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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

No. 10.   1873.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 16 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Glück auf!
Von E. Werner.


(Fortsetzung.)


„Gar nichts hat er gesagt,“ erwiderte Schäffer. „‚Ich danke Ihnen, Schäffer!‘ das war Alles. Er hat nur die Papiere dabehalten, die ich zur besseren Orientirung für ihn mitgenommen hatte, und sich eingeschlossen. Seitdem habe ich ihn noch nicht wieder gesprochen.“

„Ich sprach ihn gestern Abend, als ich ihm die Forderungen unserer Bergleute vorlegte,“ sagte der Director. „Er wurde freilich todtenblaß, als die Hiobspost zum Vorschein kam; dann aber hörte er stumm zu, ohne auch nur eine Silbe zu erwidern, und als ich einige Rathschläge und Tröstungen laut werden ließ, in der sicheren Voraussetzung, daß es nun zu einer Besprechung kommen würde, schickte er mich fort. Er wollte das erst allein überlegen. Ich bitte Sie, Herr Arthur und überlegen! Heute Morgen erhielt ich denn die Weisung, Sie sämmtlich zur Conferenz herzuberufen.“

Um Herrn Schäffer’s Mund legte sich wieder der alte sarkastische Zug. „Ich fürchte, ich kann Ihnen das Resultat dieser Conferenz vorher sagen: Bewilligen Sie Alles, meine Herren, geben Sie unbedingt nach, machen Sie was Sie wollen, nur sichern Sie mir für den Augenblick den Betrieb der Werke! Und dann wird er Ihnen ankündigen, daß er mit der gnädigen Frau nach der Residenz zurückkehrt und die Sachen hier gehen läßt, wie es dem Himmel und Ihrem Hartmann gefällt.“

„Es trifft ihn aber auch jetzt Schlag auf Schlag!“ mischte sich Wilberg ein, der in ritterlicher Aufwallung für den Abwesenden Partei nahm; „da könnte ein Stärkerer unterliegen.“

„Ja, Sie haben immer Sympathie für die Schwäche!“ spottete der Oberingenieur. „Nur in den letzten Wochen hatten Sie entschieden Sympathie für das Gegentheil. Herr Hartmann erfreute sich ja Ihrer ganz besonderen Freundschaft. Schwärmen Sie etwa noch für ihn?“

„Um Gotteswillen, nein!“ rief Wilberg mit einem fast entsetzten Ausdruck. „Ich habe ein Grauen vor dem Manne seit – seit der Todesstunde des Herrn Berkow!“

„Ich auch!“ sagte der Oberingenieur kurz, „und ich glaube, wir Alle. Es ist furchtbar, daß wir gerade mit ihm unterhandeln müssen; aber freilich, wo keine Beweise sind, thut man am besten zu schweigen.“

„Glauben Sie denn wirklich an die Möglichkeit eines Verbrechens?“ fragte Schäffer die Stimme senkend.

Der Director zuckte die Achseln. „Die Untersuchung hat nur die Thatsache ergeben, daß die Seile gerissen sind. Sie können von selber gerissen sein; ob das wirklich geschehen ist, kann allein Hartmann wissen. Wie gesagt, die Untersuchung fördert da nichts zu Tage, und bei jeder anderen Begleitung wäre der Verdacht auch ausgeschlossen. Der ist zu Allem fähig!“

„Aber bedenken Sie doch, er brachte sich ja selbst in die größte Lebensgefahr dadurch. Der Sprung, mit dem er sich rettete, war ein tollkühnes Wagestück, das der Zehnte nicht unternommen hätte, und das dem Zehnten nicht geglückt wäre. Er mußte gewärtig sein, mit in die Tiefe hinabzustürzen und sich zu zerschmettern.“

Der Oberingenieur schüttelte den Kopf. „Sie kennen Ulrich Hartmann schlecht, wenn Sie glauben, der besänne sich auch nur einen Augenblick, sein Leben in die Schanze zu schlagen, wenn er irgend etwas unternehmen will, wobei dieses Leben in Frage kommt. Sie waren ja dabei, als er sich den Pferden in den Weg warf. Damals hatte er gerade die Laune, retten zu wollen; wenn er verderben will, kümmert er sich wenig darum, ob auch sein eigenes Verderben droht. Das ist ja eben das Gefährliche an diesem Manne, daß er keine Rücksichten kennt gegen sich und Andere, daß er sich im Nothfall selbst opfern würde, wenn –“

Er verstummte plötzlich, da in diesem Augenblick der junge Chef eintrat. Arthur war sehr verändert, die tiefe Trauerkleidung ließ sein ohnehin schon bleiches Gesicht noch bleicher erscheinen, und Stirn und Augen trugen ein Gepräge, als hätten sie während der letzten Nächte nicht den Schlaf gekannt; dennoch erwiderte er ruhig den Gruß der Beamten und trat in ihre Mitte.

„Ich habe Sie herrufen lassen, meine Herren, um mit Ihnen Rücksprache über die Angelegenheiten zu nehmen, die nach dem Tode meines Vaters in meine Hände übergegangen sind. Es ist da Vieles zu ordnen und zu ändern, mehr vielleicht, als wir anfangs glaubten. Ich habe, wie Sie wissen, diesem ganzen Geschäftskreise bisher fern gestanden und werde mich nicht sofort darin orientiren können, obgleich ich es in den letzten Tagen versucht habe. Ich rechne daher im vollsten Maße auf Ihren guten Willen und Ihre Bereitwilligkeit, mich zu unterstützen. Ich werde beides sehr in Anspruch nehmen müssen und versichere Sie im Voraus meines Dankes.“

Die Herren verneigten sich, und die Mehrzahl zeigte etwas verwunderte Gesichter, während der Oberingenieur dem Director einen Blick zuwarf, der zu sagen schien: „Das war ja soweit ganz vernünftig!“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 155. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_155.JPG&oldid=- (Version vom 28.5.2018)