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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

könnte, und ich möchte wieder hinaufsteigen wie damals und es herunterholen, wo es hingehört! Nicht wahr, das ist ein närrischer Einfall?“

„Du möchtest es für den armen Herrn Alfred holen!“

„Ja, das möcht’ ich, wenn ich’s könnte!“ – – –

Wenige Wochen später war Alfred Doctor und Hülfsarzt an der großen Züricher Klinik. Und ohne zu rasten, warf er sich nun noch mit besonderem Fleiße auf das Studium der Volkswirthschaft und des Handelsfaches.

Er war einer der seltenen Menschen, die, wie man zu sagen pflegt, zu Allem Zeit haben, weil sie zu jeder Zeit Alles thun mögen. So vollbrachte er das Unglaublichste, und die Prophezeiung Zimmermann’s ging vollkommen in Erfüllung. Die Dissertation machte Epoche. Streitschriften für und wider kreuzten sich, neue Untersuchungen über den Gegenstand wurden vorgenommen; kurz, sein Name war, ehe er sich’s versah, über ihn hinausgewachsen; er fragte sich oft selbst, ob er denn wirklich derselbe Salten sei, der jetzt die wissenschaftliche Welt in Bewegung, in Aufruhr brachte. Und der ganze Stolz eines selbstgeschaffenen Namens regte sich in ihm.

In dieser Stimmung willigte er auch endlich in die Ankunft seines Vetters, an den sich für ihn so viele bittere Erinnerungen und Empfindungen knüpften. Er sah, daß seiner Mutter Herz an dem Sohne der Schwester hing, und er hatte durch Feldheim erfahren, daß Victor sich für seine Tante geschlagen und in Folge einer Verwundung die Erholungsreise nach Zürich wirklich bedurfte. So lud er selbst den Vetter freundlich ein und erwartete ihn mit aufrichtiger Herzlichkeit, denn wer für seine Mutter so ritterlich eingestanden, der hatte ein unveräußerliches Recht auf seine Dankbarkeit und Zuneigung. Ein bitterer Tropfen war und blieb jedoch in dem Kelch: Anna’s unverhehlte Freude über den Besuch des „wilden Vetters“. Die ganze Pein, die er als Knabe empfunden, tauchte wieder in ihm auf, nur in einer anderen, ernsteren Form! Doch dafür konnte ja Victor nichts – er wollte es ihn nicht entgelten lassen. Wer weiß auch, wie er geworden und ob die Beiden als Erwachsene noch so gut zusammenstimmten wie als Kinder. So kam der Tag von Victor’s Ankunft. Wieder nahm das Haus Salten einen Schorn gastlich auf. –

„Victor, wie schön bist Du!“ rief Alfred, als er den Gast abholte, und „Victor, wie schön bist Du geworden!“ rief Adelheid, als der Erwartete in’s Zimmer trat. Und sie hatten Recht, er war von jenem blendenden Aeußern, welches für Schönheit empfängliche Menschen geradezu verstummen läßt, daß sie sich erst sammeln und sich gewissermaßen an den seltenen Anblick gewöhnen müssen, ehe sie weiter sprechen können.

„Meine theuerste Tante,“ sagte Victor. „Verzeih’ mir, daß ich den Frieden Deiner herrlichen Einsamkeit störe und Dir Klänge aus einer Welt herüberbringe, die Du so lange gemieden. Wie Du auch alle Bande zerrissen hast, die Dich mit ihr verknüpften, das Band konntest Du nicht zerreißen, welches mein Herz an die geliebte Schwester meiner Mutter fesselt!“

Schön und liebenswürdig war er geworden, der einst so unbedeutende Cadett – ein junger Weltmann von den gewähltesten Formen und eine durch und durch ritterliche Natur, das sah man „auf den ersten Blick“. Auch Herz hatte er, denn der Anblick der einst so blühenden, jetzt so verfallenen Gestalt seiner Tante schien ihn wahrhaft zu erschüttern.

Adelheid legte ihre Hand auf sein Haupt und sprach: „Wenn Deine Mutter nicht meine Schwester wäre, Victor, ich würde Dich ihr nicht gönnen!“ Dann nahm sie die Hände der jungen Männer und fügte sie ineinander. „Liebt Euch wie Brüder, denn in meinem Herzen seid Ihr Brüder!“ Ein Hustenanfall schnitt ihr die weitere Rede ab, sie winkte den Beiden zu gehen.

„Victor,“ sagte Alfred, „wir wollen meiner Mutter Gebot heilig halten. Ich habe den besten Willen, Dir ein treuer Verwandter zu sein – Du bist mit Deinem Blut für die Ehre meiner Mutter eingestanden, das will ich Dir lohnen, so gut ich kann.“

„O, ich bitte Dich, das verstand sich ja ganz von selbst und ist nicht der Rede werth,“ sagte Victor; „wer verrieth Dir denn überhaupt das Geheimniß? Von solchen Dingen spricht man doch nicht!“

„Feldheim! Woher er es erfahren, weiß ich nicht, vermuthlich durch Deinen älteren Vetter Schorn, dessen Güter in der Nähe der meinen liegen.“

„Der gute Vetter Fritz! Er hat mich eingeladen, einige Zeit bei ihm zu meiner Erholung zuzubringen, aber der Arzt meinte, es wäre besser, wenn ich in die Schweiz ginge, wohin mich ja ohnehin meine Anhänglichkeit für Dich und Deine Mama zog. Vetter Egon ist jetzt oft bei seinem Bruder zu Besuch, und ich gestehe Dir offen, daß mich die Aussicht, ihn dort zu treffen, von nun an von den Schorn’schen Besitzungen fern hält. Seit er aus dem Johanniterorden ausgestoßen wurde, weiß kein Mensch, wie und wovon er eigentlich lebt. Er treibt sich immer drüben jenseits der russischen Grenze herum, und das Landvolk murmelt etwas von Spionage in russischem Sold. Vetter Fritz schämt sich des Bruders auch, und seine Besuche sind ihm höchst unangenehm aber er hat doch nicht den Muth, ihm das Haus zu verbieten, er war immer schwach gegen Egon.“

„Er liebte ihn mehr, als es der Schurke verdiente,“ sagte Alfred. „Hätte er nicht sein kleines Vermögen lediglich in seinem Grundbesitz stecken, er hätte auch besser für den Bruder gesorgt.“

„So, ist Vetter Fritz nicht reich?“ fragte Victor erstaunt.

„Nein, ich kenne die Verhältnisse meiner Gutsnachbarn durch Feldheim ganz genau. Graf Friedrich Schorn hat nur seine Güter, die ihm zwar eine anständige Rente abwerfen, aber ein paar Mißernten, eine Ueberschwemmung oder ein Raupenfraß können ihn für lange zum armen Manne machen.“

(Fortsetzung folgt.)




Ein Füsilier vom Regiment Nr. 64.[1]


  1.
Die Schlacht ist endlich ausgeschlagen,
Die heiße Schlacht von Vionville.
Den Sieg hat Preußen heimgetragen,
Und nach dem Lärm ist’s todtenstill.
So müde nun bis zum Ermatten,
Wo alle Sehnen angespannt,
Trägt man im kühlen Abendschatten
Die Wunden zu des Arztes Hand.

  2.
Da lehnt an einem Pappelstamme,
Dicht hinter’m Dorfe Vionville,
Beleuchtet von der Häuser Flamme,
Ein Füsilier, so bleich und still.
Die Kugel hat auch ihn gefunden,
Wie er als Tirailleur hier stand.
Nun hat der Brave überwunden,
Der eisern stand für’s Vaterland.

  1. Wir erhalten zugleich mit dem obenstehenden, in seiner Einfachheit und Empfindung rührend schönen und tief ergreifenden Gedicht folgende Zeilen: „Unweit des Dorfes Vionville fand ich diesen Füsilier vom achten brandenburgischen Infanterieregiment Nr. 64 (Prinz Friedrich Karl von Preußen); an dem Baume, an welchem er Deckung gesucht, hatte ihn die Kugel getroffen, er lag noch in derselben Stellung, wie er gefallen. Seine Hand hielt ein kleines Notizbuch umfaßt, und darin stand von Mädchenhand mit Blei das Gedicht geschrieben, das ich Ihnen in der Beilage schicke und dessen schönster Theil mit vielem Geschick als vierte Strophe in das obige Gedicht aufgenommen worden ist. Dieses letztere allein ist es eigentlich auch, das mich veranlaßt, Ihnen die sonst unbedeutende Skizze zu schicken. Es rührt von meinem Freund, dem Lehrer und Unterofficier des zwanzigstem Landwehrregiments, Wilhelm Petsch, her, zur Zeit im Hauptquartier des Prinzen Friedrich Karl, und läßt Ihre Leser einen Blick thun auf die rührenden Scenen, die auf dem Schlachtfelde mit jedem Schritte sich immer herzbewegend darbieten. Wie heftig übrigens an jener Stelle, auf der wir den gefallenen Füsilier fanden, das Gefecht gewüthet hatte, können Sie aus meiner sehr treu gehaltenen Skizze erkennen. Der Boden war durchwühlt von feindlichen Granaten, auch von mehreren Geschossen aus Mitrailleusen. Auf der Chaussee brannte ein französischer Regimentskarren, nach dem Helm zu urtheilen, der eines französischen Kürassierregiments.
    Fritz Schulz, 
    Maler im Hauptquartier der zweiten Armee (Prinz Friedrich Karl.)“
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 632. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_632.jpg&oldid=- (Version vom 13.2.2019)