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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)


bildeten, und im Gegensatz zu dem ruhigen befriedigten Todesausdruck unserer Gefallenen auf ihren verzerrten Mienen noch den wilden Haß, die brennende Leidenschaft und die blinde Wuth trugen, mit der sie im Leben gegen die Unseren ankämpften.

Ich ging weiter in der Richtung von Mars la Tour hin, wo das zehnte Armeecorps am Abend zur Unterstützung des gegen eine dreifache Uebermacht acht Stunden lang im Kampfe gestandenen dritten Corps in das Schicksal der Schlacht eingegriffen hatte in dem Momente, als ein neues intactes französisches Corps auf dem Kampfplatze zu erscheinen im Begriffe war. Eine Stellung auf der Höhe, welche die Franzosen inne hatten, und welche von den Unseren im Sturm genommen worden war, hatte viele, viele Opfer gekostet. Daß es an dieser Stelle Mann gegen Mann gegangen war, davon zeugte die reiche, schreckliche Todessaat, in der Franzosen und Preußen in letzter Gemeinschaft bunt durch einander lagen.

Mitten aus den dunkeln Infanterie-Uniformen schimmern grellrothe französische Uniformstücke hervor – und über den todten Körpern erheben sich noch Lebende, die suchenden Krankenträger anrufend. Aber diese nähern sich den Franzosen nur mit großer Vorsicht. „Warum?“ frug ich. Mehrere der Verwundeten hatten gestern noch auf sie geschossen. Nachdem sie sich versichert, daß jene keine Waffen mehr trugen, hoben sie dieselben in die Lazarethwagen. Sie fuhren weiter. „Dort drüben,“ deutete einer der Krankenträger auf eine etwa dreihundert Schritt entfernte Stelle, „dort liegen unsere Gardedragoner!“ Die beiden Regimenter hatten am gestrigen Tage und in einem entscheidenden Zeitpunkte eine glänzende Attaque in die rechte Flanke des Feindes gemacht, und diese glorreiche That mit der Hälfte ihrer Officiere und einem großen Theile der Mannschaften bezahlt. Der erste, den ich von Staub und Blut bedeckt am Boden liegen sah, war der Rittmeister v. Kleist, früher Adjutant des Prinzen Georg von Preußen, nicht weit davon lagen Prinz Reuß, Graf Wesdehlen, Graf Westarp und mehrere junge Officiere, von den Hyänen des Schlachtfeldes ihrer Werthsachen, ihrer Baarschaft bereits beraubt.

Es war mir aufgefallen, daß die Uniformen der gefallenen Officiere aufgerissen, in Unordnung waren; ich erkundigte mich bei den Krankenträgern nach der Ursache dieser auffallenden Erscheinung und erhielt auch von ihnen die bekannte, jedes Herz tief empörende Auskunft. Nicht nur Werthgegenstände reizen die Habsucht dieser Schakale, die beim Anbruch der Nacht aus den Dörfern, den Wäldern herangeschlichen kommen. Einem gefallenen Officier vom sechszehnten Infanterieregiment hatten sie sogar die Stiefel abgezogen. Nicht nur mit den Todten begnügt sich ihre scheußliche Raubsucht – nein, sogar die hülflosen Verwundeten werden von ihnen ausgeraubt. Und diese Cannibalen wollen Menschen genannt werden, sollen zu den Ebenbildern Gottes zählen? Blutgierige Bestien sind es, die von einem Thiere, einem Hunde tief, tief beschämt werden. Dort liegt ein gefallener Hauptmann vom sechszehnten Infanterieregiment – neben dem todten Herrn hält der treue Hund die Todtenwacht. Das Thier ist seinem Herrn in die Schlacht gefolgt, es will auch im Tode nicht von ihm weichen. Niemand, wie die Krankenträger versichern, darf dem Leichname sich nahen. Der Hund leckt dem Todten das Blut von der Wunde – er giebt sein Klagen um den todten Herrn durch Winseln den ganzen Tag laut. Niemand von allen denen, die dem Herzen des Todten einst lieb und theuer waren, nicht Vater und Mutter, nicht Weib und Kind können an seiner Leiche beten, sie sind fern, sie ahnen vielleicht noch nicht einmal die tiefe Herzenswunde, die ihnen geschlagen worden – und doch sollte der Tapfere in seinem letzten Augenblicke nicht allein sein, die Treue wird ihm bis in das Grab gehalten von einem Thiere, dem unser Menschenhochmuth keinen Gedanken, kaum eine Seele, nur einen Instinct zuerkennen will. Und mit diesem Sinnbilde der Treue will ich von einem Schlachtfelde scheiden, wo so Viele den letzten Schlaf schlafen und ihres Herzens Treue und Mannheit durch den Tod besiegelt haben.




Die Kunst vor Straßburg.
Vom Maler R. Heck in Stuttgart.

Wenn ich Ihnen hier ein Bild aus der Belagerung von Straßburg sende, dem rasch andere folgen werden, so geschieht es, weil es mich in tiefster Seele drängt, auch in meiner Weise „zu singen und zu sagen“, was so helllodernd in den vielen Millionen Herzen der deutschen Brüder glüht; und was für die Tage, in welchen wir gerade leben, jeden andern nicht unmittelbar eingreifenden Gedanken völlig ausschließt; läuft man ja doch gegenwärtig Gefahr, den Waldvögeln, die man malt, und den Gloriaengelein nach alter deutscher Weise Zettelchen in Schnabel und Mäulchen zu stecken und darauf zu schreiben: „Die Wacht am Rhein“, „Das Arndtlied“ und „Nun danket Alle Gott“. –

Als auf dem Bilde, welches ich gegenwärtig male (einer ländlichen Idylle), die Braut eines schönen Morgens, trotz aller gemalten Innigkeit und Rührung, mich anzugähnen schien; warf ich Pinsel und Palette weg, ging zur Bahn und stieg sechs Stunden später in Kork bei Kehl aus. Eine ganze Reihe anderer Schwaben und Badenser waren mitgekommen, angezogen durch das dämonisch schöne Schauspiel des Bombardements; als ich, auf der Bahn rasch ausschreitend, bei Kehl ankam, war aber von allen Begleitern nur noch ein Schwabe und ein Rheinpreuße übrig, und als wir quer durch das brennende Kehl strichen und als über uns und die von Menschen völlig verlassenen Häuser die ersten Granaten wegsausten, hielten auch diese beiden Genossen es für räthlicher, sich die Sache etwas mehr aus der Ferne zu beschauen, und so steuerte ich von da ab allein über das von Granaten durchfurchte Feld zwischen Stadt und Dorf Kehl auf die Südbatterie zu. Schon von Weitem rief mir eine Infanteriefeldwache drohend zu, daß ich mich rasch entfernen solle, wenn ich nicht arretirt werden wolle; ich ließ mich aber nicht irre machen, ging rasch vollends auf die durch eine Bierkellermauer geschützte Stellung der Wache los und sandte meine Paßkarte dem in der Südschanze das Obercommando führenden badischen Officier mit der Bitte, seine Batterie besuchen zu dürfen. Auf das Freundlichste wurde mein Wunsch gewährt, und ich fand in dem badischen Artilleriehauptmann M. einen Officier, dessen Liebenswürdigkeit für immer mit seiner stattlichen soldatischen Erscheinung in meiner Erinnerung verbunden sein wird. Auf einem Schanzkorbe bei Seite sitzend, um die Leute bei ihrer gefahr- und verantwortungsvollen Arbeit nicht zu stören, starrte ich zuerst mit gebührender civilistischer Achtung die Ungethüme an, die ihre vierundzwanzigpfündigen Hohlgeschosse mit einer solchen Sicherheit über die jenseits des Rheins befindlichen Pappelbäume und die stehengelassenen Park- und Waldpartieen schleuderten, daß man nach dem den Austritt der Kugel begleitenden[WS 1] Knall und dem eigenthümlichen Zischen und Sausen des die Luft durchschneidenden Geschosses regelmäßig den Aufprall und die Berstung in der an der Kehler Schanze uns unsichtbaren Straßburger Citadelle hörte; wohl kam regelmäßig französischer Gegengruß herüber, aber entweder schlugen die Kugeln in den vor der Batterie liegenden Rheinsumpf oder sie übersausten dieselbe und crepirten auf hundert bis tausend Schritte hinter der Batterie, tiefe Trichter in den lockeren Ackerboden wühlend und einen wahren Sprühregen von Erde und Eisen auf der menschenleeren Feldfläche verursachend. Wohl zwei Stunden lang saß ich so und horchte dem betäubenden Donner, sog das Bild in jeder einzelnen Form in’s geistige Bewußtsein und zeichnete die technischen kleineren Theile in mein Skizzenbuch, um Ihnen und dem großen Leserkreise der Gartenlaube ein getreues Bild dieses kraftvollen, hochgesteigerten Männerlebens Derer zu geben, die mit ihrem ganzen Sein für unsere höchsten nationalen Güter einzustehen berufen sind.

Der ungewohnte Geschützdonner als Begleitung der geistigen Anstrengung des bildlichen Erfassens betäubte aber allmählich mein Gehirn mehr und mehr; ich nahm daher Abschied von dem liebenswürdigen Officier, ließ, bei der Feldwache angekommen, dieselbe durch meine Fernröhre sehen, wobei der brave Infanterist aus dem Schwarzwalde meinte; es sei eben doch etwas recht Geschicktes um so einen – „Permendickel“, und ging dann über das lustig von den französischen Granaten durchwühlte Ackerfeld durch Dorf Kehl, Sundheim und Neumühl nach Kork.

Aber kaum ein wenig ausgeruht und erfrischt, zog es mich mit unwiderstehlicher Gewalt wieder zurück zu der das ganze

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: begeitenden
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 616. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_616.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)