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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


fehlt die mikroskopische Untersuchung. Ich hoffe, es werden viele Leser die Beobachtung von Brown-Sequard an sich und ihren Bekannten controliren; es wäre die mikroskopische Untersuchung eines solchen Haares von großer Wichtigkeit. Wenn, wie ich vermuthe, in einem solchem Haar der Farbstoff sich völlig erhalten zeigte, so schiene die Möglichkeit, es könne sich etwas Analoges am Haupthaar finden, etwas größer; mehr dürfte man allerdings nicht sagen, denn der Bau des Barthaares ist ein anderer als der des Kopfhaares; jener ermöglicht nämlich in weit ausgedehnterem Maße ein Auseinanderweichen seiner Rindenschichten, also auch das Eindringen kleiner Luftbläschen und Luftsäulchen.

Für das seit jeher gefürchtete Uebel, das vorzeitige Ergrauen, über welches ich im nächsten Aufsatz sprechen werde, hat die Luftentwicklung im Haare jedenfalls nur eine äußerst geringe Bedeutung; ich habe sie noch nie bei diesen Zuständen gesehen; vielmehr ergab die Untersuchung in allen Fällen eine mehr oder weniger vollständige Abwesenheit des Farbstoffs.

Da die Beschaffenheit des Gesammthaares bei einfachem Ergrauen und bei der Verbindung von Ergrauen mit Haarschwund sich in dem täglichen Haarausfall spiegelt, so stelle ich nachträglich in einer kleinen Tabelle die Zahlen zweier solcher Fälle nebeneinander. Der Leser möge sich von der langen Reihe von Zahlen nicht abschrecken lassen, er möge sie aufmerksam durchlesen und er wird finden, daß ihm namentlich über „das vorzeitige Ergrauen des Haupthaares“ daraus erst die rechte klare Einsicht aufgehen wird.

Zur Feststellung aller auf das Haupthaar bezüglichen Verhältnisse eignet sich nur das ungekürzt getragene Frauenhaar, weil wir allein bei ihm den ganzen Entwicklungsgang zu übersehen vermögen; es ist aber die Kenntniß dieses ganzen Entwicklungsganges nöthig, wenn man sich vor falschen Schlüssen bewahren will. Die eingeklammerten Zahlen der Tabelle bedeuten den Procentsatz der betreffenden Hauptzahl.


Ausfall von drei Tagen.
A. Dame von
60 Jahren: Einfaches
Ergrauen des Kopfhaares
B. Dame von 60 Jahren:
Ergrauen des
Kopfhaares neben
gleichzeitigem Leiden
des Haarschwundes.
1. Gesammtausfall 451 438
Darunter zwischen 1-2 Zoll 38 (8%)*1 157 (36)
     "          "             2-6 " 153 (34) 175 (40)
     "               über   6 " 260 (58) 106 (24)
2. Es hatten unter den Haaren
des Gesammtausfalls
eine deutliche Spitze
205 (45)*2 324 (74)
Darunter zwischen 1-2 Zoll 20 (53%)*3 133 (85)
     "          "             2-6 " 87 (57) 139 (80)
     "               über   6 " 98 (38) 52 (49)
3. Der Gesammtausfalls enthielt
starke Haare
207 (46) 171 (39)
Darunter zwischen 1-2 Zoll 13 (6) 45 (26)
     "          "             2-6 " 36 (17) 47 (28)
     "               über   6 " 158 (76) 79 (46)
Mittelstarke Haare 109 (24) 138 (31)
Darunter zwischen 1/2-2 Zoll 16 (15) 41 (30)
     "          "             2-6 " 30 (27) 72 (52)
     "               über   6 " 63 (58) 25 (18)
Feine Haare 135 (30) 129 (30)
Darunter zwischen 1/2-2 Zoll 9 (7) 74 (58)
     "          "             2-6 " 91 (68) 53 (41)
     "               über   6 " 35 (25) 2 (1)

*1 Das heißt 8% vom Gesammtausfall (451)
*2    "      "   45% vom Gesammtausfall (451)
*3    "      "   53% von den gesammten Haaren zwischen 1-2 Zoll (38).

Ich gebe eine kurze Erläuterung zu dieser Tabelle:

Zumeist wird es die meisten Leser überraschen, daß bei der ersten haargesunden Dame der Gesammtausfall (451) größer war als bei der zweiten (438), welche neben dem Ergrauen noch an einem beginnenden Haarschwund litt. Ich bemerke hierauf zunächst gegen eine irrige Ansicht, welche ich sehr oft habe aussprechen hören: es ist die kleinere Zahl des Gesammtausfalls bei der zweiten Dame nicht etwa so zu erklären, als hätte dieselbe in Folge ihres Haarleidens nicht mehr so viel Haare wie früher oder wie die erste Dame; zwischen der Haarmenge bestanden keine Differenzen, aber der Haarwuchs der zweiten Dame sah dünner aus, weil schon eine beträchtliche Zahl der einzelnen Haare an ihrer Dicke eingebüßt hatte. Dann wiederhole ich, was ich schon im ersten Aufsatze gesagt habe: nicht die absolute Menge des Haarausfalls zeigt die beginnende oder bestehende chronische Haarkrankheit an, sondern die Qualität desselben (viel kurze oder viel dünne Haare).

Wenn das Haar bei seinem Ausfallen seine deutliche Spitze behalten hat, so ist das ein Beweis für eine ursprünglich große Festigkeit seines Gefüges; so ist das Haar der zweiten Dame gewesen: 74 % ihrer Haare hatten ihre Spitze erhalten, bei der ersten Dame nur 45 %; die größte Differenz zeigt sich bei den kurzen Haaren, 85 % und 53 %; bei den langen Haaren wird der Unterschied geringer: hier konnte die Krankheitsursache der ursprünglichen Kräftigkeit längere Zeit entgegenwirken.

Das Vorhandensein dieses Krankheitszustandes erhellt aus zwei Momenten:

1) aus der großen Zahl der kurzen Haare sie betragen – sie betragen 76 % des Gesammtausfalls (bei der ersten Dame nur 42 %);
2) aus dem geringen Dickendurchmesser der ausgefallenen Haare.

Die normale Stärke fand sich bei der ersten Dame in 46 %, bei der zweiten nur in 39 %; die feinen, ganz dünnen Haare waren zwar bei beiden in gleichem Procentsatz vertreten (30 %), aber im zweiten Falle war die größere Hälfte derselben (58 %) ganz kurz, also wirkliches Wollhaar: Feinheit und Kürze waren hier nicht Resultat natürlicher Anlage (wie an der Grenze des Haarwuchses nach Gesicht und Nacken hin), sondern Resultat der Krankheit; im ersten Falle fanden sich solche Haare nur 7 %; dafür erreichten in diesem unter den feinen Haaren 25 % eine Länge über 6 Zoll, im zweiten nur 2 Zoll.

Ueber den Stand des Haarausfalls, soweit er hierher gehört, giebt folgende kleine Tabelle Auskunft:


1. Dame.
Haarausfall von
3 Tagen
2. Dame.
Haarausfall von
4 Tagen
Summarischer Haarausfall 437 514
a) Darunter ganz weiß 138 (31%) 53 (10%)
          "     von 1-2 Zoll 9 (7) 10 (19)
          "     "     2-6 Zoll 43 (31) 34 (64)
          "     über 6 Zoll 86 (62) 9 (17)
b) Die Wurzel allein ganz weiß 34 (8%) 7 (1,3%)
          "     "     2-6 Zoll 3 - -
          "     über 6 Zoll 31 7
c) Die Spitzen allein weiß 7 (1,6%) 4 (0,8%)
          "     "     2-6 Zoll 1 4 -
          "     über 6 Zoll 6 - -
d) Spitze und Wurzel weiß,
Das Mittelstück gefärbt
3 (0,7%) - -
e) Mitte allein weiß,
Spitze und Wurzel gefärbt
3 (0,7%) - -
f) Wiederholter Farbwechsel 1 (0,23%) - -


Diese Tabelle zeigt, daß unter den theilweise oder ganz weißen Haaren die meisten in ihrer ganzen Ausdehnung weiß waren, sie enthielten bei der mikroskopischen Untersuchung fast gar keinen Farbstoff, es unterliegt danach nicht dem geringsten Zweifel, daß sie an Stelle der früher gefärbten Haare nach dem Ausfallen derselben gleich vom Hause aus weiß gebildet worden waren.

Ein kleiner Theil der weißen Haare zeigte die Spitze und eine weite Strecke des Haares farbig und nur das Wurzelende weiß, es fand sich an diesem weißen Wurzelstück bei der mikroskopischen Untersuchung gleichfalls sehr wenig Farbstoff; es ist sonach gleichfalls unzweifelhaft, daß die haarbildende Stätte im Lauf der Bildung ein und desselben Haares die Fähigkeit zur Production von Farbstoff eingebüßt hatte.

Ein noch kleinerer Theil zeigte die Spitze weiß, die ganze übrige Strecke des Haares farbig; in der weißen Spitze fehlte der Farbstoff.

Sehr vereinzelt kam es vor, daß Spitze und Wurzel weiß erschienen, das Mittelstück hingegen farbig, oder umgekehrt, daß Spitze und Wurzel dunkel waren und nur das Mittelstück weiß,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 555. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_555.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)