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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


denn zuweilen vorgekommen, daß sie dennoch ihre Aufgaben zu machen vergaß, einschlief oder anderen kleinen Zerstreuungen in ihrem Zimmergefängniß sich hingab, – mit Schrecken den strengen Lehrmeister heimkehren hörte und sich dann in einem Schranke oder unter einem Teppich versteckte, da das heftige leidenschaftliche Temperament des Mannes sich sogar zu körperlichen Strafen hinreißen ließ!

Unter solchen Verhältnissen gebar Sophie, noch nicht sechszehn Jahre alt, den Sohn am 15. September 1796. Er wurde in der lutherischen Kirche zu Reval getauft und in das Buch des Lebens mit den Namen: Wilhelm Philipp Joseph Anton Carl eingeschrieben. Sie war dem Knaben eine sehr zärtliche, liebevolle Mutter, – daneben entwickelte sich ihr ganzes Wesen und ihr Talent zur dramatischen Kunst mit Riesenschritten. Ueberall, wo sie auftrat, erntete sie ungetheilte Bewunderung, trotz der nie befriedigten Ansprüche des Mannes, weshalb ihre Ehe ein steter Kampf blieb, je mehr Selbstschätzung Sophie durch ihre Erfolge gewinnen mußte. So bestand diese unbeglückte Ehe denn auch nur sieben Jahre, wo eine förmliche Scheidung erfolgte. Den Sohn behielt der Vater, die Mutter trennte sich mit blutendem Herzen von dem sechsjährigen Knaben, wie es der Canonicus Smets später in seinen Elegien erzählt:

„Aber nicht konnt’ ich versteh’n tief ernstere Blicke des Vaters,
     Nicht den gedehnteren Kuß, welchen die Mutter mir gab:
Die mich in Liebe gepflegt, an Alter ungleich und Gesinnung,
     Lösten ein Bündniß, das kaum sieben der Jahre gewährt.“

Zu Breslau schieden sie von einander, und von da an verließ auch der Vater die Bühne, die Sehnsucht nach seinem früheren Berufe ließ ihn als Hofrath in die Dienste des Reichsgrafen von Plettenberg-Miethingen-Ratibor eintreten, wo er eine Richterstelle bekleidete. Aber nach ein paar Jahren zog es ihn wieder mit mächtiger Sehnsucht nach der einstigen Heimath, nach Aachen und den Rheinlanden, zurück. Durch die Fürsprache seines gütigen Gönners, des bekannten Fürsten Dalberg, war ihm eine hohe richterliche Stelle zugesagt, die er in Bonn einnehmen sollte, zum Zwecke einer völligen Bestätigung rief ihn Fürst Dalberg nach Paris, wo derselbe sich damals aufhielt. Der Sohn besuchte einstweilen das französische Lyceum zu Bonn, er bezeigte Talent zur Malerei, und der Vater, der selbst eine so große Neigung zu allen schönen Künsten hegte, bestimmte den Sohn ganz für diese Kunst. Indessen ereilte ein furchtbares Schicksal den Hofrath Smets angesichts des ruhigen Hafens, in welchen er sein und des Sohnes Lebensschiff schon einlaufen sah. In heiterer Gesellschaft an der Tafel des Fürsten Dalberg zu Paris wurde der vielgeprüfte Mann plötzlich irrsinnig! Zurückgebracht in die deutsche Heimath, übergab man ihn einer Irrenanstalt, ich weiß leider nicht mehr ob zu Aachen oder Bonn. Der nun elfjährige Sohn wurde einer Unterrichtsanstalt der Jesuiten übergeben, wo er eine ausgezeichnete wissenschaftliche Bildung erhielt. Allein das Kind hing mit grenzenloser Liebe am Vater, der seinerseits bis dahin sein ganzes Herz dem Sohne geweiht, während dieser von seiner Mutter Sophie nur eine dämmernde Erinnerung hatte.

Die freien Stunden brachte der verlassene Knabe in der Zelle des Wahnsinnigen zu. Dieser beruhigte sich sofort, wenn das von ihm so sehr geliebte Kind eintrat, er war dann wieder ganz der zärtliche Vater, von welchem sich wieder loszureißen dem Kinde alle Mühe kostete. Zwei Jahre währten diese Leiden, da erlöste der Tod den unglücklichen Mann. Ein Denkmal der kindlichen Liebe hat ihm der Sohn in seiner späteren Elegie „des Vaters Grab bei Aachen“ – in der Sammlung „Gedichte von Wilhelm Smets, Stuttgart und Tübingen bei Cotta 1840“, die v. Ehrenstein herausgab – gesetzt. Der elfjährige Knabe trug schon damals eine bewußte Sehnsucht nach der Mutter, aber es gab Niemand, der ihm von ihr hätte Kunde geben können. Der Zusammenhang und der Verkehr mit fernen Gegenden war in jenen Zeiten noch sehr beschwerlich und selten, es gab nicht den hundertsten Theil von Zeitungen und Journalen, wie solche jetzt coursiren, auch gaben diese nur Nachrichten der wogenden Welt. Ereignisse der Jahre 1807–1808; mochte auch immerhin schon in diesen Jahren Sophie Schröder, wie sie durch ihre Wiederverheirathung mit dem Schauspieler Schröder nun hieß, eine berühmte Schauspielerin geworden sein, der Sohn hatte keine Ahnung davon. So lebte er ausschließlich seinen Studien, auch der Ausbildung in der Malerei, wofür man ihn eigentlich bestimmt hatte. Als nun die Jugend Deutschlands sich sammelte, da reihete auch Wilhelm Smets, der sechszehnjährige Jüngling, sich einem Freiwilligencorps an und wohnte dem ganzen Feldzuge bei, nach dessen Beendigung er in preußischen Militärdienst trat, nachdem er bereits das Officierpatent hatte.

Niemals verstummte in seinem Herzen die Stimme der Natur; auch in den Unruhen des Krieges, im Siegesgefühl zu Paris nicht, wo dem Jünglinge die Herrlichkeit der Welt durch Luxus in aller Hinsicht, durch die vollendetsten Kunstwerke, wie sie Napoleon der Erste dort angehäuft, zur Anschauung kam, – auch da durchdrang ihn ein sehnliches Verlangen zu wissen, ob und wo die Mutter lebe, in ihrer Liebe das höchste Glück zu genießen. Unermüdlich forschte er nach Beendigung des Kriegszuges nach ihr, und es wurde erst 1816 ihm die unsichere Vermuthung, daß sie in Wien lebe und als k. k. Hofschauspielerin angestellt sei. Nun pilgerte der treue Sohn gen Osten, und wie er die Mutter suchte und fand, das bezeichnen in schönster Weise seine dichterischen Worte:

Die Spur der Mutter.

Ob mir die Mutter noch leb’ und wo? das war mir Geheimniß;
     Aber die Ahnung verhieß: sicherlich lebet sie noch!
Still’, ihr getreu, nachforscht’ ich mit Sehnsucht des kindlichen Herzens,
     Und ich entdeckte der Spur zweifelhaft dämmerndes Licht.
So wie nach Osten gewandt, nach dem goldenen Thore des Morgens,
     Dort der Erwartungen Ziel hoffet der Pilger zu schaun:
So nach Osten auch zeigte die Spur, und schwellende Segel,
     Heiliger Sehnsucht Bild, führten zum Ziele mich hin!

Sophie Schröder.

Sie, sie soll es doch sein, die gefeiertste Mime der Deutschen,
     Die aus der Kindheit Traum mir noch als Mutter erschien.
Solches verhieß mir die Spur, der ich treu sehnsüchtig gefolgt war:
     Nun, der Ersehnten so nah’, faßte mich Zweifel auf’s Neu’!
Aber es trieb mich zuerst nach Melpomene’s Tempel die Ahnung,
     Hier, hier sollt’ ich sie sehn, hier sie erkennen vielleicht!
O wie ward ich erfaßt von dem Bild, das jetzt vor den Blicken
     Staunend erwartenden Volks wurde vorübergeführt!
„Salomes Urtheil“ war’s, es standen die Mütter, die beiden
     Schon vor dem Throne, das Schwert zuckte schon über dem Kind,
Aber in schrecklicher Qual stürzt nieder die eine der Mütter:
     „König, verschone mein Kind, gieb es der Anderen hin!“ –
Gott, wie wurde mir da! Ganz deutlich vernahm ich die eig’ne
     Stimme, so wie sie mir selbst tönt aus der volleren Brust,
Thränenden Blicks entdeckt’ ich im Antlitz die eigenen Züge,
     Stirn und Augen und Mund, selbst auch das Grübchen im Kinn.
„Mutter, Du bist’s! Ich zweifle nicht mehr, es lebet Dein Kind noch!“
     „Wilhelm! mein ältester Sohn!“ rief sie und sank mir an’s Herz.

Wie viel tiefer ergreifend, ja erschütternd war die lebendige Mittheilung vom Munde des Sohnes! Es mußte in’s Herz eindringen, wie beseligte Freude ihm dies Wiederfinden der Mutter, die zugleich als vollendete Künstlerin auch seine Ideale in dieser Richtung befriedigte, für sein ferneres Leben verhieß. Solche Freude, solche Bewunderung konnte eben nur ein Gemüth empfinden, wie es diesem Manne eigenthümlich war, den selbst nach dem Wechsel seines Lebensberufes vom Künstler- und Militärstande zum Priester der katholischen Kirche niemals die Liebe zur Kunst in höherer Bedeutung verließ. Er dankt es seinem verstorbenen Vater noch in poetischem Erguß:

„Doch was sorglich Du pflegtest im Geist des empfänglichen Knaben,
     Wie Du für edles Gebild Herz mir erschlossen und Blick,
Nie mein verändertes Loos hat Trieb mir und Neigung verwandelt,
     Bleibt mir doch Krone des Glücks, Blüthe des Lebens – die Kunst!“

Wie ihn das Bewußtsein beglückte, mit der liebevollsten Mutter eine tiefe Harmonie des Wesens zu haben, wie dieses Band ihre Herzen fest verband, das war noch dem Manne mit zweiundfünfzig Jahren in all seiner Kränklichkeit ein erhebender Gedanke! Auch seine Halbschwester Wilhelmine Schröder-Devrient, die so große Bewunderung als Künstlerin erwarb, liebte der Canonicus Smets als treuer Bruder, und erzählte mir verschiedene Züge ihres unbeschreiblich guten Herzens! Ihre Wohlthätigkeit, ihre liebenswürdige Freundlichkeit gegen jeden Stand, bezeigte sie namentlich bei einem längeren Besuch, als der Bruder Pastor einer Dorfgemeinde war. Auf einer Bauernhochzeit verschmähte sie es nicht, ein paar Tänze mit den Burschen des Dorfes zu machen und ihnen ein Volkslied vorzusingen, wodurch sie selbst diese entzückte. – Das Bild dieser ausgezeichneten Frau hatte in der That im Profil ähnliche Züge mit dem des Bruders, so verschieden auch die Stufe äußerer Schönheit unter Beiden sein mochte. Im Jahre 1848 lebten noch beide hochbegabte Frauen; die Mutter, Sophie Schröder,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 103. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_103.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)