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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

„Die Seltsamkeit liegt wohl weniger in meiner Ablehnung, als in der Art des Anerbietens. Wäre meinem Vater der Adel wegen der Verdienste ertheilt worden, die er doch unleugbar um die Industrie hat, so hätte ich als sein Erbe ihn gleichfalls angenommen. Es ist eine Auszeichnung wie jede andere, und als solche ehrenvoll. Man hat nicht für gut gefunden, sie ihm zu gewähren, und ich bin natürlich nicht Richter über die ‚Vorurtheile‘, die dem entgegenstehen mögen, aber ich meinestheils habe nicht den mindesten Anspruch auf eine solche Auszeichnung und deshalb halte ich es für besser, wir lassen die Residenz nicht behaupten, daß eine Verschwägerung mit der Windeg’schen Familie nothwendig ein Adelsdiplom im Gefolge haben müsse.“

Er hatte die letzten Worte sehr gleichgültig hingeworfen, und doch preßte Eugenie zornig die Lippen zusammen; sie wußte, daß sie einzig ihr galten. Wollte er sich denn durchaus von Allem frei machen, was ihr noch das Recht gab, ihn verachten zu dürfen? und sie fühlte doch jetzt mehr als je den Wunsch, es zu thun.

„Ich scheine in der That im Irrthum über die Gründe gewesen zu sein, die Sie diese Verschwägerung wünschen ließen,“ sagte der Baron langsam, „aber ich muß gestehen, bei Ihnen war ich am wenigsten auf solche Ansichten gefaßt, die auch wohl neueren Datums sind, denn vor Ihrer Vermählung schienen Sie eher dem Gegentheil zu huldigen.“

Vor meiner Vermählung!“ Ein unendlich bitteres Lächeln spielte um Arthur’s Lippen. „Da war ich allerdings noch nicht darüber orientirt, wie man in Ihren Kreisen, Herr Baron, mich selbst und mein Verhältniß zu diesen Kreisen zu beurtheilen pflegte. Seitdem ist mir das in ziemlich schonungsloser Weise klar gemacht worden, und es kann Sie daher nicht befremden, wenn ich darauf verzichte, dort nach wie vor für einen unberufenen Eindringling zu gelten.“

Eugeniens Finger preßten sich hier so heftig um die Rose, die sie vorhin aus der Vase gezogen und noch in der Hand hielt, daß die zarte Blume dasselbe Schicksal hatte, wie neulich ihr Fächer in Arthur’s Händen; zerdrückt fiel sie auf den Teppich nieder. Arthur merkte das nicht. Er drehte ihr fast den Rücken und wendete sich ganz ihrem Vater zu, der ihn mit einem Ausdruck ansah, als zweifle er durchaus und vollständig daran, daß es wirklich sein Schwiegersohn sei, der da vor ihm stehe.

„Ich habe begreiflicher Weise keine Ahnung, wer Ihnen diese jedenfalls sehr übertriebenen Eröffnungen gemacht hat,“ entgegnete er ernst, „aber ich muß Sie doch bitten, in diesem Punkte Rücksicht auf Eugenie zu nehmen. Bei der Rolle, die sie voraussichtlich im Winter in der Residenz spielen wird, kann sie – verzeihen Sie, Herr Berkow! nicht den bürgerlichen Namen tragen: das lag weder in der Absicht Ihres Vaters noch in der meinigen.“

Ein langer düsterer Blick Arthur’s streifte seine Gattin, die sich noch immer mit keinem Worte an dem Gespräche betheiligte, so sehr sie sonst ihre Ansicht und ihren Willen geltend zu machen wußte.

„Bis zum Winter könnten sich die Verhältnisse ganz anders gestalten, als es jetzt den Anschein hat. Ueberlassen Sie das Eugenien und mir! Für jetzt bedaure ich, bei meinem Nein bleiben zu müssen. Da mir allein diese Erhebung angeboten wird, so habe ich ja auch wohl allein das Recht, anzunehmen oder abzulehnen, und ich lehne ab, was ich – verzeihen Sie, Herr Baron – dem aristokratischen Namen meiner Frau nicht danken will.

Windeg erhob sich verletzt. „Dann bleibt mir allerdings nichts übrig, als die schon gethanen Schritte in dieser Angelegenheit schleunigst wieder rückgängig zu machen, damit ich nicht noch mehr compromittirt werde, als es bereits der Fall ist. – Eugenie, Du schweigst ja vollständig zu dem Allen. Was sagst Du denn zu diesen eben gehörten Ansichten Deines Herrn Gemahls?“

Die Antwort sollte der jungen Frau erspart werden, denn in diesem Augenblicke wurde die Thür nicht wie sonst von dem Diener geräuschlos geöffnet, sondern hastig aufgerissen, und herein stürzte, ohne Anmeldung, mit aschbleichem Gesicht und vollständiger Hintansetzung aller Formen, die er sonst so zierlich zu beobachten wußte, Herr Wilberg.

„Ist Herr Berkow hier? Verzeihen Sie, gnädige Frau! Ich muß Herrn Berkow augenblicklich sprechen!“

„Was ist geschehen?“ fragte Arthur, dem jungen Manne entgegentretend, dessen verstörtes Gesicht eine Unglücksbotschaft verrieth.

„Ein Unfall!“ sagte Wilberg athemlos. „Unten im Fahrschacht – Ihr Herr Vater ist schwer verletzt, sehr schwer – der Director schickt mich!“

Er kam nicht weiter in seinem Berichte, denn Arthur war bereits an ihm vorüber zur Thür hinausgeeilt. Der junge Beamte stand im Begriff ihm zu folgen, als er sich draußen im Corridor von dem Baron zurückgehalten sah.

„Haben Sie dem Sohne die volle Wahrheit gesagt?“ fragte dieser ernst. „Mir brauchen Sie nichts zu verschweigen. Ist Herr Berkow todt?“

„Ja!“ stieß Wilberg hervor „Er fuhr mit dem Steiger Hartmann zu Tage – die Seile sind gerissen – Hartmann rettete sich durch einen Sprung auf die vorletzte Bühne. Herr Berkow stürzte in die Tiefe. Kein Mensch weiß, wie das Unglück eigentlich geschehen ist, aber verheimlichen läßt es sich nicht. Bereiten Sie die gnädige Frau vor, Herr Baron! Ich muß fort!“

Er eilte Arthur nach, während Windeg in den Salon zurückkehrte, wo seine Tochter ihm bereits in heftiger Erregung entgegenkam.

„Was hast Du erfahren, Papa? Das Gesicht des Unglücksboten sprach von mehr als einer bloßen Verletzung! Was ist geschehen?“

„Das Schlimmste!“ sagte der Baron erschüttert. „Wir haben den Mann eben noch so bitter angeklagt, Eugenie; jetzt ist es zu Ende mit dem Haß und der Feindschaft zwischen uns und ihm – der Tod hat sie geschlichtet!“




Die erste Woche mit ihrer düsteren Feierlichkeit war vorüber, aber der dumpfe Druck, der auf jedem Trauerhause liegt, war nicht gewichen und gab sich nur schwerer kund jetzt, wo die Unruhe all dieser Anordnungen, Beileidsbezeigungen und Besuche vorüber war. An Zeichen äußerer Theilnahme hatte es nicht gefehlt. Berkow’s Stellung, seine Bekanntschaft und Verbindungen in den verschiedenen Kreisen machten seinen Tod zu einem Ereigniß. Das Gefolge, dem sich natürlich die sämmtlichen Beamten und Arbeiter der Werke anschlossen, war ein endloses gewesen. Karten und Briefe bedeckten in unendlicher Anzahl den Schreibtisch des jungen Erben, dessen Gemahlin die Besuche der ganzen Umgegend empfing. Man bewies beiden alle möglichen Rücksichten, und dies um so mehr, als man ihnen gegenüber keine „Vorurtheile“ zu überwinden hatte, wie Baron Windeg es diplomatisch nannte. Zu Herzen ging dieser Verlust wohl Keinem, vielleicht nicht einmal dem einzigen Sohne des Verstorbenen, für den er doch so viel gethan; denn es ist schwer da zu lieben, wo auch nicht eine Spur von Achtung vorhanden ist. Uebrigens ließ es sich schwer entscheiden, ob Arthur Berkow durch den Tod seines Vaters wirklich tief oder nur oberflächlich berührt wurde. Wer die Fassung sah, die er Anderen gegenüber zeigte, mußte wohl das Letztere glauben, und doch war er furchtbar ernst geworden seit jener Katastrophe und fast unzugänglich für Jeden, mit dem er nicht nothgedrungen verkehren mußte. Eugeniens Ruhe konnte Niemanden befremden, der die näheren Verhältnisse kannte. Für sie, wie für ihren Vater hörte mit dem Tode des alten Berkow allerdings der Haß gegen ihn auf; von einer anderen Regung war hier nie die Rede gewesen – und dieser Standpunkt wurde leider von Vielen getheilt; denn nur zu Viele hatten Grund dazu.

Die Beamten waren zu oft durch das brutale, hochmüthige Wesen des Emporkömmlings verletzt worden, der ihre Kenntnisse und Fähigkeiten nur als eine Waare betrachtete, die ihm gegen Bezahlung des Gehaltes zur unbedingten Verfügung stand, um einen Chef zu betrauern, bei dem weder Charakter, noch Persönlichkeit, noch Tüchtigkeit galt, sondern nur die möglichst vortheilbringende Verwendbarkeit in der betreffenden Stellung. Noch Schlimmeres aber gab sich bei den Arbeitern kund, eine vollständige Fühllosigkeit, die keine Regung des Mitleides, der Theilnahme aufkommen ließ. Berkow war, was man ihm auch sonst vorwerfen mochte, doch unleugbar ein industrielles Genie ersten Ranges gewesen. Er hatte sich aus Armuth und Niedrigkeit zu einer bedeutenden Höhe emporgeschwungen, hatte Schöpfungen in’s Leben gerufen, die, was die Großartigkeit betraf, sich den

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 141. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_141.JPG&oldid=- (Version vom 21.5.2018)