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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

unter den langen Wimpern her einige beobachtende Blicke auf die harrende Gruppe geworfen. Der fremde Herr sah recht mager, schmächtig und grämlich aus; er hatte auch ein Gesicht voll Runzeln, aber sonst ganz vornehm, fein und anziehend. Die Dame neben ihm war groß, von der Größe des Mannes schien sie zu sein; sie hatte auffallend schöne Züge, einen bräunlichen Teint ohne viel Farbe und dunkles Haar, über dem sie einen einfachen Strohhut mit violettem Bande trug; über einem violetten Kleide trug sie einen bis an’s Knie reichenden Ueberwurf von leichtem schwarzem Zeuge.

Als Annette gelandet war, reichte der Pfarrer ihr die Hand und sagte mit freundlichem Kopfnicken: „Wenn man die Annette braucht, ist sie sicher auch da; darauf hab’ ich gerechnet, als ich diese Herrschaften hier den Richtweg hierher führte, und sieh, da bist Du, uns überzusetzen, kleine Schwalbe.“

Die Fremden stiegen nun in den Kahn, Beide ohne von dem jungen Mädchen Notiz zu nehmen; der Pfarrer folgte ihnen und nahm Annetten die Ruder ab; er schien vortrefflich zu verstehen, wie man damit umgeht. Annette nahm das Steuer und nach einer Minute waren sie an der Terrassentreppe gelandet.

Als sie Alle oben angekommen waren, nur Annette noch im Kahn, um die Ketten zu befestigen, begannen die Fremden französisch miteinander zu reden. Der Pfarrer rief dem jungen Mädchen hinab: „Ist der Graf daheim?“

„Ich glaube nicht,“ sagte Annette, „er ist mit dem Förster in den Wald gegangen, und wird noch nicht zurückgekehrt sein.“

„Dann,“ sagte der Pfarrer, „mußt Du uns noch einen Gefallen thun und Deine Mutter zu uns herabrufen – willst Du?“

„Gewiß, Herr Pfarrer,“ versetzte Annette und eilte unter den Kastanien dahin, der kleinen Spitzbogenthür zu, die in ihren Thurm führte.

„Also das ist Schloß Maurach und jetzt Besitzthum des Grafen Ulrich von Maurach, der, wie Sie sagen, ein so wildes Leben geführt haben soll, Herr Pfarrer?“ sagte, als Annette verschwunden, der fremde Herr in deutscher Sprache, aber mit stark französischem Accent.

„Seit drei Monaten Besitzthum des Grafen Ulrich,“ versetzte der Pfarrer, „und ich denke, daß viel Muth und Anstrengung dazu gehörte, es ihm aus den Händen zu nehmen!“

Der fremde Herr sah seufzend zu dem hohen, unter dem Reflex der durch die Kastanienwipfel scheinenden Abendsonne grünlich aufleuchtenden Steinbau auf; die junge Dame sagte: „Dafür würde der Preis Muth und Anstrengung lohnen.“

„Allerdings,“ entgegnete der Pfarrer: „das Schloß ist groß und schön, es liegt in der freundlichsten Gegend, wie Sie sehen, und die Wälder und Kohlenzechen, welche dazu gehören, geben allein schon eine Rente, wie wenig Güter hier in der Gegend sie nur im Ganzen abwerfen! Wer unsere schönen Ackerfluren und fruchtbaren Wiesen und die guten Gartenländereien rings um die Dörfer erblickt und dabei denkt, dies sei eine recht begünstigte Gegend, der ahnt noch gar nicht, wo ihr Reichthum steckt – tief, tief unter dem Boden da liegen die mächtigen, unerschöpflichen Kohlenflötze, und da bergen sich noch Millionen über Millionen, welche einst unsere Enkelkinder heben werden, wenn sie je so klug werden, wie es heute die Engländer sind, die eine große Eisen-Industrie auf ihre Kohlen gegründet haben. Sie verhütten das Eisen nicht mit Holzkohlen, wie es hier zu Lande noch geschieht, sondern mit Steinkohlen. Wenn wir das auch einmal gelernt haben – denn Erze haben wir ebenfalls genug – dann werden wir Alle hier zu Leuten, die so gut wie einen Schatz von baarem Gelde im Keller liegen haben und ihn nur heraufzuholen brauchen. Und dazu ist denn freilich heute mehr Aussicht, als es früher war, unter der alten Regierung, bei der man in keinem Dinge weiter kam, und wo es den Herrschaften in Münster lieber war, wenn sich eine neue Wallfahrt aufthat, als eine neue Nahrungsquelle für das arme Volk. Bei der jetzigen Franzosen-Regierung, man mag wider sie sagen, was man will, ist das schon anders; sie weiß die Kräfte zu wecken, sie stürmt die Trägen auf, und es geht dabei vorwärts!“

Die junge Dame hatte, während der Pfarrer so sprach, zerstreut umhergeblickt; der alte Herr aber einen offenbar sehr erstaunten Blick auf den Pfarrer gerichtet … von einem Pfarrer mußte eine solche Sprache etwas haben, was ihn überraschte; vielleicht nicht sehr angenehm; doch schwieg er. Und da kam ja auch schon Frau Wehrangel unter den Bäumen daher geschritten. Es war eine Frau, die zwischen den Vierzig und Fünfzig stand; eine recht ansehnliche und selbstbewußt auftretende Dame mit einem schönen Gesicht, recht fein weiß und roth und blondem Teint; sie mußte in ihrer Jugend sehr schön gewesen sein … ihre Tochter, die Thurmschwalbe, glich ihr gar nicht.

Annette war mit ihr herabgekommen, aber sie blieb beobachtend zurück. Sie sah, wie der Pfarrer die Fremden ihrer Mutter vorstellte, und wie sie alle Vier dann sich auf die Steinbank niedersetzten, welche an der Balustrade über dem Graben entlang lief. Da geriethen sie sehr bald in ein lebhaftes halblaut geführtes Gespräch, so bewegt, so eifrig, als ob es sich darum handele, irgend ein Complot zu schmieden – Annette sah, daß man jedenfalls ihrer dabei nicht bedürfe und an sie nicht denke, und die Thurmschwalbe benutzte den Augenblick, um auf und davon in’s Weite zu flattern.




2.

Sie schlüpfte ungesehen um die Ecke des Thurmes, am Fuße des Schloßflügels her, der sich nach der andern Seite hin erstreckte, und betrat eine schmale Laufbrücke, welche hier über den Graben in den jenseits liegenden großen Gemüsegarten führte. Der Garten war mit einer hohen Mauer ringsum umgeben; aber für das junge Mädchen war die Mauer kein Hinderniß; trotz ihres Namens hatte sie zwar keine Flügel, um hinüberzukommen, dafür aber hatte die Mauer eine starke Bresche, vor der ein Schutthaufen lag … man brauchte nur hinaufzuklettern, in den Mauerbruch zu treten, jenseits einen kleinen Sprung zu wagen und man stand in einem Baumgarten, der sich bis an’s Dorf erstreckte. Unter den Obstbäumen grasten Kühe. Annette warf im Vorübereilen mit einem lachenden Scherz dem barfußen kleinen Hüter, der an ihrem Wege saß und in den Erdlöchern nach Grillen bohrte, eine Hand voll eben abgestreifter Blätter an den Kopf und dann eilte sie weiter; bald war sie schon auf demselben Wege, den der Pfarrer mit seinen Fremden benutzt hatte, und so kam sie an das weiße Gitterthürchen, das in den Garten der Pfarrei führte.

In dem Garten hörte sie zwei Männerstimmen in lebhaftem Gespräche; eine sanfte, helle junge Stimme und eine alte belegte, die wie ein abgespieltes Instrument etwas Heiseres, Abgenutztes hatte; als Annette in einen Laubgang trat, der an der Seite des Gartens langhin und breit bis zu dem alten, aber freundlichen von Weinreben umzogenen Pfarrhause lief, sah sie im Hintergrunde an einem weißangestrichenen Tische die beiden lautredenden Männer sitzen. Der Tracht nach waren Beide Geistliche – der ältere, mit dem gelben kleinen Kopfe und einem Mardergesichte, rauchte aus einer holländischen Thonpfeife und hatte einen Bierkrug vor sich stehen – der jüngere lehnte sich mit auf der Brust verschränkten Armen in seinem Gartenstuhl hintenüber, und schien lebhaft gegen etwas, was der Andere behauptete, anzukämpfen – ein offenes Buch lag vor ihm und die Sonne, die in einzelnen Strahlen durch das Grün der Laubwand brach, lag hell auf den Blättern, auf die der junge Mann zu deuten schien; der andere blies lächelnd in denselben verklärenden Sonnenschein seine blauen Rauchwolken, die sich darin in stillem Spiel ringelten und kräuselten, und indem er mit dem Finger darauf deutete, sagte er:

„Der Sonnenschein, das Licht liegt ebenso gut auf dem blauen Dunst da wie auf Eurer Bibelstelle, Confrater, seht nur hin … aber da kommt eben unsere Thurmschwalbe herangeschwebt – just der rechte Vogel, Euch die Mucken wegzufangen; guten Abend, Schwälbchen, wie geht’s Euch? Euer Freund, der Confrater da, hat den Kopf voll Mucken; schwärmt deshalb ein wenig um ihn herum, und ich wette, ehe viel Zeit vergeht, sind sie alle bis auf die letzte fortgefangen.“

Er lachte ein wenig cynisch, ein wenig spöttisch; dann trank er und sah die beiden jungen Leute über den Rand des Glases mit boshaft lächelnden Blicken an.

Der junge Geistliche war aufgesprungen, um Annette einen Gartenstuhl zu holen; dabei war er sehr roth geworden; es lag eine gewisse linkische Schüchternheit in seinem Wesen, als er Annette den Stuhl bot, aber dies machte die schlanke Gestalt im abgetragenen schwarzen Rock, mit den edeln, beinahe weiblich feinen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 418. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_418.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)