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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

rauchende Trümmer, Mord und Plünderung, Gräuel der Verwüstung und Unmenschlichkeit, die jeder Beschreibung spotten. Zu den unglücklichsten Städten – wenn in diesem Meere von Jammer und Elend eine Steigerung überhaupt möglich ist – gehörte die freie Reichsstadt Speyer. In ihr befand sich nach vielfachen Wanderungen und Wandelungen das höchste Reichsgericht, das Reichskammergericht, und zwar seit dem Jahre 1526. Der Marschall Herzog von Duras hatte die Versicherung gegeben, daß das Kammergericht in seinen gewöhnlichen Functionen nicht gehindert werden sollte, nichtsdestoweniger wurde es am Nachmittage des 19. October 1688 militärisch beseht, die Zimmer wurden versiegelt. Später wurden die Acten auf Befehl des Intendanten de la Grange eingepackt und theilweise nach Straßburg gebracht; doch fanden manche Parteien Mittel und Wege, sie von dort aus zurückzuerhalten. Als im folgenden Jahre das Verderben über Speyer hereinbrach, der Stadt der Brand angekündigt und deren Räumung innerhalb sechs Tagen aufgegeben wurde – da mußten es auch die sämmtlichen Mitglieder des Kammergerichts über sich ergehen lassen, daß ihre Häuser, Bücher und Acten in Rauch aufgingen. Wie sie gingen und standen, so mußten sie auf ihre persönliche Rettung bedacht sein. Sie baten um Verlegung des höchsten Reichsgerichts nach Frankfurt oder Hanau „wegen ihrer guten Gelegenheit an den Strömen und andern sich dabei kundbarlich befindenden Bequemlichkeiten“, aber Frankfurt remonstrirte, weil „ein corpus von so vielen hundert Menschen Victualien und Lebensmittel theuer machen würde“. Vergebens bat die Bürgerschaft zu Mühlhausen in Thüringen (entgegen dem dortigen Magistrate) um Uebersiedelung des Reichskammergerichts, vergebens brachte Kur-Mainz die Stadt Erfurt in Vorschlag; die Stadt Wetzlar wurde mit der Reception bedacht, zum großen Verdrusse der camerales, welche wiederholt den Mangel öffentlicher und genügender Privathäuser gerügt hatten, zur Freude der Stadt, deren wackerer Reichstagsbevollmächtigter, Georg Oehlsperger, die „Räumung und Verbesserung des Rathhauses zum Gebrauch des höchstlöblichen Kammergerichts“ versprochen hatte. Nachdem sie über Jahr und Tag geruht hatten, wurden im Februar 1690 die Kammergerichtsverhandlungen wieder aufgenommen.

Und wieder kam ein französischer Tyrann und bedrohte Deutschland. Die deutschen Reichsstände sagten sich vom Reichsverbande los, sie stellten sich schamlos unter die „Garantie desselben Monarchen, dessen Absichten sich stets mit dem wahren Interesse Deutschlands übereinstimmend gezeigt hätten“. Einer nach dem andern bettelten sie bei Talleyrand um die Erlaubniß zur Existenz, und wie Gnadenbrocken warf ihnen Napoleon Länder und Ländchen vor die Füße. Der deutsche Kaiser legte die verrathene Kaiserkrone am 6. August 1806 nieder, er entband die Fürsten, Stände und alle Reichsangehörige, „insonderheit auch die Mitglieder der höchsten Reichsgerichte“ von ihren Pflichten. Die aus Speyer in fünfhundert Fässern geflüchteten und die späteren Proceßacten wurden alphabetisch registrirt, sie ergaben, die stattliche Zahl von achtzigtausend. Das Repertorium füllte allein sechs riesige Folianten.

Und wieder war es im Monat August, und wieder hatte ein Napoleon, fortspinnend den politischen Faden seines Oheims und Ludwig’s des Vierzehnten, freventlich den Krieg wider uns heraufbeschworen. Aber eine glücklichere Sonne leuchtete Deutschland, eine furchtbare Nemesis kämpfte für uns. Mitten im Waffenlärm, unter den Auspicien des ersten großen Sieges, vollzog sich in Leipzig ein Friedensact, die Constituirung des Bundesoberhandelsgerichts. In einer schwer verhängnißvollen Zeit in Wirksamkeit getreten, bedurfte es noch keines Jahres und der Gerichtshof umspannt das ganze Vaterland, Süd und Nord. Ja, während seine Competenz für Deutschland nur eine sachlich beschränkte ist und mit den particularen obersten Gerichten concurrirt, ist sie für die uns früher geraubten französischen Provinzen eine allgemeine und ausschließliche geworden. Für alle Civil- und Criminalsachen aus Elsaß und Lothringen wird in Leipzig das letzte Wort gesprochen. Es ist uns binnen wenigen Monaten so viel Großes und Erhabenes „über Bitten und Verstehen“ zu Theil geworden, daß die immenseste, folgenschwerste, bedeutungsreichste Friedensthat, die Errichtung des höchsten Reichsgerichts, noch gar nicht zum wahren Verständniß gekommen ist. Wenn dieser Krystallisationspunkt eines einheitlichen deutschen Rechts, Gerichts und Verfahrens den Glanz aller unserer particularen obersten Rechtsbehörden an sich gezogen haben wird, dann erst, wenn der böse Alp der Zerrissenheit gewichen sein wird, mag staunend noch diese Generation verwirklicht sehen, was ihr vor Jahren noch als Ideal vorschwebte, als Traum erschien. Die Stadt Leipzig aber, deß sind wir gewiß, wird eifersüchtig den Juwel hüten, den ein freundliches Geschick zum Heile Deutschlands ihr anvertraut hat!

D. C.


Vermißte Soldaten unseres Krieges.
I. Auskunft.

Ueber zwei von den dreizehn in unserer ersten Liste aufgeführten vermißten Soldaten sind bereits Nachrichten eingegangen.

Ueber den württembergischen Pionier Robert Schwarzmann (Nr. 5) drei Briefe, von welchen der erste, aus München, angiebt, daß der an Meningitis schwer Erkrankte von Dannemarie nach Karlsruhe in das Garnisonslazareth gebracht worden und wohl auf dem Wege der Besserung sei; der zweite, aus Heimen bei Heidelberg, bestätigt ersteres, glaubt aber bereits an dessen Tod, und dem dritten, aus Karlsruhe, liegt die Nr. 156 des Karlsruher Tagebl. v. 11. Juni d. J. bei, in welcher der am 9. Juni erfolgte Tod des Gesuchten angezeigt wird. Alles stimmt, nur das Alter nicht; darüber und über das Nähere mögen die Anverwandten direct mit den Militär- und den Gemeinde-Behörden von Karlsruhe sich in Verbindung setzen. Die rege Theilnahme, welche sich für diesen Cameraden hiermit gezeigt hat, ist sicherlich für die Hinterbliebenen ein Trost.

Hermann Liebich aus Sprottau (Nr. 6 der Liste) betreffend, giebt Karl Pietschker, Cand. d. Theol. in Köthen, während des Kriegs Zugführer bei der Johannitercolonne im Hauptquartier der 3. Armee und auch dem großen Publicum bekannt durch sein lesenswerthes Buch „Auf dem Siegeszuge von Berlin nach Paris“, wenigstens einige Fingerzeige, auf welche fernere Nachforschungen sich stützen können. „Am 2. September,“ erzählt er, „rückten wir von Frénois über Donchery nach den Hügeln und Thalschluchten zwischen St. Menges und Floing, wo Tags vorher das V. und XI. Corps einen furchtbaren Kampf zu bestehen hatten. Dort fanden wir zwischen Haufen von Todten noch zweiundachtzig Verwundete, die wir nach Floing transportirten, und darunter waren viele auch vom zweiten Bataillon der Sechsundvierziger, so daß H. Liebich sich ganz gut dabei befunden haben kann. Da aber die Aerzte, trotz aller Ueberfüllung der Lazarethe, dennoch schwerlich einen dort Gestorbenen unangemeldet gelassen haben, so wird wohl Liebich zu jenen Sechsern und Sechsundvierzigern gehören, welche am Nachmittag des 2. Septbr. auf der oben bezeichneten Waldwiese in größter Hast bestattet worden sind, um die Soldaten möglichst bald dem niederschlagenden Anblick des Platzes zu entziehen.“

Zum Schluß noch eine sehr viele Vermißtheiten von sicherlich Gefallenen erklärende Bemerkung. K. Pietschker hat auch bei dieser Bestattung nicht gesehen, daß den Leichnamen die bekannten Marken abgenommen worden wären. In außerordentlich vielen Fällen war dies auch nicht möglich, denn viele Soldaten, und sicherlich nicht blos katholische, hatten die so wichtige Blechmarke aus thörichtem Aberglauben („Todtenmarke“) weggeworfen, eine Handlung, welche die Feststellung der Persönlichkeit eines Todten, wenn beim Begräbniß nicht zufällig Cameraden derselben Compagnie zugegen waren, in den meisten Fällen für alle Zeit geradezu unmöglich machte.

II. Fortsetzung der Liste.

14a) Hans Hoffmann, Meininger, aus Heldburg bei Hildburghausen, beim Thüringischen Inf.-Reg. Nr. 95, 2. Bat., 8. Comp.; am 6. August bei Wörth verwundet und seitdem spurlos verschwunden. – Die Zahl der Vermißten aus dieser Schlacht ist außerordentlich groß. Wir erhalten darüber folgende Notiz:

Die protestantischen Geistlichen von Wörth haben erst vom November des vorigen Jahres an die Namen der in den dortigen Lazarethen, Gestorbenen aufgezeichnet; vorher sollen die Johanniter ein Verzeichniß aller Verwundeten der Lazarethe und ebenso der Todten geführt, aber leider weder zurückgelassen noch öffentlich mitgetheilt haben. Besteht wirklich eine solche Liste, so ist die Veröffentlichung derselben dringend zu wünschen; sie kann viele bisher vergeblich gestellte Fragen beantworten und der entsetzlichen Pein der Ungewißheit über das Loos ihrer Lieben in vielen Eltern- und Geschwisterherzen ein Ende machen.

14b) Johann Gottlieb Kliem, Preuße, aus Schwenten bei Kiebel in Posen, beim 3. posenschen Inf.-Reg. Nr. 58; seit der Schlacht bei Wörth verschollen.

15) Heinrich Gerhard Taddicken, Oldenburger, aus Haddien, Kreis Jever, beim oldenburgischen Dragoner-Regiment Nr. 19, 1. Escadron; bei Mars-la-Tour am 16. August 1870 verwundet und, nach des Wachtmeisters Auskunft, in ein Lazareth zu Pont-à-Mousson gebracht, aber seitdem spurlos verschwunden. Die alten Eltern hatten alle ihre vier Söhne im Kriege, drei sind gerettet, aber das ungewisse Schicksal dieses Lieblings der Mutter zehrt ihr am Leben.

16) Karl Hermann Winzer, Sachse, der noch nicht achtzehnjährige einzige Sohn der verwittweten Frau Henriette Winzer zu Pirna, beim k. sächs. Leib-Grenadier-Regiment Nr. 100, 4. Comp.; soll, nach Erzählungen seiner Cameraden, in einem Patrouillengefecht bei Bondy vor Paris am 5. Jan. d. J. erschossen und von Soldaten des 103. Regiments in einem Graben verscharrt worden sein. Kann keiner dieser Cameraden der Mutter des jungen Helden schriftliche Kunde über sein Ende zukommen lassen?

17) Theodor Riem, Preuße, aus Asbach bei Schmalkalden, beim k. Preuß. Inf.-Reg. Nr. 81, 9. Comp. (3. Reserve-Division); bei einem nächtlichen Ausfall vor Metz am 7. Oct. 1870 verwundet, angeblich in das Feldlazareth Rombas bei Diedenhofen gebracht, aber dort vergeblich gesucht und seitdem nirgends zu finden.


Gefunden! Sattler Friedrich Buchholz aus Paris, dessen Aufenthaltsermittlung im Interesse seiner in der Schreckenszeit nach Darmstadt geflüchteten Familie der Gegenstand unsrer Notiz in Nr. 21 der Gartenlaube war, ist gefunden. Er hatte in Wettenscheid in Westphalen nothdürftige Beschäftigung erhalten und glaubte seine Familie noch in Paris, als ihn die Nachricht ihrer Flucht nach Darmstadt in dem Stillleben des westphälischen Städtchens überraschte.

In Darmstadt mit seinen Lieben alsbald vereinigt, hat er nunmehr in der renommirten Fabrik des Herrn Gretsch in Offenbach Arbeit in seiner Specialität (Reiseflaschen mit Lederüberzug) gefunden und ist seine Familie bereits dorthin übergesiedelt.

Mögen die Franzosen nur fortfahren, mit den deutschen Arbeitern deutschen Fleiß und Anstelligkeit und den ihnen daraus bisher im Uebermaß zugeflossenen Vortheil von sich zu weisen. Die vaterländische Industrie wird sich nicht schlecht dabei befinden.


Kleiner Briefkasten.

R. G. Wir gratuliren Ihnen zu Ihrem Scharfsinn. Allerdings muß es im zweiten Abschnitt der Erzählung von Vacano (Nr. 27, S. 442, Sp. 2) statt: zehn Jahre nach der Geburt einer Tochter – „ein Jahr nach der Geburt einer Tochter“ heißen. Selbstverständlich liegt hier ein Druckfehler vor, den wir zu entschuldigen bitten.

A. F. in Kragujevac. Senefelder, der Erfinder der Lithographie, ist im Jahre 1771 in Prag geboren.

C. P. Martini, Rußland. Wir danken Ihnen für Ihr Anerbieten, können es aber wegen Raummangels nicht benützen. Das Manuscript steht Ihnen auf Verlangen wieder zu Diensten.

Th. W. Straße und Hausnummer allein genügen nicht; zu einer vollständigen Adresse gehört auch die Nennung der Stadt, die Sie in Ihrem Briefe leider vergessen haben. Holen Sie das Versäumte doch gefälligst nach, damit wir Ihnen den Artikel „Aus meinem Kriegstagebuche“ wieder zustellen können.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 528. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_528.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)