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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

im Einzelnen liegt der medicinischen Wissenschaft ob, für unsere Zwecke genügt es festzustellen, daß die Visionen auf Vorgängen innerhalb des Körpers beruhen, daß sie, wodurch auch immer veranlaßt, rein subjectiver Natur sind und daß der Visionär sich mit demselben subjectiven Recht und objectiven Unrecht auf die Erfahrung seiner Sinne berufen kann wie der Träumer.

Es erübrigt uns noch, einige Einwendungen gegen die natürliche Ableitung der Visionen zu besprechen. Die gewöhnlichste derselben ist die, daß doch oft genug dem Visionär Enthüllungen zu Theil werden, zu welcher er auf dem gewöhnlichen Wege menschlicher Erkenntniß nimmermehr hätte kommen können. Zum Beweise werden solche Fälle angeführt, in welchen der Visionär Orte mit größter Genauigkeit beschrieben, die er mit leiblichen Augen nie gesehen, Dinge mitgetheilt, die hundert Meilen von ihm im Augenblick der Vision oder die in ferner Zukunft genau, wie er’s gesagt, stattgefunden hätten. Indessen sind nur äußerst wenige Fälle der Art so bezeugt, daß ihnen wirklich eine gewisse Glaubwürdigkeit nicht wohl abgesprochen werden kann; diesen wenigen Fällen aber stehen unzählige gegenüber, in welchen der Visionär, sowie er bestimmte Angaben machte, sich täuschte. Es wird auch damit nicht anders sein als auf dem verwandten Gebiete der Vorahnungen und Träume. Unsere Träume und Ahnungen stellen eine solche Menge kaleidoskopischer Bilder vor die Seele, daß wir im wechselvollen Spiele des Lebens hin und wieder auch eines entdecken, das uns an den Traum, an die Ahnung erinnert. Da stehen wir dann staunend still und machen viel Aufhebens davon, während wir es als die alltäglichste Sache von der Welt sofort vergessen, wie wir uns tausendmal in unseren Träumen und Ahnungen betrogen haben. Es ist im Grunde nur eine Posse, welche die Eitelkeit uns spielt. Wie schmeichelt es dem Menschen, in irgend einem Punkte die seiner Erkenntniß gesetzten Schranken durchbrochen, sich irgend einmal im Besitze einer übermenschlichen Kraft befunden zu haben! Und wenn die Visionäre noch immer Gläubige finden –

Stolz und nichts als Stolz! Der Topf
Von Eisen will mit einer Silberzange
Gern aus der Gluth gehoben sein, um selbst
Ein Topf von Silber sich zu dünken.

Daneben ist es ja freilich auch viel bequemer, sich auf Träume und Ahnungen zu verlassen, als klar und ernst die Sachlage in’s Auge zu nehmen und aus der Gegenwart verständig auf die Zukunft zu schließen.

Wie aber ist es mit den Erscheinungen, die einer ganzen Anzahl Menschen zu gleicher Zeit zu Theil wurden? Der Einzelne mag sich immerhin täuschen; aber kaum glaubhaft scheint’s, daß da nicht ein wirklicher Vorgang stattgefunden, wo eine Reihe von Zeugen zu gleicher Zeit dasselbe gesehen. Hierauf ist zu erwidern, daß der visionäre Zustand ansteckend ist wie andere Seelenkrankheiten. Eine Gespenstergeschichte wird dadurch in nichts glaubhafter, daß sie von einer Menge Personen bezeugt wird. Als der fromme Erzbischof von Canterbury, Thomas Becket, in seiner Kathedrale am Altar durch das unbedachte Zornwort Heinrich des Zweiten erschlagen worden war, da machte der jähe Tod des gewaltigen Kirchenfürsten auf die versammelten Gläubigen einen solchen Eindruck, daß er in der Folgezeit einer ganzen Anzahl seiner Getreuen wiedererschien, die alle versicherten, ihn gesehen, seine Worte gehört zu haben. Savonarola, durch den Spruch des Papstes gehängt und dann verbrannt, ist darnach von mehr als hundert seiner Anhänger gesehen worden. Ja, eine ganze Genossenschaft von Nonnen ließ es sich nicht ausreden, daß der Märtyrer nach seinem Tode das Hochamt vor ihnen gehalten und ihnen durch das Gitterfenster den Leib des Herrn dargereicht habe. Daß irgend ein äußerer Anlaß vorhanden, wenn mehrere Personen plötzlich zugleich Derartiges wahrnehmen, kann immerhin zugegeben werden. Ein plötzlicher Luftzug, Gewitterschwüle, dumpfe Nebel, feuchte Wände, Sumpfgas und dergleichen mögen die Väter manches Gespenstes gewesen sein; die Mutter aber ist jedenfalls die krankhafte Disposition des Visionärs oder der Visionäre; und es ist für die Wirklichkeit oder Unwirklichkeit des Vorgangs völlig unerheblich, ob er durch eine oder hundert Personen bezeugt wird.

Ein letzter Einwand ist noch der, es sei doch undenkbar, daß weltgeschichtliche Umwälzungen, wie sie durch Mohamed und die Jungfrau von Orleans, von Anderen zu schweigen, hervorgebracht wurden, der zufälligen krankhaften Disposition dieser Persönlichkeiten ihr Dasein zu verdanken hätten. Dem gegenüber wollen wir zuerst daran erinnern, daß die Visionen ihre ungeheure Wichtigkeit in der Regel doch nur für die einzelne Persönlichkeit haben, der dadurch, wie mit einem Blitzschlage, ihr Beruf auf Erden klar wird; ob das nun dadurch geschieht, daß ihr in einem krankhaften Vorgange die Gedanken ihres Herzens gegenständlich werden, oder auf eine einfachere Weise, z. B. durch den Zuspruch einer Frau, eines Freundes, ein Dichterwort oder dergleichen, das kann der wahren Größe eines weltgeschichtlichen Charakters weder etwas nehmen noch geben. Weiter aber ist eine gewisse krankhafte Disposition auch in anderen Gebieten oft die Bedingung zu den höchsten Leistungen. „Die Perle,“ sagt Karl Hase, „entsteht auch durch eine Art Krankheit in der Muschel, und der heilige Wahnsinn des Dichters, von dem Platon und Shakespeare sprechen, ist auch kein gewöhnlicher gesunder Zustand, bei welchem man ruhig schläft und gut verdaut.“

Dem geneigten Leser aber, der mir bis hierher mit musterhafter Geduld gefolgt ist (die Leserinnen haben den zweiten Theil gewiß überschlagen), wünsche ich schließlich, daß er von Visionen verschont bleibe, wie ich für meinen Theil sogar auf die harmlosere Welt der Träume für immer verzichten möchte. Jener Voltaire’sche Candide, der aus Westphalen ausging, um, in der ganzen Welt herumgetrieben, alle Höhen und Tiefen der Menschheit durchzukosten, er kommt zum Schlusse auf die einfache und große Moral: „Laßt uns unser Glück besorgen, laßt uns in den Garten gehen und arbeiten.“




Auf Wolfsjagd in Kroatien.


Von Brehm.


(Schluß.)


Am andern Morgen stand Vranyczany schon ziemlich früh gerüstet vor unserm Lager, um uns mitzutheilen, daß wir in spätestens einer halben Stunde zur Jagd aufbrechen würden. Die Nacht war empfindlich kalt gewesen; erfreulicher Weise aber hatte es gegen Morgen noch etwas geschneit, so daß wir hoffen durften, durch die Neue über das Lager der Wölfe vollständig aufgeklärt zu werden. Mit raschen Pferden fuhren wir auf guten Wegen dem etwa zwei Meilen entfernten Jagdgebiete zu. Je weiter wir kamen, um so lebhafter wurde es auf den Straßen. Von allen Seiten strömten Schützen und Treiber herbei, um sich nach dem Versammlungsorte, einem kleinen Dorfe unterhalb des Waldes, zu begeben. Die kroatischen Schützen waren zwar fast alle mit Zündhütchengewehren, im Ganzen aber doch höchst erbärmlich bewaffnet, so daß ich mir beim Anblick ihrer Flinten sofort vornahm, mich möglichst entfernt von den Biedermännern zu halten. Weit besser gefielen mir die scharf geschliffenen langstieligen Aexte, welche die Treiber so im linken Arme trugen, daß das Eisen mit der Schneide nach außen zwischen Arm und Leib eingeklemmt war; denn ich sagte mir, daß man mit solcher Waffe wohl auch den Kampf mit einem Bären aufnehmen könne. Wir begegneten auf unserm Wege sehr vielen Treibern und ersahen daraus, daß die ganze Gegend zur Jagd aufgeboten worden war. In dem erwähnten Dorfe angekommen, näherte sich ein Kroat dem Wagen und machte eine Mittheilung, welche den ganzen Jagdplan mit einem Male über den Haufen werfen sollte. Er hatte einen Bären gespürt, welcher in der vergangenen Nacht, von dem höheren Gebirge herabkommend, einem gewissen Thale zugewandert war, in welchem sich das auf weithin passendste Versteck für Bären, ein an Felsblöcken und Felsenhöhlen reiches Dickicht, befindet.

„Was beschließen Sie, meine Herren?“ frug Vranyczany,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 293. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_293.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)