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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)


Eugen und Toni gut hieß, würde ich mir selber nie verziehen haben. Ich schließe keine Mesalliance, darauf kannst Du Dich verlassen.“

„Ich weiß es,“ sagte die Präsidentin mit ruhiger Zuversicht. „Du hast zum Glück keine Spur jener unseligen Romantik in Dir, die aller Vernunft Hohn spricht.“

„Nein! – Und überdies – Du weißt, ich habe alle Ursache, meinen Namen rein zu halten.“

Seine Stimme sank bei den letzten Worten und seine Stirn furchte sich tief und schwer, während sein Auge den Boden suchte. Auch die Großmutter war ernst geworden, aber es lag etwas wie Unwillen in diesem Ernst. „Immer noch der alte Kampf? Hast Du denn jene Erinnerung noch nicht überwunden?“

„Ich beneide Dich, daß Du es vermagst. Vergessen kann ich es wohl auf Stunden, auf Tage und Wochen sogar, überwinden – nie!“

Die Präsidentin schüttelte den Kopf. „Du quälst Dich mit selbstgeschaffenen Schrecken! Wir beide allein teilen das Geheimniß und bei uns ist es sicher genug verwahrt. Die Welt kann und wird nie auch nur einen Hauch davon erfahren.“

Der Graf hob langsam den Blick empor, sein Antlitz war finster wie die Nacht. „Die Welt! Aber ich weiß es, daß ich entehrt bin! Ich kenne die Schande, den Fluch, der auf meinem Namen, meinem Reichthum ruht, und das ist der dunkle Punkt in meinem Leben, über den ich nie, niemals hinwegkomme. Was ich auch erstreben, was erreichen mag, immer und immer drängt sich diese Erinnerung dazwischen. – Ich kann sie nicht loswerden!“

Die Großmutter legte beschwichtigend ihre Hand auf seinen Arm. „Laß das ruhen, Hermann! Ich erkenne Dich kaum wieder, sobald dieser unglückselige Gegenstand berührt wird. Du, so stark, so energisch in allen anderen Dingen, bist in diesem Einen schwach wie ein Kind. Der Knabe zeigte einst mehr Muth, er verschwieg sein Geheimniß der Mutter, die daran gestorben wäre, und offenbarte es nur da, wo es ertragen werden konnte. Er schwieg Jahre hindurch, wie vielleicht kein Kind es gethan hätte, und machte mir so mein Hüteramt leicht. Soll der Mann jetzt zagen und sich die Verantwortung aufbürden für Etwas, das er nicht verschuldete?“

Hermann gab keine Antwort, er starrte düster vor sich hin.

„Wenn wir nur wenigstens eine Spur von der Frau und dem Kinde aufgefunden hätten! Deine Nachforschungen blieben damals fruchtlos, ich habe sie mit erneutem Eifer wieder aufgenommen, mir stehen jetzt alle Quellen zu Gebote, aber umsonst, sie sind wie von der Erde verschwunden.“

„Sie werden das Land verlassen haben.“

„Und sind vielleicht im Elend umgekommen, während ich –“ Er sprang plötzlich auf, trat an die Thür und lehnte die Stirn gegen die Scheiben, der sonst so ruhige Mann war in einer furchtbaren Erregung. Die Präsidentin schwieg, sie kannte diese Stimmung; wie groß ihr Einfluß auf den Enkel auch sein mochte, das war ein Punkt, an den sie nicht rühren durfte, auf den sich ihre Macht nicht erstreckte, sie wußte, daß man ihn jetzt gewähren lassen mußte, sollte es nicht noch schlimmer werden.

Ein minutenlanges Schweigen folgte, endlich wendete sich Hermann um. Seine Züge waren wieder kalt und ruhig wie zuvor, nur auf der Stirn lag eine schwere Wolke. „Verzeih’ mir, Großmutter, daß ich auch Dich damit quäle. Du hast Recht, es ist besser, wir lassen das ruhen! Wovon sprachen wir denn vorhin?“

Er nahm wieder an ihrer Seite Platz und sie ergriff sofort die Gelegenheit, auf ein anderes Thema überzugehen.

„Ich wollte längst schon eine Frage an Dich thun, Hermann. Hast Du noch nicht daran gedacht, daß es für Dich, als Majoratsherrn und einzigen männlichen Sproß des Hauses Arnau, bald nothwendig werden dürfte, zu einer Vermählung zu schreiten?“

Der Graf stützte den Kopf in die Hand. „Allerdings habe ich daran gedacht,“ entgegnete er gleichgültig, „zumal ich jetzt auch die Nothwendigkeit einsehe, in der Residenz ein Haus zu machen und in der Gesellschaft einen Mittelpunkt zu bilden.“

„Hast Du schon gewählt?“

„Nein. Ich habe, wie Du weißt, wenig Neigung für die Frauen und ich halte von meinem Standpunkte aus eine Convenienzheirath für die beste. Ich werde nicht viel Zeit für meine Frau übrig haben, und suche in ihr ja überhaupt nur eine Repräsentantin des Hauses.“

Die Großmutter neigte beistimmend das Haupt. „Und welche Ansprüche machst Du bei der Wahl Deiner zukünftigen Gemahlin?“

„Viel und wenig, wie man es nimmt. Vor allen Dingen muß sie aus altem edlem Hause sein; vermögend, denn ich habe gefunden, daß die armen Fräulein, wenn sie plötzlich in den Schooß des Reichthums versetzt werden, sich zu allen möglichen Extravaganzen fortreißen lassen, und nicht auffallend schön, weil ich keine Lust habe, mich zum Hüter meiner Frau zu machen – das Uebrige findet sich wohl von selbst.“

Der junge Graf setzte diese Bedingungen seiner künftigen Ehe mit einer so vollkommenen Gleichgültigkeit auseinander, als ob es sich etwa um den Ankauf eines Gutes handelte, aber diese Art, die Sache aufzufassen, hatte augenscheinlich den ganzen Beifall der Präsidentin.

„Ich bin durchaus Deiner Meinung,“ entgegnete sie, „und es freut mich sehr, daß Du diese Angelegenheit mit einer solchen Klarheit behandelst. – Was wünschen Sie, meine Liebe?“ unterbrach sie sich jetzt, gegen die Thüre gewendet.

„Die Kinder wünschten der Frau Präsidentin vor dem Spaziergange Lebewohl zu sagen.“

Graf Hermann fuhr vom Stuhle empor beim Klange dieser Stimme und blickte mit dem Ausdruck grenzenlosen Erstaunens die Dame an, welche, zwei kleine Mädchen von sechs und acht Jahren an der Hand führend, soeben eingetreten war. Es war Gertrud, die ehemalige Braut Reinert’s. Die Präsidentin bemerkte sein Erstaunen.

„Ah so! Mademoiselle Walter – der Herr Graf Arnau.“

Sie beugte sich zu ihren Enkelinnen nieder und reichte ihnen die Wange zum Kusse hin.

Hermann’s Verneigung ward mit der vollendetsten Fremdheit und Gemessenheit erwidert. Auch nicht die leiseste Bewegung in dem Gesichte Gertrud’s verrieth ein Wiedererkennen, sie nahm die Hände der Kinder wieder in die ihrigen, und schickte sich an, den Gartensaal zu verlassen.

„Dehnen Sie den Spaziergang heute nicht zu weit aus, Mademoiselle, es ist zu heiß für die Kleinen.“

„Ich werde sie nicht anstrengen, wir bleiben diesmal im Umkreise des Parks.“

Eine zweite, ebenso förmliche Verneigung und sie schritt mit den Kindern über die Terrasse in den Park hinunter. Die Präsidentin wandte sich wieder zu ihrem Enkel.

„Wir sprachen also – aber weshalb setzest Du Dich nicht, Hermann?“

Er stand noch immer, die Hand auf den Lehnsessel gestützt, und das Auge unverwandt auf die Allee gerichtet, in der die Drei verschwanden; der Aufforderung mechanisch gehorchend nahm er wieder Platz.

„Wir sprachen also von Deiner künftigen Gemahlin. Ich meine, Dir steht die Wahl frei; Graf Hermann Arnau mag noch so hoch anklopfen, er wird schwerlich ein Nein erhalten.“

„Wer ist diese Mademoiselle Walter?“ fragte Hermann statt aller Antwort, ohne den Blick von der Allee abzuwenden.

Die Großmutter sah ihn etwas befremdet an, die Frage schien ihr sehr wenig in dies wichtige Gespräch zu passen.

(Fortsetzung folgt.)




Laurence.
Episode aus der Belagerung von Metz. Von unserem Berichterstatter Georg Horn.

„Eine Dame ist eben angekommen,“ raunte mir im Vorübergehen ein Bekannter zu und zeigte nach dem kleinen Entrée im Schlosse von Corny, von dem ich meinen lieben Lesern im letzten Artikel ein Bild zu geben versuchte. Eine Dame im Hauptquartier! Das ist ein seltener und jedenfalls ein interessanter Fall. Eine Dame, die sich in den Mittelpunkt des Krieges wagt, besitzt Muth und Entschlossenheit, und eine Frau mit diesen Eigenschaften kann nicht zu den gewöhnlichen ihres Geschlechts gehören.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 776. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_776.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2021)