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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

einen Wolf zu erlegen. Von Zimmer zu Zimmer flohen die Gesuchten, immer wieder die Thüren hinter sich verrammelnd, die doch immer wieder gesprengt wurden. Aus dem Erdgeschoß tönte ein Jauchzen und Wiehern herauf. Schmetthorn war gefangen. Aber der Graf hatte sich hinaufgeflüchtet auf den Thurm und dort an das verfallene Sparrwerk der Glockenstube angeklammert wie eine Katze.

„Reißt ihn herunter!“ schrie Paula, und sie ergriffen ihn bei den Beinen und zerrten ihn sich nach die Treppen herab durch alle Stockwerke bis vor das Haus, wo die Weiber zu Furien verwandelt ihre Lumpen vom Leibe rissen, um ihn damit zu knebeln, weil sie keine Stricke hatten.

„Hier ist der Zweite!“ schrieen die Männer drinnen und warfen Schmetthorn heraus in einen Knäuel zusammengeschnürt.

„Paula,“ stöhnte Egon lallend wie ein Blödsinniger und wand sich zu den Füßen des Mädchens, „rette mich, ich gebe Dir Alles, ich mache Dich reich, wenn Du mich rettest!“

Paula schlug eine bittere gellende Lache auf. „Mach’ meinen Vater wieder lebendig, heile seinen zerspaltenen Kopf wieder zusammen, baue die Hütten wieder auf, die das Wasser eingerissen, und hole die Menschen heraus, die darin umgekommen!“

„Paula,“ flehte Egon wimmernd wie ein Kind, „ich nehme Dich zu meiner Frau, wenn Du mir hilfst!“

Egon war aufgesprungen, sie schleuderte ihn mit ihren starken Armen weit von sich mitten unter eine Gruppe Typhuskranker hinein. „Nimm Dir von diesen eine zur Frau, wenn Du heirathen willst,“ kreischte sie mit einer Stimme, die gewohnt war, den Sturm und das Rauschen des Haasznensees zu überschreien. „Die Pest Dir an den Hals, Du bist ein Verfluchter, ich will nichts mehr gemein haben mit Dir!“ Und sie warf sich händeringend vor den Umstehenden auf die Kniee. „Steinigt mich, tretet mich mit Füßen, damit ich’s noch bei Zeiten abbüße, daß ich’s so lange mit Einem hielt, der das gethan. O, ich will’s gut machen, ich will ihn selbst erwürgen mit meinen eigenen Händen, wenn Ihr’s verlangt.“

„Ja, das soll sie!“ schrieen Einige.

„Nein, das soll sie nicht!“ schrieen Andere.

„Wir wollen ihn ersäufen! In eben dem Wasser soll er umkommen, das er über uns losgelassen.“

Ein Beifallssturm erfolgte auf diesen Vorschlag.

„Ja,“ schrie die Mehrzahl, „ersäuft den Hund, er soll auch erfahren, wie Wasser schmeckt.“

„Thut’s nicht selber,“ warnte ein alter Mann, „liefert ihn der Obrigkeit aus.“

„Der Obrigkeit?“ höhnten die Ergrimmten. „Die thut keinem Vornehmen was. Eher reißen wir ihn in Stücke!“

„In’s Wasser mit ihm und seinem Helfershelfer – wir wollen auch einmal Recht üben. Vorwärts!“

„Kommt,“ schrie Paula, „ich will Euch zeigen, wo Ihr ihn am besten hineinwerfen könnt!“

Und im Nu waren die Beiden, Herr und Diener, aneinander gekoppelt und im Sturmschritt ging es mit ihnen durch den Wald dem Haasznensee zu.

Es war inzwischen völlig Tag geworden. Oberhalb des Durchstichs, wo der Strom wie ein Wasserfall aus seinem Bett in die Niederung ausbrach und die Wellen mächtig anschwollen, als müßten sie einen Anlauf nehmen zu dem jähen Sturz in die Tiefe, da machte die Meute Halt. Egon brach bewußtlos zusammen, der Verwalter schrie und bäumte sich wie ein Thier.

„Sollen wir sie voneinander losbinden?“ fragten Einige.

„Nein,“ brüllte der Haufe ungeduldig, „werft sie zusammen hinein!“

Und zwölf gewaltige Fäuste hoben den zuckenden Klumpen auf, schwangen ihn hoch in die Luft und schleuderten ihn weit über das Ufer in das wilde Eistreiben hinaus. Paula warf sich mit verhülltem Gesicht zu Boden. „Hurrah!“ donnerte es aus allen Kehlen. Das Wasser spritzte empor wie der Strahl eines Geisers und überschüttete die Menge mit einem Regen von Gischt. Aechzend und knirschend stürzten die Eisschollen, auf welche die ungeheure Wucht aufgeschlagen, nach in die Tiefe. Aber im nächsten Augenblick spülte sie der Strudel wieder herauf, und an sie festgeklammert hob sich auch der entsetzliche Klumpen noch einmal empor. Die Bande hatten sich soweit gelockert, daß die beiden Männer die Arme regen konnten. Sie trieben mit dem Eise dem Ufer zu.

„Hilf, Herrgott, sie schwimmen!“ schrieen die Rasenden am Strande. „Stoßt sie hinunter, hier sind Ruderstangen!“

Und sie rafften zusammen, was von Stangen und Planken umherlag, und schlugen nach den Ringenden, denen es gelang, die Uferweiden zu erfassen. Noch einmal hob sich Egon mit Schmetthorn empor, wieder stießen sie ihn hinunter. Die Wuth war zum Wahnwitz entfacht und mußte ihr Opfer haben. Da rissen die morschen Fetzen, mit denen die Beiden zusammengekoppelt waren, und Schmetthorn sank – ein dumpfes Gurgeln und er war verschwunden. Egon aber war plötzlich zwischen zwei Eisschollen eingeklemmt, die ihn fast zermalmten, aber auch über Wasser hielten.

„Die Brut kann nicht sterben!“ schrieen die Wüthenden, und wieder versuchten sie ihn vollends hinabzustoßen.

Da erscholl eine Stimme, hell und klar wie das Geläut einer Friedensglocke, und übertönte all’ das Toben, daß es mit einem Male still wurde, als hätte ein Engel vom Himmel Halt geboten.

„Leute,“ rief der Ankömmling von seinem schäumenden Pferde herab, „Leute, wollt Ihr als Mörder enden? Helft diesem Manne heraus, augenblicklich, ich befehle es Euch, und ich denke, Ihr habt es noch nie bereut, wenn Ihr mir gehorchtet.“

„Herr, Ihr wißt nicht –“ schrieen die Leute.

„Alles weiß ich,“ unterbrach sie Alfred. „Er hat mich zu Grunde gerichtet wie Euch! Er ist ein schwerer Verbrecher; aber nicht Ihr dürft ihn strafen – dieser Mann gehört dem Gesetz.“

Die erbitterte Menge begann zu murren.

„Vorwärts,“ befahl Alfred, „reicht ihm die Ruderstangen, rettet ihn; wenn Ihr ihn nicht lebend herausbringt, liefere ich Euch statt seiner an das Militär aus, das ich von Lötzen her entboten habe!“

Das wirkte. Erschrocken gehorchten die Leute. Die Stangen wurden dem Unglücklichen hingestreckt, aber er konnte sie nicht mehr erreichen; die Kräfte hatten ihn verlassen. Es war ein banger Augenblick. Selbst Paula brach in lautes Weinen aus, denn ihre Rache war gesättigt und nun kam mit aller Macht die Reue über sie. Endlich war es gelungen, wenigstens die Eisblöcke, zwischen denen Egon eingekeilt war, näher heranzutreiben, einige Beherzte, Paula mitten darunter, stiegen bis an den Hals in die Brandung hinunter, sie erfaßten Egon an den Schultern und rissen ihn aus der furchtbaren Umarmung mit sich den Damm hinauf. Oben angekommen, blieb der Unglückliche liegen, that einen tiefen Athemzug und ein Strom von Blut schoß ihm aus dem Munde.

(Schluß folgt.)




Im Hauptquartier des Prinzen Friedrich Karl.
Von unserem Berichterstatter Georg Horn.
Siebenter Brief. Der Abschied des Kaiserreichs.

In den Tagen, in welchen die verehrten Leser der Gartenlaube die Schilderung des bewegten Gehens und Kommens, der stillen Arbeit und der drängenden Geschäfte in den Räumen des Schlosses von Corny lasen, bekam dieser Artikel noch einen glänzenden Schlußsatz durch das Resultat, in dessen Vorbereitungen ich die Leser habe einen Blick werfen lassen, ein Resultat, dem man mit mathematischer Gewißheit mit jedem neuen Tag ein Stück näher kam, durch eine That von weitreichendster Bedeutung, durch die Capitulation von Metz.

Die Kriegsgeschichte kennt kein ähnliches Ereigniß, weder das Alterthum, noch die neuere Zeit. Jenes kannte einem besiegten oder gefangenen Heere gegenüber nur zwei Maßregeln, entweder ließ man die Besiegten über die Klinge springen oder durch das caudinische Joch gehen, und Beides war nur eine um so sicherere

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 856. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_856.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)