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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

in welcher man Geld prägen kann. James Fisk ist ihm der Mann, der seine Ideen zur Ausführung bringen könnte. Auf der Erie-Bahn konnte man das rohe Oel zu wohlfeilen Frachtsätzen herbeischaffen und es nach seiner Läuterung auf demselben Wege an seine Absatzplätze verführen. Dem Erie-Prinzen leuchtete die Sache ein; das Etablissement wurde gepachtet, eine Actiengesellschaft gegründet und Eduard wurde Schatzmeister, zugleich aber auch – der begünstigte Liebhaber Josephinens, in deren Haus Fisk thörichter Weise seinen jungen Freund eingeführt hatte. In wenig Monaten hatte der Schatzmeister der Oelläuterungs-Compagnie beinahe hunderttausend Dollars in die eigene Tasche wandern lassen und in Folge dieser Speculation wurde er verhaftet. Doch es dauerte nicht lange, so wurde ein Vergleich abgeschlossen, durch welchen Stokes zu dem bereits bezogenen Gelde noch fünfzehntausend Dollars erhielt, um ihn aus dem Geschäfte zu entfernen. Auch wir wollen uns von der öligen Raffinerie wieder in die Gemächer der Buhlerin zurückbegeben, wo diese, während sie ihrem Wohlthäter Liebe heuchelt, mit ihrem neuen Freunde auf sein Verderben sinnt.

Die an seine „Josie“ gerichteten Liebesbriefe Fisk’s finden sich plötzlich in den Händen von Eduard Stokes, der unter Mittheilung einer Abschrift derselben und unter der Androhung, sie zu veröffentlichen, von James Fisk die Kleinigkeit von zweihunderttausend Dollars verlangt. Aber Fisk läßt sich nicht so leicht in Schrecken jagen. Wozu hat er auch seine Kadis? Er erwirkt also ein richterliches Verbot, durch welches die Veröffentlichung dieser Briefe untersagt wird. Die Juristen nennen dies eine Injunction, und einer solchen wagt weder Stokes, noch ein Zeitungsherausgeber, oder ein Drucker entgegenzuhandeln. Fisk hatte zur Erwirkung des richterlichen Befehls sich eines Documents bedient, welches eine beeidigte Aussage des früher in Josephinens Diensten gestandenen farbigen Dieners enthielt, und nun erhob Stokes Anklage auf Verleitung zum Meineid. Während die Voruntersuchung bei einem Polizeirichter in Yorkville bei New-York stattfand, erschien Fisk vor der Grand Jury und dem Criminalgericht der Stadt und erwirkte die Inanklageversetzung des Stokes wegen versuchter Gelderpressung.

Wir führen den Leser vor das Polizeigericht, wo eben Josephine Mansfield in reicher Seidenrobe, strotzend von Gold und Diamanten, gegen den Geber dieser Schätze Zeugniß ablegt. Sie ist gerade von den Advocaten Fisk’s in’s Kreuzverhör genommen, das heißt man läßt sie moralisch Spießruthen laufen. Mit unbarmherziger Kaltblütigkeit wühlen die Männer des Gesetzes in ihrer Vergangenheit. Jede einzelne Phase ihres Lebens wird zergliedert und sie selbst ist es, welche die Geschichte in Antworten wiederholen muß, die ihr die Anwälte in Form von Fragen in den Mund legen. Ein amerikanischer Advocat im Kreuzverhör kann schrecklich sein. Nicht besser ergeht es dem Stokes; nur daß man ihm eine Fortsetzung der Folterqualen in der nächsten Sitzung in Aussicht stellt. Er weiß, daß dann seine Verbindungen mit professionellen Spielern, Fälschern und Dieben an das Tageslicht gezogen werden sollen. Thränen der Wuth in den Augen verläßt Josephine, tödtlichen Haß im Herzen Stokes das Gericht. Sie treten in Josephinens Boudoir, ein Freund eilt herein und meldet, daß Stokes in Anklagezustand versetzt, der Verhaftsbefehl bereits in den Händen des Sheriff ist. „Wäre ich ein Mann,“ flüstert das Weib, „so wüßte ich, was ich zu thun hätte.“ Und fort stürzt der Mörder, sein Opfer zu suchen. Im Grand Central-Hôtel fand er Fisk, als dieser gerade die Treppe hinaufeilte, um die Wittwe eines Mannes zu besuchen, der ihm in früherer Zeit eine Wohlthat erwiesen, für die er nie aufhörte dankbar zu sein. Von oben herab, aus sicherem Hinterhalte traf ihn die Kugel mitten in die Brust.

Es war noch nicht lange, als man ihn um einen Geldbeitrag angesprochen hatte, um die Umzäunung des Friedhofes in jenem grünen Thale in Vermont zu erneuern. „Wozu denn,“ sagte er scherzend, indem er zugleich einen tiefen Griff in seine Börse that, „ein neuer Zaun? Für die drinnen ist der alte stark genug, und die noch außen sind, werden sich auch nicht sehr herbeidrängen, um hinein zu kommen.“ Dort in der kleinen Vaterstadt ist nun sein Grab. Die Verwünschungen, die ihm während seines Lebens um seiner Thaten willen folgten, sind verstummt, und nur seine guten Eigenschaften, seine guten Handlungen sind lebhaft in der Erinnerung seiner Mitbürger geblieben. Es ist dies ein schöner Zug des amerikanischen Charakters, das Böse zu vergessen und sich auf die Seite des Schwächern und des Verfolgten zu stellen.

Ob in dem nun folgenden Gerichtsdrama die blinde Göttin mit fester Hand die Wage der Gerechtigkeit halten oder ob diese Wage schwanken wird, – wer vermöchte dies vorauszusagen?




Aus den letzten Tagen einer Vielgenannten.


Nach den persönlichen Mittheilungen Hermann Hendrichs’ erzählt von E. Laddey.


In der Bockenheimer Gasse der schönen Stadt Frankfurt am Main stand in den dreißiger Jahren ein kleines, altes Haus; wenn man die winklige Treppe desselben hinaufstieg, gelangte man zu einer kleinen seltsamen Wohnung, in welcher eine noch seltsamere Frau ihre letzten Lebenstage verlebte; von ihr wollen wir hier erzählen.

Es gab eine Zeit, da waren die eisgrauen Locken dieser Frau glänzend schwarz, da blitzten diese matten, kranken Augen in Feuer und Lebenslust und da entströmte den rothen lebensfrischen Lippen das übermüthige originelle „Lied eines Schwabenmädchens“, das unsern volksthümlichsten Dichter zum dritten, zum unglücklichsten Ehebunde lockte. Wer konnte es jetzt wohl noch dieser alten Frau mit dem phantastischen Kopfputz und dem Schlafrock von türkischem Kattun ansehen, daß sie die Macht besessen, das Bild einer Molly, wenn auch nur für kurze Zeit, aus dem Herzen ihres Dichters zu verbannen und seiner Leier neue Töne zu entlocken? Und doch war es so, die alte Dame in dem winkligen Erkerstübchen war Niemand anders, als die einst hochgefeierte und dann oft lieblos und ungerecht geschmähte Elise Hahn, Bürger’s letzte Gattin.

Jahre, lange Jahre waren über den wonnigen Traum von Glück und Liebe, über die Schmerzen und Enttäuschungen der kurzen, unseligen Ehe dahingerauscht, Bürger’s Feuergeist hatte längst Ruhe unter der kühlen Rasendecke gefunden, jetzt war er mit seiner Molly vereint; denn ewig verbunden tönen die Namen Bürger und Molly durch die Welt, während Dora und Elise nur die dürren Zweige an dem stolzen Liebesbaume sind. – Arme Dora! dich beklagt man und bewundert dich, dein langes Martyrium hat dein Andenken geweiht! – Aermere Elise! dir kann es die Welt nicht vergeben, daß Molly’s Dichter ihrem Grabe um deinetwillen untreu werden konnte! Geschmäht, verlästert und verdächtigt floß dein unruhvolles Leben dahin und weder die Poesie, noch die leichtverrauschenden Triumphe, die du als Bühnenkünstlerin und Declamatrice einerntetest, konnten dir Ersatz gewähren für ein zerstörtes Dasein, für ein unwiederbringlich verlorenes Ideal!

Derartige Gedanken mochten wohl in der Seele der alten Frau in der Bockenheimer Gasse wogen, denn wie verloren von der Gegenwart saß sie auf dem alten Kanapee, den Kopf tief auf die Hand gesenkt. Schmerzlich zuckte es manchmal in den faltigen Zügen auf, höhnisch und bitter zog sich der Mund zusammen und mancher Seufzer entwand sich der erinnerungsschweren Brust. Plötzlich stand sie auf und schritt hastig und erregt im kleinen Stübchen umher, grollend betrachtete sie ihre ärmliche Umgebung; da hingen Bilder bekannter Dichter und Schauspieler in blind gewordenen Goldleisten, geschmückt mit verdorrten Lorbeerkränzen, mit verblaßten Schleifen. Wohin war die Zeit, da man sie ihr huldigend geweiht? –

„Lorbeer und Elend,“ flüsterte Elise bitter lächelnd, „ihr gehört zueinander! Verdorrt, wie die Kränze da, sind Ruhm und Ehre, Glück und Liebe! Die alte Komödiantin ist von der Weltbühne abgethan! – Alte Leute aber wollen auch leben, sie können nicht lernen, ihren Hunger zu bezwingen, sie brauchen Holz, ihre armen Glieder zu erwärmen! – Ich bin wieder einmal am Ende, ganz am Ende!“ sagte sie nach einer langen Pause ruhiger. „Habe ich nichts, gar nichts mehr, dessen ich mich entäußern könnte?“ Ihr Auge überflog ihre Habseligkeiten – werthloser Flitter, theatralischer Aufputz war Alles, was ihr geblieben war.

Da trafen ihre Augen ein altes Buch in Albumform, unwillkürlich blieben sie länger darauf haften. „Wenn ich mich entschließen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 126. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_126.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)