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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Knaben schwebte und ihn zu würgen drohte, so riß er ihm mit beiden Händen Federn aus, die er dann an die Umstehenden vertheilte. Solche Teufelsfedern werden in vielen Familien als „Reliquien“ aufbewahrt. Wenn man sie verbrannte, stanken sie sehr; freilich stinken da andere Federn auch, aber doch wohl nicht so sehr, wie Teufelsfedern.

Die ganze Angelegenheit war endlich so ruchbar geworden, daß auch die Obrigkeit sich derselben annehmen konnte. Anfangs Februar 1868 ließ der Gemeindevorsteher (damals noch Maire) Nikot beide Knaben aus dem elterlichen Hause in das alte Schulgebäude bringen und sie, getrennt, der Aufsicht zweier Krankenschwestern der Stadt Mühlhausen, Schwester Methula und Schwester Severa, übergeben. Nachdem beide vergeblich einen Betrug in den Vorgängen zu erspähen gesucht, ließ man Aerzte von Mühlhausen und Altkirch zu den Knaben kommen. Da sah man nun, erzählt der Herr Pfarrer, daß ein Arzt, welcher offenbar von der wahren Erkenntniß der Krankheit am weitesten abgewichen war, denn er wollte sie als Hysterie, Veitstanz, Schlafwandeln etc. erklären, von den Knaben deßhalb höhnisch belobt wurde. Dagegen fand der Herr Pfarrer auch „einen unter jeder Rücksicht ausgezeichnetsten Arzt“ dabei, denn derselbe „stellte die Möglichkeit der Umsessenheit der Knaben nicht in Abrede.“ Jedenfalls hat der Herr Pfarrer darin ganz Recht, denn was soll denn aus Besessenheit und Teufel werden, wenn Niemand mehr an sie glauben will?

Glauben muß man aber an Besessenheit, sobald folgende wörtlich nach des Herrn Pfarrers Bericht mitgetheilte „unzweifelhafte Anzeichen“ derselben vorhanden sind: „1) Kenntniß fremder Sprachen, die nie gelernt worden sind; 2) wissenschaftliche Einsichten und auffallende Fertigkeit, über wissenschaftliche Sachen sich auszusprechen von Seite solcher Personen, die nie mit dergleichen sich abgegeben; 3) das Aufdecken und Wissen geheimer oder solcher Dinge, die an entfernten Orten vorgehen, namentlich das Eindringen in die Gedankenwelt Anderer; 4) Kraftäußerungen, welche über alle menschlichen und natürlichen Kräfte offenbar hinausgehen.“

Von den genannten Anzeichen machten beide Knaben den beiden Krankenschwestern gegenüber bald den empfindlichsten Gebrauch: sie entdeckten ihnen unter Anderem, offenbar zu deren entsetzlichem Schrecken, „ihre geheimsten Sachen“. Eben so wenig schonten sie neugierige Besucher, auch diesen „entdeckten sie frei gewisse geheime, oft schwere Fehler, so daß sie tief beschämt, blaß und wie vom Blitze getroffen, von dannen zogen.“ Ferner wußten die Knaben nicht blos zu unterscheiden, ob man ihnen etwas Geweihtes oder Ungeweihtes darbot, sondern waren mit allen Vorkommnissen nicht blos Illfurths, sondern entfernterer Ortschaften so vertraut, daß „Mancher und Manche sich ein seltenes Vergnügen daraus machten, wenn es ihnen gegönnt war, den kleinen, interessanten Erzählern aufzulauschen.“ Auch den Tod zweier Personen sagte Theobald richtig voraus; beide Knaben ertheilten auf Fragen über geschichtliche Thaten Auskunft, ebenso über Familienverhältnisse auf zwanzig und vierzig Jahre zurück, und zwar in verschiedenen ihnen bisher fremd gewesenen Sprachen; namentlich drückte Theobald sich ganz gut lateinisch aus, wie der Herr Pfarrer versichert, ja, er gab sogar häufig auf lateinische Fragen französische Antworten. Und dabei vermochten es beide Knaben, wie Hähne zu krähen, wie Hunde zu heulen und wie wilde Thiere zu brüllen, und zwar dies Alles – „wie (auch) das Reden, bei fast geschlossenem Munde, ohne Bewegung der Lippen.“

Zwei Vorkommnisse enthüllten endlich die Anwesenheit des Bösen auf das Klarste. Am dritten Fastensonntage nämlich hatte die fälschlich verbreitete Nachricht, daß an diesem Tage die Knaben vom Teufel befreit werden sollten, einige hundert Fremde nach Illfurth gelockt, – und am Ende desselben Tags jubelte Theobald hoch auf, „weil durch diesen Besuch gar Viele den Gottesdienst versäumt hätten!“ War das nicht eine echt teufelische Freude? Und – „als kurz darauf die Kinder sich zum Empfange des heiligen Bußsacraments vorbereiteten, vernahmen die Anwesenden eine düstere, aus Theobald kommende Stimme sprechend: ‚Dem Hündlein (Kinde) will ich das Gehör nehmen, damit er (!) nicht mehr durch das Gitter blasen (beichten) könne, und er wird gehörlos bleiben bis zur Stunde seiner Befreiung.‘“

Und so geschah es. Beide Knaben wurden taub, und Theobald blieb es bis zu der vom Teufel selbst ganz offenherzig angegebenen Frist; Joseph aber erhielt sein Gehör schon vorher wieder, und zwar – wie er selbst sich ausdrückte – „auf das Verlangen der großen Frau“, das ist, der seligsten Jungfrau Maria.

Da die Mühlhäuser Krankenschwestern Methula und Severa den Knaben nicht helfen konnten, so kehrten beide Theile nach Hause zurück. Theobald’s aber erbarmten sich zwei Bürger von Illfurth, Herr Franz Joseph Brobeck und Herr Dominicus Tresch; sie unternahmen mit ihm im Sommer 1868 eine Wallfahrt nach Maria-Einsiedeln, und dort fanden sich endlich die rechten Helfer in der Noth: die hochwürdigen Patres Laurenz Hecht und vor Allem der Exorcist Nepomuk Buchmann. Letzterer gab das schriftliche Urtheil ab: „daß nicht unzweideutige Beweise wahrer Besessenheit wahrgenommen werden und daß der Herr Pfarrer von Illfurth sich bemühen solle, bei der bischöflichen Behörde zu Straßburg dahin zu wirken, sie wolle einen Exorcisten zur strengen Untersuchung und endlichen Erledigung dieser Angelegenheit ernennen.“

Der Herr Pfarrer ließ sich das nicht zweimal sagen. Welche außerordentliche Wichtigkeit er einer amtlichen Erklärung der bischöflichen Behörde über das Vorhandensein der Besessenheit eines Menschen etc. beimaß, möge unseren Lesern die Anmerkung[1] darthun. Dem Manne ward geholfen. Im August 1869 kam endlich der Tag, wo „der Hochwürdigste Herr Bischof von Straßburg für gut erachtete, den Theobald (sammt seiner Mutter) nach St. Karl, einer Waisen-Anstalt bei Schiltigheim, zu berufen. Die Schwestern derselben erhielten den Auftrag, den Knaben fünf Wochen lang Tag und Nacht in seinem Thun und Reden zu beobachten. Seine bischöfliche Gnaden ernannten zur allseitigen Prüfung desselben eine Commission, bestehend aus den hochwürdigen Herren Rapp, Generalvicar, Stumpf, Vorstand des Priesterseminars, Eicher, Vorstand der Jesuiten, sämmtlich von Straßburg. Alle sprachen sich einstimmig für das Bestehen einer wahren Besessenheit aus. Der Hochwürdigste Herr Bischof beauftragte nachher den hochwürdigen P. Souquat aus der Gesellschaft Jesu, die Beschwörungen vorzunehmen.

Dies geschah in der Capelle jenes Waisenhauses bei Schiltigheim am vierten October 1869. Hauptzeugen und geistliche Beistände bei der heiligen Handlung waren: Erzpriester Spitz, Seminar-Superior Stumpf, Waisenhausanstaltsvorstand Hauser, Seminarist Schrantzer, Abbé und Professor der Sittenlehre am Straßburger Priesterseminar Rossé, die General- und Local-Oberin des Hauses und einige Schwestern. Wir nennen die Namen dieser Personen hier als Zeugen für die Wahrheit unserer Erzählung. Es kann ihnen das, von ihrem Standpunkte aus, nur lieb sein. Schämen werden sie sich schwerlich. – Die Beschwörung geschah genau nach der Vorschrift des römischen Rituals, das auch dafür einen besondern Artikel enthält. Die Procedur mußte zwei Mal vorgenommen werden, weil der Teufel das erste Mal nicht weichen wollte. Der Knabe wurde, wie Tags zuvor, in die Capelle geführt und vor dem Chor niedergelegt.

Hören wir nun den Bericht des geistlichen Vorstandes von St. Karl über das Weitere: „Der Leidende befand sich im nämlichen Zustande wie gestern; nur schwer konnte man ihn bemeistern, er schäumte vor Wuth. Diese Raserei war äußerst groß, besonders in gewissen feierlichen Augenblicken und namentlich als man auf dessen Haupt das Bildniß der unbefleckten Jungfrau, den Kopf der Schlange zertretend, legte. Allein diese Krisis war die letzte. Einige Augenblicke nachher blieb der Kranke ruhig, bewegungslos, einem tief schlafenden Menschen gleich; das Kreuzbild, welches man auf seine Brust gelegt, beibehaltend. Alles wurde still und die Anwesenden

  1. „Denn“ – sagt der Herr Pfarrer S. 35 seines Treuen Berichts – „eine im Namen der bischöflichen Behörde geschehene Erklärung hat eine außerordentlich große Kraft, die Vorurtheile gegen Besessenheit zu zernichten, die Zweifel niederzuschlagen, den Verdächtigungen ein schnelles Ende zu machen, die wegen dieser Angelegenheit schon lange und heftig entzweiten Gemüther zu einigen und selbst Gelehrte, welche noch nie wie Joseph Görres (‚Die christliche Mystik‘, Manz in Regensburg), dieser große Gelehrte Deutschlands, einen tiefen Blick in die Regionen des teuflischen Reichs gethan, zu ernstem Nachdenken über dergleichen Vorfälle zu bewegen und von deren Wahrheit zu überzeugen.“ So bitter rächen sich die Schriftstellersünden des Lebens noch nach dem Tode! –
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 855. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_855.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2019)