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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Arbeit der Tag noch bringen sollte. Kurz hinter Arnaville ertönte plötzlich das Signal „Trab“ an der Spitze, und alle sechs Batterien trabten an, eine Colonne von sechsmal sechszehn Fahrzeugen, eins hinter dem andern. Vorn mußte ein Engagement sein, dem wir zueilten. So ging es abwechselnd Schritt und Trab bergauf und bergab, weißer Schaum bedeckte die Pferde; Krankenträgercolonnen überholten wir, aber noch wurde kein Schuß gehört.

In der Nähe des Vionviller Kirchhofs endlich traten wir in die Gefechtslinie. Uns gegenüber standen in langen Reihen und dahinter in Colonnen die Franzosen, uns mit einem Kugelregen überschüttend. Auf den ersten Angriff unserer braven Infanterie wichen die Franzosen zurück, es war ihr linker Flügel.

Während hier das Gefecht so günstig stand, erhielt unsere Batterie – die dritte leichte des brandenburgischen Feldregiments – den Befehl, durch Vionville hindurch zu gehen, dann auf der andern Seite des Dorfes Position zu nehmen und den Angriff auf den französischen rechten Flügel zu unterstützen.

Als wir aus dem Dorfe, das von der feindlichen Artillerie beschossen wurde, herauskamen, marschirte die Batterie auf; der Batterieführer ritt mit einem Trompeter zum Recognosciren vorauf. Unzählige kleine Staubwölkchen des trockenen Bodens kennzeichneten die Aufschläge der wie ein Hagelwetter einfallenden Infanteriegeschosse. Da fiel an der Seite des Batterieführers der Trompeter; die Batterie folgte im Trabe. „Batterie halt! Im Avanciren protzt ab! Mit Granaten geladen – geradeaus – tausend Schritt auf die feindliche Infanterie!“ – und der erste Schuß donnerte gegen die feindlichen Reihen. Das feindliche Feuer concentrirte sich auf die Batterie, und erschreckend vermehrten sich die Verluste. Ein Zugführer, ein alter braver Sergeant, fiel; von den sechs Geschützführern waren nur noch zwei im Gefechte; die Fahrer fast zum großen Theile todt oder verwundet, und die Pferde decimirt. Neben uns lag Infanterie. Der Feind drang vor, die Infanterie zog sich vor der feindlichen Uebermacht zurück. Schon konnten wir die rothen Hosen und die Bärte der Franzosen, die uns auf vierhundert Schritte nahe gekommen waren, erkennen, da mußten wir schweren Herzens unsere Position inmitten des französischen Lagers aufgeben. Wir waren in Gefahr, abgeschnitten zu werden, und schickten die Franzosen jetzt eine Schwadron vor, so wehrten wir uns unserer Haut, so gut es gehen wollte, aber der Ausgang war zweifelhaft.

Die Batterie protzte auf und ging im Schritt zurück. Die Zugpferde wurden aus Mangel an Fahrern geführt. Die Absicht war, die westlich von Vionville gelegene Höhe, auf der schon Batterieen des zehnten Regiments standen, zu erreichen.

Des moralischen Eindruckes wegen wurden auf dem Wege dahin noch zwei Aufstellungen genommen und trotzdem, daß vom Feinde wenig zu sehen war, einige Schüsse abgegeben. Bei der ersten dieser Positionen konnte aus Mangel an Leuten und Pferden das zweite Geschütz nicht aufgeprotzt werden und blieb stehen, bis es einem Officier, der mit einigen Leuten zurückgeblieben war, gelang, zwei Pferde vor die Kanonen zu legen und selbige nachzubringen. Es war wirklich eine schöne That, dieses Herausholen des Geschützes aus dem feindlichen Feuer.

Die Officierspferde waren alle todt oder schwer verwundet, so daß alle Officiere zu Fuße gingen.

Einer Scene, die mich tief ergriff, muß ich hier gedenken. Vor der zurückgehenden Batterie lagen sieben bis acht anscheinend todte Cameraden der Infanterie. Als die Batterie auf fünf bis sechs Schritt an diese herangekommen war, erhoben einzelne von ihnen den Arm und winkten, wahrscheinlich in der Todesangst, daß wir sie überfahren würden. Natürlich wurde um die Verwundeten herumgefahren.

Ehe wir den Berg vor Vionville erreichten, schlugen außer den feindlichen Kugeln noch die Sprengstücke einer zu früh crepirten Granate unserer Batterie bei uns ein, glücklicher Weise ohne Verluste zu verursachen. Oben auf dem Berge nahmen wir Position und eröffneten ein heftiges Feuer auf feindliche Massen. Wir wurden hier von der feindlichen Artillerie, Achtpfünder, mit einem Granatregen überschüttet. Die Franzosen kannten die Distancen genau und schossen sehr gut. Aber ebenso wie bei Speicheren schützte uns der französische Zünder vor noch größeren Verlusten. Fiel eine Granate in die Batterie; so dauerte es noch eine Weile, ehe sie crepirte. Das hatten unsere Leute bald gemerkt und auf den Ruf „Granate“ warf sich Alles nieder, die Granate crepirte dann, ohne großen Schaden zu thun. Das Alles war Sache zweier Secunden.

Nach unseren Beobachtungen schossen wir gut und gegen vier Uhr zogen sich die französischen Truppen, zuletzt die Artillerie, zurück. – Wir bekamen Lust, und riefen Victoria! Indessen war dies nur eine Gefechtspause, die uns aber um so willkommener war, als unsere heiß gewordenen Rohre sich abkühlen und wir Ersatz an Munition, Pferden und Leuten heranziehen konnten, was dringend nöthig war, um die Batterie wieder bewegungsfähig zu machen.

Gerade als wir dieses Geschäft beendet hatten, erhielten wir von der linken Flanke Mitrailleusen- und Infanteriefeuer, zugleich beschoß uns feindliche Artillerie in der Front, jedoch auf große Entfernung. Die Batterie war eben im Begriff, eine Front-Veränderung und einen Positionswechsel vorzunehmen, als der Erzähler dieses einen Schuß in den Fuß erhielt. Im ersten Moment hatte ich das Gefühl, als wäre mir ein Stein scharf gegen das Fußgelenk geschleudert, aber als ich herunterblickte, sah ich, daß eine Kugel durchgegangen war. Zugleich flimmerte es mir so vor den Augen, daß ich niederfiel; doch hatte ich Bewußtsein genug, in den Chausseegraben zu kriechen. Die Batterie fuhr in diesem Augenblick ab, und hat nachher, wie ich hörte, noch bis gegen neun Uhr im Gefecht gestanden und ihren Theil zum Erfolge des Tags beigetragen.

Unsere Verluste waren enorm gewesen; von den siebenundvierzig Pferden der Batterie von sechs Geschützen waren fünfundzwanzig todt und fünfzehn verwundet, von den neunundfünfzig Mann inclusive Officier siebenzehn verwundet und fünf todt.

Um wieder auf mich zurückzukommen, so hatte ich das große Glück; einige Minuten nach meiner Verwundung verbunden zu werden. Ein Ober-Lazarethgehülfe und mehrere Leute waren bei mir geblieben, als die Batterie abrückte. Die feindlichen Granaten fielen noch in ungeminderter Zahl neben uns nieder, und jedes Mal warf sich die ganze verbindende Gesellschaft ohne Rücksicht auf den kranken Fuß auf mich, aber merkwürdiger Weise wurden mir dadurch gar keine Schmerzen verursacht. Als aber die herbeieilenden Kanoniere in der besten Absicht mir den Stiefel ausziehen wollten, schrie ich und schlug sie mit der Säbelscheide auf die Finger, bis sie von diesem Beginnen abließen; Stiefel und Strumpf wurden mir vom Fuße geschnitten und mir von dem Verbandzeug, das ich bei mir hatte, ein nothdürftiger Verband angelegt.

Von da trug man mich auf einer Trage nach dem achthundert Schritt entfernten Vionville. Als ich auf dieser so hülflos lag, und die Granaten noch immer vor und hinter uns einschlugen, da hatte ich – ich will es ruhig gestehen – eine wirkliche Angst, in diesem Zustande noch einmal getroffen zu werden. Doch es ging Alles glücklich ab. Eine Cigarre, die ich mir anzündete, schmeckte sehr gut.

In Vionville wiesen zwei französische Aerzte uns nach einem Hause hin, in welchem noch Platz sein sollte; sonst war Alles überfüllt, Kirche, Schule und alle Häuser.

Ein entsetzlicher Anblick bot sich uns. Die Tenne des uns angewiesenen Hauses lag voller Verwundeten, gewiß sechszig bis achtzig Mann; leichter Verwundete kauerten auf der Straße, ein besserer Aufenthalt als jene Tenne. Auch ich war schon im Begriff, mich letzteren anzuschließen, als einer meiner Träger sagte, daß neben der Tenne noch eine Stube mit einer Bettstelle und Strohsack sei; eben wäre ein Verwundeter dort gestorben und der Platz würde für mich frei gemacht. Wer war froher als ich! Das war ja ein beneidenswerthes Unterkommen. Man legte mich auf das Bett. In der kleinen Stube lagen außer mir noch acht Schwerverwundete, Cavalleristen und Infanteristen, und fast alle noch ebenso wie ich nur mit einem oberflächlichen Verbande, mehrere selbst ohne einen solchen. Von der Tenne her, von der nebenliegenden Stube, von überall ertönten herzzerreißende Jammertöne. Acht Officiere und einige siebzig Mann lagen in dem kleinen Häuschen, und der Garten dahinter lag ebenfalls voll. Dabei war Mangel an Aerzten und kein Wasser zum Trinken da. Wir waren auf das angewiesen, was wir bei uns hatten, und ich, der ich noch zwölf Cigarren besaß, wurde als ein Crösus angesehen, und mancher warme Dank ward mir für meine Spenden gebracht. –

Da endlich trat die Erlösung in Gestalt eines mir befreundeten Arztes ein! Aller Augen leuchteten ihm entgegen, und mit Recht. Wasser wurde herbeigeschafft, die Verwundeten gelagert und verbunden.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 678. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_678.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)