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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

die Genies unter den Kindern ganz gemein geworden. Später sahen freilich die Leute ein, daß es nicht sowohl in den außergewöhnlichen Anlagen der Kleinen, als in der glücklich getroffenen plastischen Diction steckte.“

„Und trotzdem, lieber Freund,“ bemerkte ich, „hat man Ihre Bilderbücher herzhaft angegriffen, an denselben das gar zu Märchenhafte, in den Bildern das fast Fratzenhafte herb genug getadelt.“

„Ja,“ erwiderte der Freund, „man hat den Struwwelpeter großer Sünden beschuldigt. Da heißt es: ‚Das Buch verdirbt mit seinen Fratzen das ästhetische Gefühl des Kindes.‘ Nun gut, so erziehe man die Säuglinge in Gemäldegalerien oder in Cabineten mit antiken Gypsabdrücken! Aber man muß dann auch verhüten, daß das Kind sich selbst nicht kleine menschliche Figuren aus zwei Kreisen und vier geraden Linien in der bekannten Weise zeichne und glücklicher dabei ist, als wenn man ihm den Laokoon zeigt. – Das Buch soll ja märchenhafte, grausige, übertriebene Vorstellungen hervorrufen! Das germanische Kind ist aber nur das germanische Volk, und schwerlich werden diese National-Erzieher die Geschichte vom Rothkäppchen, das der Wolf verschluckte, vom Schneewittchen, das die böse Stiefmutter vergiftete, aus dem Volksbewußtsein und aus der Kinderstube vertilgen. Mit der absoluten Wahrheit, mit algebraischen oder geometrischen Sätzen rührt man aber keine Kinderseele, sondern läßt sie elend verkümmern. – Und wie viele Wunder umgeben denn nicht auch den Erwachsenen, selbst den nüchternsten Naturforscher! Dem Kinde ist ja Alles noch wunderbar, was es schaut und hört, und im Verhältniß zum immer noch unerklärten ist überhaupt die Masse des Erkannten doch auch nicht so gewaltig. Der Verstand wird sich sein Recht schon verschaffen, und der Mensch ist glücklich, der sich einen Theil des Kindersinnes aus seinen ersten Dämmerungsjahren in das Leben hinüber zu retten verstand.

Meine weiteren Bücher der Art, ‚König Nußknacker‘, ‚Im Himmel und auf der Erde‘, ‚Bastian der Faulpelz‘, entstanden in derselben Absicht und aus derselben Ansicht, und mein neuestes, demnächst erscheinendes, ‚Prinz Grünewald und Prinzessin Perlenfein‘, hat sich außerdem an kleine Persönlichkeiten selbst, diesmal an meine kleinen Enkelchen, gewendet. Immer aber ging ich von der Ueberzeugung aus: das Kind erfaßt und begreift nur, was es sieht.“

„Nehmen Sie,“ fuhr er fort, „als Erinnerung unseres heutigen frohen Wiedersehens dieses neueste Product meiner unvertilgbaren Kinderbeglückungslust. Von Text und Bildern kann ich auch hier sagen: ‚ipse fecit‘. Es wird in diesem Herbste ausgegeben werden; warten wir ab, was die unbestechliche Kritik der Kinderwelt dazu sagen wird!“

Mit Freude empfing ich das artige Gastgeschenk. Auf meinem Zimmer betrachtete ich noch spät in der Nacht die bunten Blätter des von Hoffmann’schem Geiste reichlich erfüllten Büchleins (über dessen Werth wir selbst kein Urtheil haben, da es uns bis jetzt noch nicht vorgelegen hat. D. Red.). Doch ich will vorerst nichts von seinem originellen Inhalte verrathen, als Probe will ich nur meinen freundlichen Lesern und Leserinnen jetzt schon die zartempfundenen Verse mittheilen, womit der Verfasser dies neueste Bilderbuch seinen beiden Enkelchen, deren Bildnisse das Widmungsblatt zieren, zugeeignet hat. Sie lauten:

Seinen lieben Enkeln Heiner und Karl
widmet dieses Buch der
 Großvater.

Die Tage flieh’n. Es war vor vielen Jahren,
Als eure Eltern selbst noch Kinder waren,
Da schrieb ich diesen manch ein buntes Buch.
Ich wurde alt, und all der Herrlichkeiten
Gedachte ich als längstvergang’ner Zeiten,
Die weit hinab der Strom des Lebens trug.

Da kamet ihr, und euer kindlich Treiben
Lehrt mich auf’s Neue, bunte Verse schreiben,
Und freudig nahm das Herz den alten Schwung.
Und mir gelang’s, so meine ich, nicht minder.
Nehmt diese Blätter, Kinder meiner Kinder!
Die alte Liebe wurde wieder jung.

Ihr dankt mir wohl? – Ich selbst hab’ euch zu danken!
Oft sah ich eure Kinderschritte wanken,
Und war zu führen euch dann treu bestrebt;
Jetzt aber wißt ihr mir den Weg zu sagen,
Den Weg zurück zu sonnig hellen Tagen: –
Der altert nicht, wer mit der Jugend lebt.

F. S.     


Literaturbriefe an eine Dame.
Von Rudolf Gottschall.
VII.

Es giebt, Madame, bekanntlich mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als unsere Schulweisheit sich träumen läßt.

Dies gilt auch von den Frauen, welche von Frauenlob bis Schiller so viele Verherrlicher gefunden haben, denen man neuerdings aber die „himmlischen Rosen“, mit denen sie das irdische Leben schmücken sollen, in Blumen von sehr zweifelhaftem Glanz und Duft verwandelt hat. Die süßen Geheimnisse, die man früher in Frauenherzen suchte, sind jetzt zu Mysterien sehr abschreckender Art geworden, wenn man wenigstens manchen Autoren glauben darf, die sich mit diesen Nachtseiten der weiblichen Seele angelegentlich beschäftigt haben. Was sich die alte Schulweisheit nicht träumen ließ, das träumt eine neue, die jetzt eine bedeutende Herrschaft über die Geister ausübt. Sie kennen Ihren Nachbar, den Rittergutsbesitzer, der nach Vollendung seiner Studien sich jetzt mit der Bewirthschaftung seiner Güter beschäftigt. Er ist noch jung und geistreicher, als die meisten anderen Kreisstände, deren Himmel voll Geigen hängt im Sommer, wenn eine gute Ernte in Aussicht steht, und im Winter, wenn sie Glück in ihrem L’hombre-Kränzchen haben. Doch sein Aussehn hat etwas Finsteres, Unheimliches, das nur bisweilen durch sarkastische Geistesblitze aufgehellt wird; wenn er mit seinem schwarzen Pudel über die Felder schreitet, kann man ihn für einen Faust halten, der sich an den Strand der Ostsee verirrt hat. Den Frauen gegenüber hat er etwas unsäglich Ueberlegenes; seine Galanterie hat etwas Hohnlachendes; er spricht mit ihnen wie mit Geschöpfen, die von einem untergeordneten Planeten stammen, und zeigt mehr Gemüth gegen seinen Hund, als gegen die vielbesungenen Wunder der Schöpfung.

Nun, dieser Philosoph ist ein Schüler Schopenhauer’s, eines Mannes, der über die Frauen und die Liebe sehr ketzerische Ansichten hegte und einige der schwersten Schlagschatten in sein düsteres Weltgemälde bei der Zeichnung des ewig Weiblichen warf. Ein anderer Philosoph ging noch weiter in der Schilderung der Illusionen der Liebe: es ist dies der Philosoph des Unbewußten, E. v. Hartmann, der im Uebrigen eines der geistreichsten Werke neuer Weltweisheit geschrieben hat. Die schöne Literatur, die sich oft aus diesen geistigen Reservoirs befruchtet, wollte nicht zurückbleiben hinter den Attentaten auf die Weiblichkeit, welche von Seiten dieser tiefen Denker stattfanden. Namentlich aber ist es ein netter Novellenautor, Sacher-Masoch, der in seinen Frauen uns kleine Ungeheuer zu schildern liebt, welche, ähnlich wie der Meerpolyp in Victor Hugo’s „Meeresarbeitern“, mit ihren Fangarmen und Saugnäpfchen dem Herrn der Schöpfung Blut und Leben aussaugen.

Sacher Masoch ist kein Novellist von denjenigen, von denen zwölf auf ein Dutzend gehn. Er hat eine reiche Phantasie von Gluth und Ueppigkeit, entschiedenes Darstellungstalent, das sich besonders in stimmungsvoller Naturmalerei auszeichnet, Witz und Esprit, welche aus seiner Weltanschauung wie aus einer dunkeln Wolkenwand hervorblitzen. Umsomehr ist es zu bedauern, daß er in seinen neuesten Werken eine Originalitätssucht zeigt, welche mit abenteuerlicher Keckheit das weibliche Ideal zertrümmert, wie es auf germanischem Boden sich herrlich entfaltet hat, und an seine Stelle weibliche „Spottgeburten von Dreck und Feuer“ setzt. Nicht immer, nicht überall, aber oft genug, daß die Kritik sein Talent zur Ordnung rufen und vor einigen seiner Erzählungen eine weitleuchtende Warnungstafel errichten kann.

Dies gilt auch von dem zweibändigen Roman: „Die geschiedene

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 770. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_770.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)