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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

zur Aufsuchung eines detachirten Infanteriepostens auf einer Anhöhe seitwärts von Gagny. Die Aussicht war zwar auch hier von der Nebelwand geschlossen; desto mehr erfreute mich hier ein Anblick in nächster Nähe: am Stamme einer Ulme hatten die Soldaten eine richtige Schwarzwälder Uhr aufgehangen, die hier ihren Pendel so gemüthlich schwang wie in der glücklichsten schwäbischen Bauernstube.

Auch zu einem andern gemüthlichen Anblicke und zugleich zu einem Bilde verhalf mir der Nebel dadurch, daß er uns vom Berge vertrieb und dann als Regen niederfiel. Im Dorfe Gagny hatte auf einem freien Platze die zweite Compagnie des Infanterieregiments Nr. 106 ihre Feldwache unter ihrem Hauptmann von Brzeski. Mein erstes, diesen Brief begleitendes Bild stellt denselben nebst Dr. Larras und einem Officier in der lustigen Behausung dar, welche der Bausinn ihrer Leute ihnen an einer Gartenmauer errichtet hatte. Offenbar ist das Baumaterial dazu nicht weiter her, als der Baustyl. Fensterläden und Fenster, Thüren und Bettstatttheile, Fässer und Bretter hatten genügt, um eine Bude herzustellen die gegen Wind und Regen wenigstens auf einigen Seiten schützte. Desto glänzender war die Ausmöblirung: prächtige Sammetsessel, ein Tisch mit stattlicher Decke, feines Geschirr und selbst die Bretterwand nicht ohne den Schmuck der bildenden Kunst. Außer der Mannschaft, deren Gewehrpyramiden vor der Officierswohnung paradirten, belebten den Platz unzählige Katzen und Spatzen, welche sich bei der feindlichen Einquartierung furchtlos zu Gaste luden, nach den hingeworfenen Brodbröckchen haschten und den brachgelegten Fleischgeruch an den Feldflaschen und Tornistern übten.

Bei der Rückkehr zu unseren Jägern erfreute mich die Nachricht, daß unser Hauptmann ein unter Beeten verborgenes Weinlager entdeckt habe; es wurde von dem trefflichen Funde der Mannschaft redlich mitgetheilt, und halb zwei Uhr marschirten wir aus dieser unserer ersten Feldwache nach Montfermeil zurück.

Am Dreizehnten, einem Donnerstag, zog unser Jägerbataillon zum ersten Male im Ganzen auf Vorposten, und dies sollte nun bis auf Weiteres in Abwechselung mit den drei Bataillonen des 106. Regiments alle vier Tage an uns kommen. Diesmal kam unsere erste Compagnie in Reserve nach Maison-rouge, dem wirklich allerliebsten Besitzthum des Herzogs von Orleans, wie man mir sagte. Ich war so oft an dem reizenden Ding vorübergekommen, hatte mich ganz in dasselbe verliebt und war nun sehr befriedigt von der schönen Gelegenheit, es endlich innen und außen mit größter Gemüthsruhe durchforschen zu können.

Beim Eintritt in das Portal empfängt uns ein hoher mächtiger Vorsaal, dessen Wände und Decke mosaikartig mit Eichenholz ausgelegt sind. Im Hintergrund dieses Vorsaals führt eine breite Treppe, ebenfalls von Eichenholz, nach oben. Ueberall am rechten Ort sind in diesem Raume Vasen und Gemälde zum Schmuck der Wände und der Treppe geschmackvoll vertheilt. – Im Parterre öffnet sich uns zuerst das Zimmer zur Linken: hier ist jetzt das Officiersquartier, und ich theile dasselbe in meiner zweiten Illustration hier mit und zwar zugleich mit den Portraits der damaligen Insassen, des Herrn Major v. Götz, des Herrn Hauptmann Walde und des Adjutanten Herrn Premierlieutenant v. Haußen. Auch in diesem Zimmer tragen Wände und Decke Eichenholztäfelung mit feinsten Holzschnitzereien; ferner schmücken den fürstlichen Raum ein Kamin von Marmor und mit großem Spiegel, seidene Sessel, Divans, ein Pianino, Tisch mit ausgelegter Arbeit und sonstige Erforderniß des Geschmacks der vornehmsten Welt. Auch der große helle Saal vom Eingang rechts, ehemals der Speisesaal, widerspricht in seiner Verzierung dem nicht, was das Aeußere des Schlößchens verspricht, und nur die dermalige Bestimmung als Aufenthaltsort unserer Compagnie ist beim Bau schwerlich mit in den Plan gebracht gewesen. Im ersten Stock waren die Schlafgemächer mit hohen breiten Himmelbetten, Spiegeln und Gemälden an allen Wänden; von den Bildern sind freilich viele jetzt nicht mehr vorhanden. – An das Schlößchen stieß ein der Größe desselben entsprechender Park, geziert mit schönen und üppigen Statuen. Wahrlich, wenn irgend ein heimlicher Winkel, so war dieser dazu gemacht, glückliche Menschen zu beherbergen.

Das wird für lange Zeit wohl ein Wunsch bleiben; der neue Friede hat erst andere Menschen für solch ein Glück zu erziehen, und das wird länger dauern, als die Wegräumung der Bollwerke und Schützengräben, die jetzt auch dieses kleine Paradies theilweise zur Einöde gemacht haben.

Soweit für heute. In meinem nächsten Briefe werden wir die schöne Aussicht vor Chelles auf das Thal und die Ferne bei Fort Nogent, um die uns diesmal der Nebel gebracht, um so klarer auch im Bilde genießen. Bis dahin die besten Wünsche und Grüße!




Aus eigener Kraft.
Von W. v. Hillern geb. Birch.
(Fortsetzung.)


31. „Posa“.

Am andern Morgen ward Feldheim in die Erde gesenkt. Ihm wurden alle die letzten Ehren erwiesen, die einem Helden gebühren. Aber ein neuer Held war aus seinem Grabe erstanden – Alfred! Er hatte Alles überwunden, was den aufstrebenden Mannesgeist in ihm niedergehalten, er fürchtete nichts mehr. Die Fäden, welche ihn an das Leben fesselten, waren einer um den andern zerrissen, er hatte nichts mehr zu verlieren. Und von Stund’ an war es, als sei er hieb- und kugelfest, als hätten die Schrecken des gestrigen Tages die Nerven getödtet, die ihm oft so schlimm mitspielten, daß sie nicht mehr jenes Angstgefühl von früher erzeugen konnten. Er errichtete von nun an seine Verbandplätze dicht hinter der Gefechtslinie. Kalten Blutes führte er seine Leute, wo es nöthig war, selbst in die Schlacht und sein Blick drang weiter als der aller Andern, er bahnte sich durch das wildeste Gedräng einen Weg und legte Verbände an. Keine Thräne kam mehr in sein Auge, kein Lächeln über seine Lippen, er hatte abgeschlossen mit dem Leben, er gehörte nur noch denen, die seine Hülfe brauchten, sein Theil waren die Armen und Elenden und wer ist wohl elender als der Gefallene, der mit zerrissenem, verstümmeltem Leib oft tagelang daliegt und weder leben noch sterben kann? Für diese Unglücklichen sich zu opfern, war für Alfred eine göttlich schöne Pflicht, und starb er in ihrer Erfüllung, so hatte er nicht umsonst gelebt. Der Ruf seiner Leistungen ging durch alle Zeitungen, ohne daß er es wußte. Er hatte vielen hochbedeutenden Personen beigestanden, manches kostbare Heldenleben erhalten und die Dankbarkeit der Geretteten umgab ihn mit einem Nimbus, der ihn für die ganze Armee zu einem Gegenstand fast abergläubischer Verehrung machte. Aber wie bei jedem Genie, war es nicht allein sein rastloses Wirken, seine gelungenen Curen, welche ihm diese Erfolge sicherten – es war der Eindruck seiner ganzen Persönlichkeit. Denn mehr und mehr hatte dieser wunderbare Geist dem zarten Körper sein Gepräge aufgedrückt, die feinen Linien des bleichen Gesichts waren wie seine Schriftzüge, die ein gewaltiges Wort ausdrücken, und wer dies Wort zu entziffern vermochte, der beugte sich vor dem unscheinbaren Manne, denn es hieß: Geistessiege.

„Alfred, Du beschämst mich tief,“ sagte eines Tages ein schwer Verwundeter, den er mit seinen Gehülfen aus der Schlacht getragen und verbunden hatte. Es war Victor. „Ich verdiene es nicht um Dich,“ fuhr der Kranke fort, „daß Du mir so treulich beistehst, denn ich habe schlecht an Dir gehandelt von Kind auf, habe Dich verhöhnt und geschmäht in’s Gesicht und hinter dem Rücken! Das war nicht soldatisch gehandelt. Aber sieh, man ist erst ein rechter Soldat, wenn man dem Tode in’s Antlitz geschaut hat, und nun ich das gethan, nun läßt’s mir auch keine Ruhe, bis ich gut gemacht, was ich wider Dich und Soldatenbrauch gefehlt. Verzeih’ mir, Vetter, wenn Du kannst!“

„Wer könnte nicht verzeihen einer so freimüthigen Reue gegenüber?“ rief Alfred und sein Blick glänzte in stiller Zufriedenheit. „Du giebst Dir selbst mit diesen Worten ein so schönes Zeugniß wie mir und nimmst mir eine schwere Sorge vom Herzen!“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 806. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_806.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)