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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

erfüllte, als sie ihre Artillerie in der Nähe wußten. Vorwärts ging es im Galopp mit dem Geschütz! Ein donnerndes Hurrah der Infanteristen begrüßte uns, vorwärts bis vor die eigene Tirailleurkette! Im Nu war der erste Schuß heraus, ein zweiter folgte, und jetzt avancirte unsere Infanterie von Neuem gegen die französische Uebermacht. Leider hatten wir schon, ehe wir überhaupt geschossen hatten, von den fünf Mann Bedienung einen Kanonier und von den Pferden drei, worunter das des Batteriechefs, verwundet.

Während dieser kurzen Affaire hatten die übrigen Geschütze oben auf dem Speicherer Berge Position genommen, und ihnen schloß sich jetzt das erste Geschütz an. Die Batterie feuerte mit Granaten gegen feindliche Bataillone und unterstützte so den Angriff der Unsrigen. Es war ein heißer, ein blutiger Kampf. Granaten, Mitrailleusen- und Infanteriekugeln schlugen in, vor und hinter die Batterie ein; die Verluste mehrten sich, fast die Hälfte unserer Bedienungsmannschaft war todt oder verwundet. Aber wir standen, und unser Feuer stockte nicht. Bewundert habe ich unsere Leute; mit welcher Ruhe und Accuratesse bedienten sie die Geschütze! Jeder paßte auf, ob und wo das Geschoß eingeschlagen hatte. Keinen Laut, keinen Schrei habe ich von unseren verwundeten Kanonieren gehört; ein Kanonier meldete sich verwundet, bat sich verbinden lassen zu dürfen, und nachdem das geschehen, meldete er sich wieder zum Dienst!

Bis an einen nach Forbach zu gelegenen Wald waren die Franzosen zurückgedrängt; hier sammelten sie ihre Bataillone zu einem Offensivstoße. Wir sahen die dichten Massen an der Lisière und beschossen dieselben auf das Heftigste, wie wir nachher hörten, mit brillantem Erfolge, so daß dort das Hervorbrechen der Franzosen unmöglich wurde. Zwischen halb acht und acht Uhr trat ein Moment ein, in dem das Gefecht schwankte. Die Unsrigen wurden zurückgedrängt von der feindlichen Uebermacht, und brennenden Auges schauten wir nach frischen Truppen aus. Unwillkürlich drängte sich uns der Gedanke auf: was wird aus der Batterie, wenn wir zurück müssen? herauf sind wir den Berg glücklich gekommen, aber wie wieder herunter? Die Franzosen unterhielten ein wirklich furchtbares Artilleriefeuer. Nur ein Moment war es, daß die Unsrigen zurückgedrängt wurden; aber in solchen Lagen werden die Secunden zu Stunden. Gleich ging es wieder vor; wir hörten das Hurrah unserer Cameraden und athmeten erleichtert auf.

Da plötzlich schwieg das Feuer uns gegenüber; aber von Forbach her hörten wir Kanonendonner und Mitrailleusenfeuer. Es galt unserer fünfzehnten Division, welche die linke Flanke des Feindes angriff und das brennende, in dem Abenddunkel weit leuchtende Forbach erstürmte. Das kurz vorhergehende rasende Artilleriefeuer hatte den Rückzug der Franzosen gedeckt, es war ihr Abschiedsgruß gewesen. Fast wie abgeschnitten schwieg der Kanonendonner. Unser war der Sieg – ein erhebendes Gefühl, für welches es keine Worte giebt, welches alles Andere vergessen läßt.

So groß wie vorher die körperliche und geistige Aufregung gewesen war, so groß war jetzt auch die Abspannung. Den brennenden Durst und Hunger konnten wir jetzt nur nothdürftig mit dem Wein aus Saarbrücken stillen. Ich kann nicht umhin, einen schönen Zug unserer Leute zu erwähnen. Rings um die Batterie lagen verwundete Preußen und Franzosen, die nach Wasser und Brod jammerten. Trotz des eigenen Durstes gaben unsere Kanoniere den Verwundeten, gleich ob Feind oder Freund, den letzten Tropfen Wein, und als später (zwischen elf und zwölf Uhr) Wasser in Feldkesseln gebracht wurde, wurde zuerst den Verwundeten gereicht. Erinnerlich ist mir noch ein Franzose, welcher, am Fuße verwundet, zwanzig Schritte von der Batterie lag. Wir nahmen ihm zuerst sein noch geladenes Gewehr ab und trugen ihn dann in die Batterie. Hier nahm er mit großem Danke eine Cigarre an und schien sich trotz seiner Wunde sehr wohl zu fühlen. Andere schwerer verwundete Franzosen wimmerten herzzerreißend, Töne, welche man nur einmal zu hören braucht, um sie nie wieder zu vergessen. Wie gern hätten wir den Armen geholfen, aber wir waren selbst von Allem entblößt. Einige Vorräthe an Brod, sowie einen Sack mit Hafer fanden wir auf einem französischen vollständig ausgerüsteten Munitionswagen, welcher neben der Batterie stand und dessen Bespannung – vier Schimmel – von einer Granate getroffen, todt vor dem Wagen lag.

Um neun Uhr war das Gefecht beendet gewesen, und gleich darauf hatten wir das traurige Geschäft, unsere Verluste festzustellen. Ueber die Hälfte unserer Leute hatten wir verloren und fast die Hälfte unserer Bespannung. Verfeuert waren hundertvierundsechszig Granaten; diese Munition war theilweise schon gegen Ende des Gefechtes ersetzt, teilweise geschah es jetzt. Dem Feldwebel war es gelungen, während des Gefechtes Munitionswagen den Berg hinaufzuschaffen und so der naheliegenden Gefahr des Verschießens vorzubeugen.

Wir Alle waren von der schweren, heißen Tagesarbeit auf’s Aeußerste erschöpft, und doch floh der Schlaf uns, als wir versuchten, neben den eingespannten Geschützen zu ruhen. Das Gewimmer und Gestöhne der Verwundeten, der Geruch, den die am Morgen gefallenen Pferde schon ausströmten, jagte uns von der Erde auf. Dieses Bivouac auf dem Schlachtfelde in der Nacht war in der That das Gräßlichste, was ich je erlebt. Dicht neben der Batterie war eine Verbandstelle etablirt; überall das Jammern der Verwundeten, das Flehen um Wasser. Bei Fackelschein erfüllten hier die Aerzte ihre schwere Pflicht die ganze Nacht mit einer seltenen Aufopferung. Einwohner Saarbrückens trugen seit dem Vormittage Verwundete aus dem Feuer; selbst Frauen und Jungfrauen wagten sich bis an die Tirailleurlinien, um Verwundete zu erquicken! –

Es war ein düsteres und doch belebtes Bild, diese Nacht! Auf dem Schlachtfelde vor uns irrten Fackeln umher; es waren barmherzige Samariter, welche Verwundete suchten, und Armee-Gensd’armen, welche auf die Hyänen der Schlachtfelder fahndeten. Ueber die Frechheit dieses Auswurfs der Menschheit mag folgendes Beispiel Zeugniß geben. Ein Infanterie-Officier war gefallen und seine Leute wurden momentan zurückgedrängt. Als letztere wieder schnell avanciren, überraschen sie mitten im Gefecht einen halberwachsenen Jungen, der dem gefallenen Officier den Rock aufgeknöpft hat und eben dessen Uhr rauben will. Einige Kolbenstöße machten dem Dasein dieses Elenden ein rasches Ende.

Leider lagerte sich gegen Morgen ein dichter Nebel über das Feld, der das Auffinden der Verwundeten erschwerte und jenem Auswurf der Menschheit sein gräßliches Handwerk erleichterte. – Noch jetzt stehen mir die Scenen jener Nacht und der Anblick des Schlachtfeldes mit grellen Farben vor Augen und werden mir unvergänglich sein, so lange ich athme. Reihenweise lagen die Cameraden todt und stumm da, in vollem Siegeslauf von der feindlichen Kugel niedergestreckt, in der Hand noch das Gewehr. Zelte, Decken, Tornister, welche aufgerissen waren, hatten die Franzosen zurückgelassen. Ein Franzose hatte seinen Tornister geöffnet, um sich frische Patronen herauszuholen; schon hatte er selbige in der Hand, da traf ihn das tödtliche Blei und entseelt sank er neben dem Tornister hin. So fanden wir ihn. – Gut ausgerüstet waren die Franzosen; fast Alle hatten ein Paar ganz neue Schuhe und ein neues Hemd, sowie ein halbes Brod in ihren Tornistern, welch’ letzteres nun unseren Leuten mehr als willkommen war.

Am andern Morgen, den 7., verließen wir endlich das Schlachtfeld mit seinen Schrecken und bezogen ein Bivouac an der Chaussee von Saarbrücken nach Forbach, und zwar hart an der Grenze auf Frankreichs Boden. Den Mittag ging ich mit einem Cameraden nach Saarbrücken hinein in der Absicht, wieder einmal an einem gedeckten Tische zu essen. Nur mit Mühe gelang es uns, an einer Table d’hôte Plätze und einige Stücke kalten Braten nebst einer Flasche Wein vom Kellner unter Zusicherung eines Trinkgeldes zu erobern. Mein Tischnachbar war ein englischer Officier, der zugleich Berichterstatter für eine größere Zeitung sein sollte. Dieser Herr war mir schon während des Gefechts am Tage vorher aufgefallen. Er stand nämlich während des heftigsten Feuers in der Batterie, bewaffnet mit einem Spazierstöckchen, und beobachtete höchst aufmerksam unsere Schüsse, und das Alles mit einer Kaltblütigkeit, die uns imponirte.

Im Lager fielen uns drei Franzosen auf, die ein Maulthier mitführten. Bei näherer Betrachtung ergab es sich, daß dasselbe an jeder Seite einen Sitz mit Rücken- und Seitenlehnen und Fußbank hatte, um so Leichtverwundeten zur Transportirung zu dienen. Gewiß eine zweckmäßige Einrichtung, besonders in dem oft coupirten Terrain.

Am 9. marschirten wir weiter, nachdem die Nacht uns mit einem Alles durchweichenden Regen beglückt hatte. – Die Dörfer, welche wir in der Nähe des Schlachtfeldes passirten, trugen die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 638. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_638.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)