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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

und am 18. Juli 1821 eines Knäbleins genas, welches sofort auf den Namen Ludwig getauft, später aber in beiden Hemisphären als Natursänger viel genannt und berühmt wurde – derselbe Ludwig Rainer nämlich, von dem wir vorher gesprochen. Seinen Vater schickte damals der alte Cuiorg (Chirurg) zur Strafe nach Wien; doch werden wir bald wieder von ihm hören.

Nachdem hierauf etwa dreiviertel Jahr vergangen waren, begab sich ein Ereigniß, welches für die ganze Familie eine neue Aera begründete. Es kam nämlich einer der Brüder, Namens Felix, aus der Schweiz zurück, wo er sich einige Jahre in den Diensten eines Pferdehändlers aufgehalten und einiges Geld erspart hatte. Er wurde von Allen mit Freuden begrüßt. Am ersten Abend versammelte sich auch das ganze Hauswesen in der großen Stube, um der Erzählung seiner Abenteuer zu lauschen. Bei dieser Gelegenheit nun läßt ihn Ludwig Rainer folgende Ansprache halten:

„Seitdem ich Euch, meine Lieben, verlassen, habe ich meinem Herrn und Freunde in der Schweiz als ‚Kuppelknecht‘ treue Dienste geleistet. Wir kamen weit in der Welt herum und betrieben unser Geschäft mit Glanz. Wenn wir nun unterwegs waren, wurde ich auf allen Stationen ersucht zu singen, und da mir Gott eine gute Stimme verliehen, so ließ ich mich auch nie lange bitten. Ich ward also der Liebling meiner Herren und überall, wo ich hinkam, als lustiger Tiroler Sänger gesucht und geehrt. So sah ich bald ein, daß ich durch dieses Geschäft nicht nur mich allein, sondern auch meine anderen Geschwister glücklich machen und auf leichtere Art mehr verdienen könnte, denn als Kuppelknecht. Mein Herr, dem dieser Plan ganz gut gefiel, stellte sich meinem Vorhaben nicht entgegen und obwohl er mich sehr ungern entließ, so wünschte er mir dennoch alles Glück. Und so trat ich denn meine Rückreise an und bin jetzt hier, um Euch mit meinen kleinen Ersparnissen als Sänger in die weite Welt zu führen.“

Als Felix seine Ansprache geschlossen, jubelten Alle vor Freude über die neuen Aussichten, welche er ihnen eröffnet hatte. Sie waren Alle schnell überzeugt, daß ihre Zukunft und ihr Glück auf den Almenjodler gegründet werden müßte.

Sofort stellte Jener auch sein Quartett zusammen und begann die Uebungen. Marie und Franz übernahmen die oberen, Felix und Joseph die unteren Stimmen.

Die schöne Lene und Bruder Johann mußten, weil ihnen Gott keine Stimme verliehen, zu ihrem großen Verdruß zu Hause bleiben. Auch Ludwig Rainer blieb in der Heimath und wurde einer alten Färbermeisterin zu Zell in Wart und Pflege gegeben.

Als nun Alles geordnet und die vier Geschwister tüchtig „zusammengelernt“ waren, traten sie muthig ihre erste Reise an. Rührend war ihr Abschied von dem heimatlichen Fügen. Eine unzählige Menge von Freunden und Freundinnen begleitete sie bis zum Dorfe Straß, welches am Eingange des Zillerthals liegt. Von allen Fenstern und von den Feldern herein wurden ihnen Glückwünsche zugerufen. Zu Straß beim Neuwirth erwartete sie ein Abschiedsmahl. Noch einmal sangen sie dem fröhlich aufgeregten Gefolge ihre schönsten Lieder vor. Zum Schlusse erfreute die Scheidenden noch ein weithin hallendes Lebehoch und dann stiegen sie unter Thränen in den Wagen und fuhren gedankenvoll dem Flachlande zu.[1]

Und so vergingen die Tage, und Ludwig Rainer hatte gehen und reden gelernt und war ein paar Jahre alt geworden, und spielte eines Abends im neugewaschenen Wämschen und Höschen vor dem Hause seiner Pflegemutter, als ein junger Mann daherkam, der ihn fragte, wie er hieße und wer seine Mutter sei. Darauf gab er seinen Namen an und sagte, wie man ihn gelehrt hatte, seine Mutter sei eine große Frau, welche jetzt noch in der Welt draußen singen müsse, aber bald mit vielem Gelde nach Hause kommen werde. In diesen Worten erkannte der junge Mann sein Söhnlein, wollte es aufheben und küssen, allein dieses schrie so fürchterlich, daß alsbald die Pflegemutter herbeieilte, welche es begütigte und, da sie den jungen Mann erkannt hatte, freundlich fragte, ob es denn dem Vater kein Bussel geben wolle. Dadurch ermuthigt, sträubte sich das Kind nicht länger, und so wechselten denn Vater und Sohn die ersten Küsse. Die alte Frau bewirthete hierauf den jungen Mann und während er einige Erfrischungen einnahm, wurde auch das Söhnlein immer zutraulicher. Nachher begaben sie sich mit einander vor die Hausthüre, wo sich ein Graben befand, etwa klafterweit und zwei Schuh tief, in welchen der Unrath aus der Färberei hinausgeleitet wurde.

Am Rande desselben fragte der Vater scherzend den Kleinen, ob er auch springen könne. Dieser sah in der Frage eine Aufforderung, wollte die Probe sogleich ablegen, riß sich aus der Hand des Vaters los, versuchte einen Sprung über den Graben, erreichte aber das andere Ufer nicht, sondern fiel mit dem neugewaschenen Wämschen und Höschen mitten in den Unrath hinein, so daß die schwarze Jauche über seinen Kopf zusammenschlug.

„Mein Vater,“ erzahlt Ludwig Rainer, „der mich eiligst herauszog, mußte zwar über meine Figur gar herzlich lachen, war aber doch in großer Verlegenheit, weil er selbst mich zu dem Wagstück angereizt hatte. Ich sah aus, als hätte ich mich in eitlem Tintensafte gebadet. Meine Pflegemutter kam auch herbei und erhob einen schrecklichen Jammer über die verdorbene Wäsche, während ich meinen Vater stolz anblickte und ihn frug, ob ich nicht ein frischer Bua sei.“

Des anderen Tages hatte der junge Mann eine lange Unterredung mit der Pflegemutter und klagte ihr mit Thränen, daß er nicht länger bleiben dürfe, daß er auf dem Wege nach Pinzgau sei, um dort eine reiche Bauerntochter zu heirathen, welche ihm sein Vater, der alte Bader, ausgesucht. Des andern Morgens drückte er sein Söhnlein noch einmal an sein Herz, und vierzehn Tage darauf wurde er in Pinzgau mit der reichen Bauerntochter getraut.

Später zog er mit seinem Hauswesen nach Fügen, wo er unter den Fittigen des alten Cuiorgen sich als dessen Nachfolger aufthat, als solcher sehr beliebt wurde und später in guten Verhältnissen das Zeitliche segnete.

Allmählich waren drei Jahre verstrichen, seitdem die Mutter in die weite Welt gegangen war. Eines Morgens nun war Ludwig Rainer mit seiner Pflegerin eben auf dem Wege nach der Kirche, als ein schöner zweispänniger Wagen über die Brücke bei Zell hereinwollte. Darin saß in städtischer Kleidung eine Frau mit drei wohlgestalteten jungen Burschen. Der Wagen fuhr vor dem Wirthhause „Zum Wälschen“ an, allwo sich alsbald eine große Menschenmenge versammelte, um den Ankömmlingen, den Rainern, die Hand zum Gruße zu bieten. Die Brüder gingen ohne Verzug in’s Wirthshaus, um mit ihren Freunden das Wiedersehen zu feiern; die Frau aber eilte zum Färberhause, um ihr Kind aufzusuchen. Sie kam jedoch nicht weit, denn die Pflegemutter trat ihr bald mit dem Zöglinge entgegen, der sich aber anfangs vor ihr fürchtete.

„Schmerzlich weinte meine Mutter, als sie mich an’s Herz drückte; noch mehr weinte sie aber, als ich ihr erzählte, daß vor kurzer Zeit auch mein Vater hier gewesen sei, um mich zu besuchen, und mich herzlich geküßt habe. Und als er mich geküßt hat, sagte ich ihr, hat er fürchterlich geweint und gesagt: ‚Wenn nur Deine Mutter hier wäre!‘ Bei dieser meiner unschuldigen Erzählung brach meine Mutter in lautes Schluchzen aus; meine Pflegerin gebot mir hastig zu schweigen, und wir gingen darauf alle Drei in die Kirche hinein, damit es den Leuten nicht auffallen sollte. Hier betete ich das erste Mal mit meiner lieben Mutter.“

Nachdem sich diese etwas erholt, gingen sie zu den Anderen im Wirthshause, zu den Oheimen, welche den kleinen Neffen alle mit Geld beschenkten. Auch die Mutter gab ihm ein seidenes Beutelchen, das etwa zwanzig Gulden enthielt.

Das Knäblein war ganz außer sich vor Freude; aber als es befragt wurde, ob es nicht mit der Mutter nach Fügen gehen und bei ihr bleiben wolle, stellte es gleichwohl die Bitte, es bei seiner bisherigen Pflegerin zu belassen, welche ihm so theuer geworden war, daß es sich von ihr nicht trennen mochte.

Die Sänger aber, die von ihrem ersten Wallgange zurückgekommen, wurden jetzt im ganzen Zillerthale geliebt und verehrt. Unbeschreiblich war auch der Eltern Freude. Der Vater zog sich nunmehr leicht aus seiner bedrängten Lage und konnte sein Geschäft viel vortheilhafter und schwungvoller betreiben als zuvor.

Aber die weltgewohnten Sänger mochten die müßige Ruhe in dem stillen Fügen nicht lange ertragen. Nach zwei Monaten schon gingen sie auf eine zweite Reise, und dieses Mal zog auch Anton Rainer, ein anderer Bruder, mit, welcher eine herrliche

  1. Diese Erzählung vom Anfange der Rainer’schen Unternehmungen läßt sich allerdings mit dem Berichte, den ich einst von Joseph Rainer erhalten (Drei Sommer, S. 540) nicht leicht vereinigen, doch fand ich mich nicht berufen, etwas daran zu ändern.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 800. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_800.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)