Juli. „So habe ich mich nicht umsonst geängstigt und gesorgt!“

„Leider! Ihr Vater war der einzige von allen Grundbesitzern, der beharrlich die Abtretung des nöthigen Bodens verweigerte. Der Regierungscommissär, ein wohlmeinender, humaner Beamter und mit den Verhältnissen wohl bekannt, glaubte den Grund dieser Hartnäckigkeit in dem Umstande zu finden, daß durch die Verödung der Bergstraße Ihr Vater allerdings zunächst mit Schaden bedroht erscheint; er fand es billig, hierauf Rücksicht zu nehmen, und übernahm es, der Regierung gegenüber den Ankauf des ganzen Besitzthums um einen entsprechenden Preis zu vertreten, obwohl dasselbe für die Bahn weder unumgänglich nothwendig, noch besonders dienlich ist, und nur auf Wiederverkauf erworben werden kann. Er glaubte, einem solchen Vorschlage bessere Würdigung zu verschaffen, wenn er nicht unmittelbar von ihm ausginge, und weil er wußte, daß ich bereits einige Zeit hier gelebt und sogar in Ihrem Hause gewohnt habe, übertrug er mir ihm den Vorschlag zu machen.“

„Ihnen? Das war wohl gut gemeint, aber gut gemacht ist wohl nichts damit gewesen!“

„Das war auch mein erster Gedanke!“ rief Falkner. „Ich versuchte es daher auch, Einwendungen vorzubringen, sie wurden als unzureichend erklärt und – den wahren Grund,“ fuhr er etwas zögernd fort, „konnte und durfte ich ja doch nicht sagen. … So blieb mir nichts übrig als zu gehorchen; aber es kam, wie ich gefürchtet hatte. Schon als ich ihn zu sprechen begehrte, sah er mich mit so feindseligen Blicken an, daß jede Hoffnung, hätte ich noch welche gehabt, vernichtet war; den Antrag selbst hörte er nicht einmal zu Ende … mit höhnischen Worten wies er denselben, als von mir ausgehend, zurück … weil ich ihm gegenüber einmal geäußert, daß ich Lust hätte, ein Gut zu erwerben, legte er mir die Absicht unter, das seinige, das ich unter der Hand ausgekundschaftet, um einen billigen Preis zu erschleichen. … Ich habe Ihrem Vater jederzeit viel zu gut gehalten, Julie, denn es ist Ihr Vater; aber es giebt Dinge, die ein Mann von Niemand ruhig hinnehmen kann, ohne sich selbst zu entehren … der Vorwurf versteckter Habsucht und Treulosigkeit empörte mich: trotz des gefaßten Vorsatzes, meine Ruhe zu bewahren, versicherte ich ihn in gereiztem Tone, er habe einen Ehrenmann vor sich, und als er mit einem zweifelhaften Worte erwiderte, wandte ich ihm den Rücken und rief ihm zu: vor mir und meiner Vermittelung solle er Ruhe haben, aber es gebe noch andre Mittel und Leute, die solchen dummen Bauerntrotz zu brechen wüßten …“

„O weh,“ seufzte Juli, „das ist noch schlimmer, als ich gedacht – das vergißt er Ihnen niemals!“

„Das fürchte auch ich,“ fuhr Falkner eifrig fort, „und eben darum drängte es mich, Ihnen Alles selbst sagen zu können – Sie kennen mich! Sie wissen, wie fern es mir liegt, Ihren Vater kränken zu wollen; daß ich im Gegentheil nichts sehnlicher wünschte, als mir seine Zuneigung zu erwerben! Sie wissen – nein, Sie wissen es noch nicht!“ unterbrach er sich selbst, „aber Sie sollen es jetzt erfahren, daß der Augenblick, in welchem ich Sie wiedersah, für mein ganzes Leben entscheidend gewesen ist! Das Bild des hübschen Kindes von der Fraueninsel, das mich mit den großen, thränenschimmernden Augen so erschrocken und doch so wunderbar eigen anstarrte, während ich mit dem wüthenden Hunde rang, ist mir nie aus der Seele gewichen aber als ich Sie wiederfand, erkannte ich selbst erst, wie tief, wie unauslöschlich tief es sich mir eingeprägt hatte! – Ich liebe Sie, Julie: seit ich hierher kam, habe ich mich in den schönsten Hoffnungen und Träumen gewiegt! Ich sah schon das Haus, das ich mir zu gründen gedachte, in Wirklichkeit vor mir; ich sah Sie schon im Geiste in all’ Ihrer Lieblichkeit schalten und walten in diesem meinem Hause, ich sah Sie an meiner Seite als die reizende Frau des Hauses, als meine theure innig geliebte Frau. … Und jetzt, wohin sind all’ die schönen Träume verflogen! Was ist aus all’ meinen Hoffnungen geworden …“

Er hielte inne, aber Juli erwiderte nichts; sie gedachte des Apfels mit dem Wurm, den ihr der Herbst so bedeutsam zugeworfen, und Thränen erstickten ihr die Stimme.

„Sie antworten mir nicht? Sie weinen?“ begann er wieder und drängte sich näher an sie. „Reden Sie, Juli; geben Sie mir auf die Eine Frage Bescheid. … Wenn es nun nicht wäre, wie es leider geworden, wenn ich hoffen dürfte, Ihrem Vater nicht zuwider zu sein … was würden Sie sagen, wenn ich zu ihm hingehen wollte, mir Ihre Hand von ihm zu erbitten?“

„Ich bitt’ Ihnen, Herr Falkner,“ sagte Juli leise fortweinend, „reden Sie mir nit solche Sachen vor, ich bin ohnedem schon unglücklich genug …“

„Weiche Sie mir nicht aus,“ rief er zärtlich, „wenn ich Sie fragte, ob Sie mich lieben können und wollen – was würden Sie sagen?“

„… Ich bin viel zu gering für Sie, für so einen gescheidten Mann! Das Bissel, was ich im Kloster hab’ lernen können, bedeutet ja nichts … ich bin ja doch nur ein Bauernmädel!“

„O Juli,“ rief er entzückt, „wenn Du wüßtest, wenn Du ahntest, wie gerade Deine bescheidene Kindlichkeit, Deine durch nichts verbildete Einfachheit mich an Dich zieht und mit jedem Worte mich unlösbarer gefesselt hält … Du bist das Weib meines Lebens, wie ich es mir geträumt. … O rede, was wirst Du auf meine Frage sagen?“

Sie sah ihm durch Thränen in’s Auge und schüttelte dann schmerzlich den Kopf. „Es kann ja doch nit sein …“ sagte sie mit einem schmerzlichen Seufzer.

„O, es soll sein! Es soll werden!“ jubelte er. „Jetzt, da Du nicht Nein gesagt, muß es werden! Was es auch kosten möge, was für Hindernisse auch zu bewältigen sein mögen, ich lasse Dich nicht mehr, ich ruhe nicht, bis Du die Meine geworden …“

Er wollte die nicht mehr Widerstrebende an seine Brust ziehen – da fuhr ein kräftiger Arm zwischen die Beiden, der den jungen Mann im Nacken packte und emporriß. Es war der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 386. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_386.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)