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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

Seelenkampf noch nicht ausgekämpft – vielleicht sprechen seine Lippen doch noch die beglückenden Worte: „Nun, für dieses Mal will ich es noch hingehen lassen, aber es darf ja gewiß nicht mehr vorkommen.“ – Ein Knabe ist eben, die Peitsche in der Hand, zur Thür hereingestürmt, bleibt aber verdutzt festgebannt, als er die Situation gewahr wird. Der Großvater, seine Ofenecke bei der drohenden Gefahr verlassend, scheint eben im Begriffe zu sein, zu Gunsten seines Sohnes in die Handlung einzugreifen, während die neben dem Fenster postirte Tochter des Bäckers mit ihrem jüngsten Bruder in stummer Verwunderung dem bösen Handel zuschaut. – Da dem Künstler nicht das Brilliren mit geschickter Technik oder drastischen Lichteffecten, sondern die poetische Auffassung und Behandlung des Gedankens Hauptsache ist, so läßt das Bild sich auch ohne Farbe sehr gut sehen. Das Original befindet sich in dem Besitze des Banquiers M. Wogau in Moskau.

Hanns Stiglmaier.


Ueber Hypnotismus bei Thieren,

nebst gelegentlichen Bemerkungen über Naturwissenschaft und Spiritismus, Geistermanifestationen u. derg[l].
Von Prof. Joh. Czermak.
(Schluß des ersten Vortrags.)

Beim sogenannten „Magnetisiren“ der Krebse reducirt sich nach genauer Prüfung und Beobachtung das allein wirklich Thatsächliche, wie gesagt, einfach darauf, daß Krebse die merkwürdige Eigenschaft besitzen, die höhere normale Erregbarkeit und Leistungsfähigkeit ihres Nervensystems zu verlieren und von selbst wiederzuerhalten, wenn man sie in irgend welcher Lage und Stellung genügend lange Zeit, trotz ihres anfänglichen Widerstrebens, mit den Fingern sanft, aber unwiderstehlich fixirt. Die sogenannten „magnetischen“ Luftstriche sind ohne alle Bedeutung.

Daß aber die thatsächliche, alterirende Wirkung auf die normale Leistungsfähigkeit des Krebsnervensystems während dieses Bezwingens und ruhigen Festhaltens der Thiere mit den Fingern auch nicht etwa auf dem Ueberströmen eines mysteriösen Agens, eines „magnetischen“ Fluidums und dergleichen aus den Fingern und Händen des Experimentators beruhe, daß sie dagegen ganz gewiß zurückgeführt werden müsse auf die ganz natürlichen Folgen des äußeren mechanischen Zwanges, der das Widerstreben des Krebses für längere Zeit fruchtlos macht, das beweisen die Versuche, bei welchen die Krebse gar nicht mit der lebendigen Menschenhand berührt und festgehalten werden, sondern nur durch beliebige mechanische Zwangsmittel, wie Bindfaden oder Holzklammern, bezwungen und fixirt werden, und jener auffallende Zustand der einige Zeit andauernden und endlich von selbst verschwindenden Regungslosigkeit dennoch ganz ebenso, wie sonst, bei ihnen in Erscheinung tritt!

Ich werfe um die Schwanzwurzel dieses Krebses, ohne denselben zu berühren, eine lose Bindfadenschlinge, ziehe sie leicht zu und hänge das Thier vermittelst derselben an dies Gestell. Sie sehen, wie der mit dem Kopfe nach unten hängende Krebs sich vergeblich abarbeitet, um sich aus seiner ganz unnatürlichen Situation zu befreien. Nicht lange, so beruhigt er sich und hängt nun, wie vorhin, als er durch meine Hand festgehalten worden war, völlig regungslos herab, bis er nach kürzerer oder längerer Zeit von selbst wieder seine Bewegungen aufnimmt.

Hier wälze ich einen zweiten Krebs vermittelst eines Glasstabes auf den Rücken, er arbeitet sich ab, um wieder auf die Beine zu kommen; zufällig oder in Folge einer leichten Verhinderung mit dem Glasstabe gelingt ihm dies einige Zeit hindurch nicht. Sein Widerstreben ist fruchtlos; die Schwere hält den Ungeschickten unerbittlich fest, und siehe da! nun bleibt er regungslos auf dem Rücken liegen, um erst nach längerer oder kürzerer Pause seine Bemühungen von selbst wieder aufzunehmen.

Hier, wie in dem vorigen Versuch, kann doch von einem geheimnißvollen thierisch-magnetischen Einfluß, der vom Experimentator ausginge, auch nicht im Entferntesten mehr die Rede sein, nichtsdestoweniger ist aber der Krebs in beiden Fällen für längere Zeit vollkommen regungslos geworden, nachdem seine anfänglichen Widerstandsbewegungen in Folge unserer Veranstaltungen durch den Zug der Schwere, also durch rein äußeren mechanischen Zwang überwunden und erfolglos gemacht worden waren. Aber auch Krebse, die, das Schwanzende voran, ihre Krebsbahn munter dahin rutschen, sieht man oft durch irgend einen nicht einmal wahrnehmbaren Umstand veranlaßt, für längere Zeit regungslos Halt zu machen. Wir erfahren also, daß auch ganz unbelästigte, normale Krebse ebenso gut, wie unsere Versuchsthiere, regungslos werden können.

Allein darum verlieren unsere allerdings ohnehin schon alles mysteriösen Charakters entkleideten Versuche noch lange nicht alles und jedes Interesse, denn es waltet hierbei der doppelte und wesentliche Unterschied ob: erstens, daß das Eintreten der Bewegungslosigkeit bei unseren Versuchsthieren durch unsere Veranstaltungen künstlich und willkürlich hervorgerufen, oder, wenn Sie wollen, nicht gehindert werden kann, während der unbehelligte, normale Krebs unter keinerlei irgend nachweisbaren außergewöhnlichen Umständen in Regungslosigkeit verfällt, und zweitens, daß die Versuchsthiere regungslos werden und verbleiben, trotzdem sie in Folge der oft höchst unnatürlichen und gezwungenen Stellungen und Lagen, in welche wir sie bringen, einem fortwährenden mächtigen Anreize zur Bewegung ausgesetzt sind und sich daher ganz bestimmt nicht in dem völlig munteren und normalen Zustand und Grade der Erregbarkeit und Functionsfähigkeit ihres Nervensystems befinden können, während der unbehelligte Krebs augenscheinlich gar keinem Anreiz zur Bewegung ausgesetzt ist.

Beim unbehelligten Krebs, der in Regungslosigkeit verfällt und darin verharrt, läßt sich wenigstens zweierlei annehmen; entweder, daß er zwar im vollkommen wachen und normalen Zustand sich befindet und sich nur deshalb nicht bewegt, weil er keine Veranlassung, kein Motiv zur Bewegung hat, sich also nicht bewegen will, oder, daß er sich nicht bewegen kann, weil er erschöpft ist oder sich in einem zufälligen oder durch die Jahreszeit nothwendig bedingten, etwa schlafähnlichen oder lethargischen Zustand befindet. Hinsichtlich unserer Versuchsthiere hingegen waltet hierüber, wie gesagt, kaum ein Zweifel ob, da sie in Lagen und Stellungen gebracht sind, in welchen sie müßten sich bewegen wollen, wenn sie könnten, das heißt, wenn sie in einem ganz leistungsfähigen Zustand ihres Nervensystems wären.

Und so sehen Sie denn, wie wir durch eine nüchterne, wissenschaftliche Untersuchung und Beobachtung der Erscheinungen dazu gekommen sind, statt der vermeintlichen Thatsache des „Magnetisirens“ der Krebse die wirkliche Thatsache zu finden, daß Krebse, wenigstens im Herbst und Winter, wo ihre Lebensgeister vielleicht mehr als in anderen Jahreszeiten herabgestimmt sein mögen, die merkwürdige Eigenschaft besitzen, die dem völlig munteren Zustande entsprechende, normale Erregbarkeit und Leistungsfähigkeit ihres Nervensystems, selbst in den gezwungensten Stellungen, zu verlieren und erst nach längerer Pause von selbst wiederzuerhalten, sobald sie eine gewisse Zeit lang, trotz ihres anfänglichen Widerstrebens, überwältigt und in einer beliebigen Stellung ruhig festgehalten werden. –

Einmal angeregt durch die eben mitgetheilten Versuche, erinnerte ich mich sogleich ähnlicher „ungenau beobachteter Thatsachen“ von künstlich und willkürlich durch gewisse mysteriöse Manipulationen hervorrufbarer Regungslosigkeit bei Hühnern, welche ich zwar von Hörensagen kannte, ohne jedoch jemals Gelegenheit oder Veranlassung zu ihrer genaueren Untersuchung gehabt zu haben. Ich beschloß daher, sofort an der Bevölkerung des Hühnerhofes meines ländlichen Gastfreundes, bei dem ich mich damals aufhielt, zu experimentiren.

Vielen von Ihnen wird es ebenfalls aus Erzählungen oder vielleicht aus eigener Erfahrung bekannt sein, daß ganz wilde, scheue Hühner, die man eben erst mit Mühe eingefangen und festgehalten hat, alsbald ganz freigelassen werden können und kürzere oder längere Zeit völlig regungslos, wie verzaubert, liegen bleiben, nachdem man auf dem Fußboden oder dem

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 126. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_126.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)