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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

Ein hochgewachsener Mann von etwa vierzig Jahren, dem an den sechs Fuß der preußischen Garde wenig fehlen mochte, mit brünettem Gesicht und braunem Haar und Bart, öffnete mir die Corridorthür. Es war der Künstler selbst. Ohne Zweifel hatte ich ihn in seiner Morgenarbeit gestört, denn er trug sein Rüstzeug, den Bleistift, noch in der Hand; mit der freundlichsten Miene und der gewinnendsten Herzlichkeit jedoch, die auch nicht den leisesten Anflug hatten von jener verdrießlich-vornehmen Reserve, mit welcher Männer von Namen wohl den Besucher empfangen, hieß er mich willkommen und führte mich in sein Allerheiligstes, seine Werkstatt. Wer sich unter dieser aber ein gewöhnliches Künstleratelier mit halb verbautem Fenster, mit Staffeleien und Gliedergruppen, mit seltenen Waffen und Costümestücken, mit antiken Gefäßen und mittelalterlichen Möbeln, mit Cartons und Gypsgliedern und dem ganzen genial-coquetten Chaos dächte, womit der Maler gern den Schauplatz seiner Thätigkeit auszustaffiren pflegt, der würde sich sehr täuschen. Oscar Pletsch’s Atelier ist nichts mehr und nichts minder als das geschmackvoll ausgestattete Arbeitszimmer eines gebildeten und behaglich situirten Mannes; nur die vielen Zeichenmappen in verschiedenen Repositorien, die trefflichen alten Kupferstiche an den Wänden und mehrere plastische Decorationen deuten allenfalls darauf hin, daß man sich in der Wohnung eines Kunstjüngers und Kunstfreundes befindet. Der eigentliche Werktisch unseres Malers ist ein einfaches Stehpult. An ihm componirt er seine herzigen Bildchen, zeichnet sie zuerst in nettester Ausführung mit Bleistift und leicht aufgesetzten Aquarelltönen auf kleine Blätter von feinem Elfenbeinpapier und überträgt sie dann selbst auf die weißgrundirte Buchsbaumplatte, aus welcher der Holzschneider, dem Künstler Linie für Linie nachgravirend, den Bilderstock für die Buchdruckerpresse herstellt. Eine im Entstehen begriffene Holzzeichnung lag auf dem Pulte; offenbar hatte mein Schellen den Maler von ihr abgerufen.

„Einen Augenblick, bitte,“ begann er, „ich will nur rasch noch eine Strichlage vollenden.“ Darauf setzte er sich zu mir auf das Sopha, und jetzt erst frug er nach meinem Begehr.

„Es drängte mich, den Mann von Angesicht zu Angesicht kennen zu lernen, der die Welt nun schon seit manchem Jahre mit so sinnigen Gaben beschenkt, uns alle Kinderherzen stiehlt und uns Aelteren die Brust mit süßer Wehmuth füllt, indem er uns auf Momente in ein Paradies zurückzaubert, das uns leider längst verloren ist,“ antwortete ich.

Ein leises Lächeln umspielte seine offenen männlichen Züge. „Das Publicum ist sehr nachsichtig gegen mich,“ erwiderte er mit ungekünstelter Bescheidenheit; „ich habe viel Glück gehabt, mehr, als ich es jemals geträumt habe. Aber glauben Sie, meine Bilder allein sind’s nicht gewesen, die mich en vogue gebracht haben – ohne des Königs Rock wäre ich vielleicht heute noch so unbekannt, wie ich es war, als ich mein erstes Büchlein vom Stapel ließ. Man sah in mir nicht den Künstler, nur den Landwehrkanonier, und das zog, das war etwas Neues. Ein Landwehrmann, der nebenbei, so dachte man, so ganz passabel zeichnen konnte, das erregte Verwunderung und mit ihr Interesse. Daß ich ein Maler von Handwerk war und Zeit meines Lebens eigentlich nichts gethan hatte, als gezeichnet und gepinselt, das vergaß man, obschon ich’s den Leuten in der Vorrede zu meiner ‚Kinderstube‘ deutlich genug erzählt hatte.“

„Daß Oscar Pletsch ein Künstler ist und zwar einer vom echtesten Schlage, darüber waltet heute wohl kein Zweifel mehr ob. Der Landwehrmann ist längst vergessen über dem Maler und Dichter,“ versetzte ich.

„Wenigstens darf ich mir das Zeugniß ausstellen, daß ich redlich gestrebt habe ein Künstler zu werden,“ sagte er ernst. „So lange ich denken kann, war mein Sinnen und Trachten auf nichts gerichtet als auf die Kunst. Das Zeichnen muß mir im Blute gesteckt haben; was ich draußen auf der Gasse sah, was ich auf den Spaziergängen im Thiergarten, am Wasser, auf dem Lande erlebte, hurtig versuchte ich’s auf das Papier zu werfen. Wie hat sich mein guter Vater über diese meine Neigung gefreut! Wie leuchtete sein Antlitz, wenn er den kleinen Zeichner so emsig am Werke sah!“

„Ihr Vater war selbst Maler?“ frug ich.

„Maler nicht eigentlich,“ erwiderte mein liebenswürdiger neuer Freund. „Er war Militär und Hülfszeichenlehrer an der Berliner Artillerieschule, aber er wußte Bleistift und Feder so wacker zu führen wie Einer. Leider war der Gehalt, den ihm seine Stellung einbrachte, kein reichlicher, und der brave Mann mußte von früh bis spät sich abquälen, um durch allerhand Nebenerwerb, durch Kupferstechen von Visitenkarten und dergleichen, für den Unterhalt der Familie – ich hatte noch vier Geschwister – in dem kostspieligen und immer kostspieliger werdenden Berlin zu sorgen. Maler wollte ich werden, nichts Anderes, das stand bei mir fest. Zur Verwirklichung meiner Pläne aber zeigte sich wenig Aussicht. So war ich sechszehn Jahre alt geworden, und mein ganzes Leben ging so zu sagen in Zeichnen auf. Ich versäumte und vernachlässigte die Schule, hielt mich allen Spielen und Ergötzlichkeiten meines Alters fern, um nur fortwährend über Papier und Reißbrett sitzen zu können. Wer nur immer zu uns kam, jeder Besuch, jedes Bettelkind, jede Milchfrau mußte mir zum Modelle herhalten. Ach, es war eine Zeit voller Fleißes und trotz ihrer äußeren Armuth und Hoffnungslosigken voller stiller Seligkeit, deren ich heute noch mit Wehmuth und Sehnsucht gedenke.“

„Und wie entschied sich schließlich Ihr Schicksal?“ unterbrach ich den Erzähler, welchem die Jugenderinnerungen das Herz immer mehr und mehr auf die Lippen drängten.

„Schneller und günstiger, als ich’s nur zu träumen gewagt hatte,“ entgegnete er. „Die Berliner Kunstausstellung im Akademiegebände war eröffnet und brachte unter Anderm ein kleines Bild Bendemann’s und zugleich das Portrait des Meisters. Heute würde mir jenes vielleicht süßlich und sentimental erscheinen – Sie wissen ja, die damaligen Düsseldorfer machten viel in Gefühlsseligkeit – damals entzückte mich’s, und die feinen freundlichen Züge des Malers eroberten mein ganzes Herz. Unter seiner Leitung in Dresden studiren zu können – das ward der höchste meiner Wünsche! Aber wie sollte dies möglich werden? Meine guten Eltern konnten mir ja keine Unterstützung mit auf den Weg geben.

Schon begann ich mit bitterem Schmerze von meinem Lieblingsgedanken Abschied zu nehmen, da trat – ich conterfeite eben mein eigenes trübseliges Gesicht im Spiegel – ein edler Mann zu uns in’s Zimmer, dem meine Bestrebungen schon lange Theilnahme erweckt hatten, und erbot sich großmüthig, mir mit einem Stipendium auf drei Jahre unter die Arme zu greifen. Sprachlos vor Freude stand ich da, – und wenn heute Oscar Pletsch wirklich ein Künstler von echtem Schlage ist, wie Sie meinen, jenem Manne haben er und die Welt es zumeist zu danken. Darum darf ich Ihnen wohl auch seinen Namen nennen: es war der Prediger Seidig, ein wahrer Menschenfreund, der mit aufopfernder Selbstverleugnung – denn er war keineswegs reich und lebte nur von den Erträgnissen seines Amtes – außer mir noch gar Manchem auf der Lebensbahn fortgeholfen hat.

Wie selig zog ich in Dresden ein,“ fuhr der immer wärmer werdende Künstler fort, „wie glücklich vollends war ich, als ich nach kurzem Durchlaufen der Akademieclassen in Bendemann’s Atelier als Schüler eintreten durfte! Was brauche ich Ihnen noch mehr zu sagen von jenen unvergeßlichen Tagen eines ernsten, von Begeisterung getragenen Lernens und Strebens unter gleichgestimmten Genossen, von denen manche, wie Johann Wislicenus, Theodor Grosse, Johannes Zumpe, Heinrich Gärtner und Andere, jetzt in der Kunstwelt sich hoher Geltung erfreuen.“

„Verfolgten Sie schon damals die Richtung, die Sie heute zum allgemeinen Liebling macht?“ warf ich ein.

„Nein, ich malte Portraits, auch verschiedene historische Compositionen in Bendemann’s Atelier und raisonnirte viel über Idealismus und Realismus in der Kunst, wie alle meine Cameraden. Da wurde ich unserm trefflichen Ludwig Richter näher bekannt und durch ihn meinem ureigenen Naturell zurückgegeben. Inzwischen ging aber das letzte Jahr meines Stipendiums zu Ende, und es hieß nun mich auf eigene Füße zu stellen. Zum Glück trug ich in einer Concurrenzausschreibung den Sieg davon und ward mit einer umfangreichen Arbeit, den Illustrationen zu einer Bilderbibel, betraut, die mir auf längere Zeit hin ausreichenden Erwerb verhieß. Da aber kam mir der bunte Rock dazwischen, ich mußte meiner Militärpflicht genügen und mich ein volles Jahr aus meinem Schaffen und – was mich augenblicklich vielleicht noch schmerzlicher drückte – von meiner Braut losreißen. Denn jung wie ich war, hatte ich mich doch bereits auf ewig gebunden. Mit schwerem, schwerem Herzen, das können Sie wohl denken, sagte ich also dem schönen Elbflorenz Valet, um auf dem märkischen Sande den Artillerierekruten zu spielen.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 62. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_062.jpg&oldid=- (Version vom 28.6.2020)