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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

unbeugsame Römer Cato, bis zum letzten Athemzuge seinem Glauben und seiner Ueberzeugung treu, in fremdem Lande, fern vom schönen Vaterlande, die lebensmüden Augen schloß.

Es war Armand Barbès, dem viele aus Frankreich herübergekommene Republikaner und eine beträchtliche Anzahl der Haag’schen Bevölkerung die letzte Ehre erwiesen.

Im Frühjahr 1830 kam ein junger Mann zu Etienne Arago, der damals Director des Vaudeville war; derselbe war aus dem südlichen Frankreich gekommen und brachte einen Empfehlungsbrief eines Freundes an Arago mit, in welchem der letztere aufgefordert wurde, den Ueberbringer ebenso zu empfangen, wie den Schreiber des Briefes selbst.

„Wohlan mein Herr!“ sagte Arago. „Die Freunde meiner Freunde sind auch die meinigen. Sie kommen wohl nach Paris, um Paris und ohne Zweifel hauptsächlich unsere Theater zu sehen? Sie wünschen Zutritt in’s Vaudeville? ich werde dafür sorgen, daß Ihr Name noch diesen Abend in die Liste derer eingetragen wird, welche jederzeit freien Eintritt haben.“

„Bürger!“ sagte der junge Mann mit der unnachahmlichen Grazie des südlichen Accents, „ich bin nicht nach Paris gekommen, um Paris zu sehen. Ich bin jung; aber mein Name, mein Vermögen, mein Leben, das ist’s, was ich Ihnen bringe, und ich möchte dieses der Republik weihen!“

Er hat dieses Versprechen gehalten; der Preis war ein hoher: beinahe siebenzehn Jahre seines Lebens brachte er im Gefängnisse, sechszehn in der freiwilligen Verbannung zu!

Armand Barbès war auf der Insel Guadeloupe am 18. September 1809 geboren. Sein Vater war ein katholischer Geistlicher gewesen, hatte aber während der großen Revolution die Mönchskutte mit dem Secirmesser vertauscht, studirte Medicin, ging dann nach Guadeloupe, wo er sich durch seine ausgezeichnete Praxis ein bedeutendes Vermögen erwarb. Eine reizende Creolin, die er in einer schweren Krankheit behandelt, reichte ihm die Hand; so kehrte er im Beginn der zwanziger Jahre nach Frankreich zurück und kaufte sich ein kleines Gut, Fourtou, wo er der Erziehung seiner Kinder lebte.

Von diesen ging Armand nach Paris, um die Rechte zu studiren und schon im Jahre 1837 sehen wir ihn als Mitglied der geheimen Gesellschaft der Jahreszeiten und mit seinem Freund Bernard, der am 28. Juni mit gebrochener, von Thränen erstickter Stimme das letzte „Adieu, Barbès!“ ihm in’s Grab nachrief, stand er bald an der Spitze des geheimen Bundes, in welchem noch die unverfälschte Tradition der Principien von 1789 und 1793 fortlebte, dem die Republik als Ziel und höchstes Ideal vorschwebte, und der in der Erreichung dieses Zieles vor keinem Mittel zurückschrecken zu dürfen glaubte. Dem Erbtheil der romanischen Race gemäß, jener unerbittlichen, schnurgeraden, vor keinen Folgen zurückweichenden Logik, zog man auch hier die letzten Consequenzen der Revolution und ihrer Extravaganzen, und als Ideal schwebte hier der unglückliche Cajus Gracchus der französischen Revolution, Baboeuf, vor, jener überzeugungstreue und fanatische Schwärmer, der den Neubau der menschlichen Gesellschaft nur auf der Grundlage der Gütergemeinschaft für möglich und erfolgreich hielt.

Man hat es Barbès zum schwersten Vorwurf gemacht, daß er auf solche Abwege gerathen und die Realisirung der communistischen Ideen, an denen jede Republik scheitern muß, für möglich gehalten hat. Es ist wahr, er hat der Sache der Freiheit dadurch nur geschadet; aber er war kein gewöhnlicher Communist, und wenn die Propheten und Anhänger dieser Lehre sonst in erster Linie ihren Privateigennutz verfolgen und die communistischen Principien zu ihren Gunsten in Anwendung gebracht wissen wollen, so fand bei Barbès das gerade Gegentheil statt: er war bereit, sein Vermögen und seinen Besitz zu Gunsten des allgemeinen und gemeinschaftlichen Besitzes zu opfern; mit offenen Händen hat er zu Hause in Frankreich und in der Verbannung der Noth und der Armuth unter die Arme gegriffen. „Fourtou,“ sagte er, „ist mir ein lieber kleiner Winkel der Erde, auf dem ich erzogen worden bin und an den sich heute noch meine theuersten und lieblichsten Erinnerungen knüpfen. Es gehört – um mich des nichtsnutzigen Ausdrucks des gegenwärtigen Rechts zu bedienen – unserer Familie, und wir werden dasselbe so lange behalten, bis wir es nicht etwa hergeben, sondern nur der menschlichen Gesellschaft zurückerstatten!“ Barbès war Communist, sofern es sich um das Darbringen von Opfern, um das Geben, nicht um das Nehmen handelte. Ein Idealist in des Wortes edelster und bester Bedeutung hat er nie mit den wirklichen Verhältnissen des Lebens gerechnet; er setzte sich über sie hinweg, er sah die Welt vor sich, nicht wie sie war, sondern wie sie sein sollte. Dies war sein Fehler, sein Verbrechen, oder wenn man will, seine Tugend.

Die Welt kennt den Maiaufstand in Paris vom Jahre 1839. Die bleierne Ruhe der politischen Stumpfheit lag nicht nur über Frankreich, sondern über ganz Europa ausgebreitet, die letzten Zuckungen der Revolution von 1830 hatten dem regelmäßigen Pendelschlag eines sich eben nach seiner Bequemlichkeit einrichtenden bürgerlichen Lebens Platz gemacht, kein Mensch dachte an eine Revolution – als von einem der Pariser Quais aus eine bewaffnete Bande sich auf den vor der Conciergerie aufgestellten Posten warf, bald aber den heranrückenden Truppen weichen mußte. Barbès war der Anführer dieser improvisirten Revolution gewesen; er hatte die Franzosen reif für die republikanische Staatsform gehalten; ein großer Theil der Pariser Bevölkerung erfuhr aber erst am andern Morgen, was geschehen war! Verwundet und gefangen wurde er vor den Pairshof gestellt, wo er angeklagt wurde, den Lieutenant Drouineau, der factisch unter den Salven der Insurgenten überhaupt gefallen war, erschossen zu haben. Die Rede, die er vor seinen Richtern hielt, charakterisirt den Mann besser als Alles.

„Ich erhebe mich nicht,“ sagte Barbès, „um auf die Anklage zu antworten; ich werde überhaupt auf keine der an mich gestellten Fragen mehr antworten. Wäre außer mir Niemand angeklagt, so würde ich überhaupt das Wort gar nicht ergriffen haben, denn ich stehe ja nicht vor Richtern, an deren Gewissen ich appelliren kann, sondern vor Menschen, die über einen Feind und einen politischen Gegner zu Gericht sitzen. Der 12. Mai hat Ihnen eine große Menge Gefangener überantwortet und hinsichtlich dieser habe ich nur eine Pflicht zu erfüllen. So erkläre ich denn, daß keiner der Bürger, die mit mir am 12. Mai, Mittags um drei Uhr, den bewaffneten Angriff unternahmen, wußte, um was es sich eigentlich handelte. Sie waren vom Comité der ‚Gesellschaft der Jahreszeiten‘ zusammengerufen worden, ohne über das Motiv der Zusammenberufung unterrichtet zu sein; sie glaubten, daß es sich nur um eine Revue handeln würde; erst als sie sich auf dem Platze versammelt hatten, als sie mit Munition versorgt waren, – gab ich das Signal zum bewaffnete Angriff. Die gefangenen Bürger sind also nur die Opfer meiner Verführung; ich, ich allein bin der Schuldige; sie sind unschuldig! ich glaube, daß diese Erklärung Ihnen genügen wird. Noch einmal erkläre ich daher, daß ich das Haupt der Verschwörung war, daß ich den Kampf vorbereitet und begonnen habe, daß auf mir also allein die ganze Verantwortlichkeit liegt. Wenn ich ein Wort über die mir zur Last gelegte Beschuldigung, den Lieutenant Drouineau getödtet zu haben, verliere, so thue ich dies nicht, um mich Ihnen gegenüber zu vertheidigen, denn Sie sind ja meine politischen Gegner und haben mein Urtheil schon vorher gesprochen, sondern, damit mein Land es hört. Ich bin dieser That weder fähig, noch schuldig; hätte ich diesen Officier wirklich getödtet, so wäre es im offenen und ehrlichen Kampfe geschehen; ich bin kein Meuchelmörder, es ist dies eine niederträchtige Verleumdung, mit der man einen Soldaten der Demokratie vernichten will.“

Aus diesen Worten leuchtet in der That ein ungewöhnlicher Edelmuth hervor; Barbès nimmt alle Schuld auf sich, um das Leben und die Existenz seiner Genossen zu retten, und als ihn der Präsident des Gerichtshofes, Pasquier, auffordert, Rede und Antwort zu stehen, erwiderte er kalt: „Wenn der Indianer besiegt und gefangen ist, so schweigt er, und stumm bietet er seinem Feinde das Haupt zum Scalpiren hin.“ Erst nach Verlauf von vierundzwanzig Stunden fand Pasquier die richtige Antwort darauf, und in der folgenden Sitzung sagte er zu Barbès: „Sie haben sich allerdings wie ein echter Wilder benommen,“ worauf Barbès ihm die schneidenden Worte erwiderte: „Die Wilden sind nicht die, welche schweigen und sich scalpiren lassen, sondern die, welche scalpiren!“

Trotz des überwältigenden Eindruckes der Rede Barbès’, trotz der glänzenden Beredsamkeit seiner Vertheidiger, Emanuel Arago und Dupot, wurde Barbès zum Tode verurtheilt. Der Eindruck, den das Todesurtheil auf die Pariser Bevölkerung hervorbrachte, war ein geradezu erschütternder: es wiederholten sich die Scenen jener Tage, als der erste Consul den ruhmbedeckten General Moreau zum Tode verurtheilen ließ, als fünfzigtausend wie durch einen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 506. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_506.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)