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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Feind zu vertreiben; dort stehen die Garden, sie sind es und die wackeren Sachsen, die ihm zu Leibe gehen.

„Diesmal haben sie ihn. Drauf, drauf, fester drauf!“ schreit es um uns herum, eine unsägliche Aufregung bemächtigt sich Aller, Jeder fühlt, daß es um das Aeußerste geht.

„Jetzt wird er alle!“ läßt sich eine Stimme vom Boden hören, ein Verwundeter, der triumphirend mit dem Kopfe rückwärts winkt, wo der Feind steht. Und in der That schien es, als ob er „alle“ geworden sei, denn wie mit einem Schlage fielen die Schüsse weniger dicht, bald schwiegen sie ganz.

Es war finster geworden – das Schlachten zu Ende. „Wir haben gesiegt!“ hieß es. Aber es war kein Jubel über diesen Sieg, still gingen wir über die Felder, ein Plätzchen suchend, wo wir die Nacht verbringen könnten. Neben uns zogen die Massen die sich zum Bivouac vertheilten. Bis in das Dorf Rézonville führte uns der Strom. Ein Unterkommen hier zu finden – daran war nicht zu denken; wenn wir nur einen Schluck Wasser bekämen, um unser von der Hitze ausgedörrtes Brod hinunterspülen zu können. Aber die Brunnen waren entweder ohne Schwengel oder eingestürzt oder erschöpft, und wo sie noch etwas hergaben, umlagert von Hunderten, die nach der schmutzigen Flüssigkeit lechzten. In der Finsterniß tappten wir in dem Dorfe umher, dessen Höfe und Winkel angefüllt von Franzosenleichen waren, und waren froh, als wir an einer Mauer eine trockne Stelle fanden, die, von Gefallenen frei, uns eine Zuflucht bot, wo wir auf etwas zusammengerafftem Stroh uns ein Lager zurecht machen konnten.

Uns gegenüber, nicht fünfzig Schritte entfernt, verglimmten die zusammengeschossenen Häuser noch im Innern – die aus den Fensteröffnungen schlagende Gluth war unser Nachtlicht; unsere nächsten Zimmernachbarn, nur durch die drei Fuß hohe Mauer von uns getrennt, eine französische Corporalschaft, welche die ewige Ruhe hier gefunden hatte.

Wir wohnten nicht schlechter als der König Wilhelm, der mit seiner Umgebung dicht an derselben Brandstelle, auf der andern Seite der Straße, bivouakirte. Wir aßen auch ebenso gut zu Abend, und hatten dazu die Aussicht, noch eher einschlafen zu können, denn die unablässig ab- und zureitenden Ordonnanzen störten uns nicht. Die Nacht wurde kalt – wir rückten näher zusammen. Draußen war es still geworden; Jeder zog sich in sich zurück.

Auf einmal kommt aus der Ferne der Ton von Gewehrfeuer wieder herüber. Wir fahren empor; keine Täuschung, das Geknatter wird heftiger, immer hitziger, es kommt von einer einzigen Stelle, aber es muß ein verzweifelter Angriff sein. Alles horcht – da läßt es nach, allmählich wird es schwächer, endlich ist es ruhig. Es war wohl der Rest, den wir dem Feinde gegeben hatten; was von ihm noch übrig war, das war nach Metz hineingeworfen, von wo ihm kein Ausweg mehr offen blieb.

Jetzt konnten wir ruhig schlafen.




Ankunft der Verwundeten in München.[1]

So feiern sie das Siegesfest,
Die jäh gefällt von Schuß und Hieb,
Und glücklich, wem nur noch ein Rest,
Ein kleiner, von dem Leben blieb!
Die Wunde in dem heil’gen Krieg,
Wohl ist’s der Adelsbriefe bester,
Ein Freudebringer ist der Sieg,
Doch ach, das Siechthum seine Schwester!

Sie kommt mit bleichem Angesicht
Ihm nachgehinkt und bringt die Qual! –
Die Zeit gebot’s! Wir klagen nicht,
Doch Ehre jedem Wundenmal!
Den Kranz für sie, die in dem Streit
Dem Feind die Brust entgegenstellten,
Die sich für uns dem Tod geweiht,
Und unsre Liebe soll’s vergelten!

Sie standen kühn im Pulverdampf,
Sie trotzten männlich stolz dem Tod!
Wohlan, nun kämpfen wir den Kampf
Für Jene mit des Lebens Noth!
Nun sorgen wir, daß nimmer kann
Zu ihnen Gram und Sorge schleichen!
Es soll dem kranken, wunden Mann
Die Lieb’ den Labebecher reichen!

So lindern wir das herbe Weh’,
Das über sie die Zeit verhing! –
Schmach, wenn ein Invalide je
In Deutschland mit der Orgel ging’!
Die Schaar, die fechtend niedersank,
Die Opfer von den Schlachtentagen,
Die soll das Vaterland zum Dank
Zeitlebens auf den Händen tragen! – –


  1. Wir glauben, der Illustration „Ankunft der Verwundeten in München“ kein besseres Wort mitgeben zu können, als einige Strophen aus dem Rittershaus’schen Gedichte „Den Verwundeten“, welches zu Gunsten dieser Unglücklichen à 2½ Sgr. von Staats in Barmen verkauft wird.
    Die Redaction.


Die Thurmschwalbe.
Von Levin Schücking.
(Schluß.)


Annette stand auf und ging anscheinend entrüstet fort. Die beiden zurückbleibenden Männer sahen sich ein wenig betroffen an.

„Sollte es ihr Ernst sein?“ fragte Graf Ulrich.

„Daran zweifle ich keinen Augenblick,“ versetzte Heinrich; „sie hat mir längst damit gedroht!“

„Und was denken Sie darüber?“

„Daß es meine Pflicht ist, sie mit allen erdenklichen Mitteln davon abzuhalten.“

„Und unter diesen Mitteln würde das beste sein,“ antwortete Ulrich mit einem Seufzer, „ihr ihren Willen zu thun.“

„Sie mögen das,“ versetzte Heinrich, „ich kann es nicht! – Ihr Plan einer Reise mit mir, um meine Lösung von meinen Gelübden zu erwirken, ist eine thörichte Idee; es ist kindisch, zu glauben, daß sich ihre Hoffnung erfüllen könnte, es ist nach den Gesetzen der Kirche unmöglich.“

„Darin werden Sie Recht haben. Die Kirche schmiedet mit unlöslichen Banden, Gatten, die sich verabscheuen, Priester, die sich im tiefsten Innern wider ihre Lehre empören, sie fesselt sie Alle auf gleiche Weise, und wenn die Noth, die Eisen bricht, zur gewaltsamen That der Selbstbefreiung zwingt, so stempelt sie es zum Verbrechen. Sie läßt dabei nur die gehässigsten Motive gelten. Für die edlere Seite der Menschennatur blind, sieht sie nur die Sünde und in der Seelentiefe reinster Gemüther, die sich von ihr wenden, nur den empörten Satan.“

„So ist es, leider!“ entgegnete der Geistliche. „Es ist da keine Hoffnung für mich, auch wenn ich die ganze Entwicklung meines innern Seelenlebens, welche sich in mir vollzogen hat, den innern Kampf mit den immer stürmischer und gewaltiger über mich Herr werdenden Zweifeln das jahrelange Dürsten und Ringen nach Wahrheit ihnen schilderte; sie würden mich verurtheilen, weil ich am Ende des Kampfes zu ihnen sagen muß: ich finde die Wahrheit nicht bei Euch. Ich bin ja bereits auch verdammt. Ich habe

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 622. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_622.jpg&oldid=- (Version vom 5.2.2019)