Seite:Die Gartenlaube (1873) 163.JPG

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

als Flüchtlinge eintrafen und als meistens geübte Schützen in dem bevorstehenden Kampfe ebenso brauchbar waren wie die Soldaten.

Die Nacht kam heran, doch ohne den so heiß ersehnten Regen zu bringen. Die Mannschaft war im Fort und in den Außengebäuden vertheilt und wachte in fieberhafter Spannung. Jeden Augenblick konnte man erwarten, das Kriegsgeheul der heimlich durch die Niederung und die Schluchten herangeschlichenen Wilden zu hören und Brandpfeile auf die so leicht entzündlichen Dächer fallen zu sehen. In diesem Falle blieb der kleinen Schaar nichts übrig, als ihr Leben so theuer wie möglich zu verkaufen und sich unter den Trümmern ihrer Festung begraben zu lassen. Doch es regte sich nichts. Der Morgen brach an, und Alles athmete leichter. Gegen Mittag erschien ein Trupp, der auf das Fort zukam und bald als aus Weißen bestehend erkannt wurde. Es war der traurige Ueberrest von Capitain Marsh’s tapferer Schaar, der in den Vormittagsstunden des Dienstags ankam, um schlimme Kunde zu überbringen. Die Leute, vor Aufregung und Wuth zitternd, erzählten was sie erlebt: von den sechsundvierzig Mann des Capitain Marsh waren dreiunddreißig, sowie der Capitain selbst und der Dolmetscher theils erschossen, theils in dem zu passirenden Flusse auf der Flucht ertrunken. Sie allein, dreizehn Mann an der Zahl, hatten sich gerettet.

Tiefe Trauer ergriff die Besatzung und zugleich eine ingrimmige Begierde, die feigen Mörder ihres geliebten Commandanten und fast der Hälfte ihrer Cameraden zu rächen. Aber wie sollte dies geschehen? Ein Blick auf ihre zusammengeschmolzene Schaar und auf die völlig unzureichenden Schutzmittel machte auch das tapferste Herz erzittern bei dem Gedanken, daß sie bei einem Angriff völlig außer Stande sein würden, etwas auszurichten, und, wenn nicht schleunige Hülfe kam, unrettbar dem Scalpirmesser der rothen Teufel verfallen waren. Denn das wußte man im Fort gut genug, daß die Indianer in solcher Uebermacht angreifen würden, daß die Hand voll Leute durch die Menge in kurzer Zeit erdrückt werden mußte. In ängstlicher Spannung verstrich der Dienstag Nachmittag; weder Freund noch Feind zeigte sich.

Endlich, als die Sonne schon im Westen sank, wurde etwas auf der Prairie, von Nordosten herkommend, wahrgenommen. Als es näher kam, erkannte man, daß es Leute zu Fuß seien; es waren also wahrscheinlich keine Indianer. Da ertönte ein Freudengeschrei; man sah deutlich Bajonnete blitzen; es waren die, wie gesagt, am Sonntag Morgen nach Fort Ripley detachirten fünfzig Mann unter Lieutenant Sheehan, denen ein Bote mit dem Befehl zur Umkehr am Montag nachgeschickt worden war, und die jetzt als Retter mit stürmischem Jubel begrüßt wurden.

Mitternacht war schon vorüber; die unheimlichste Stunde der Nacht lag beklemmend auf den schweigend auf ihren Posten stehenden Männern. Da regt sich’s leise in südöstlicher Richtung über der in tiefstes Dunkel gehüllten Schlucht hin; es klingt, als ob eine Anzahl Menschen näher kommen. Jeder ist fertig, auf das erste Zeichen den Kampf zu beginnen; athemlos lauschend sucht jedes Auge die schwarze Nacht zu durchdringen. Da ertönt auf einmal ein Ruf. Die Herankommenden sind an den äußersten Vorposten angelangt; aber es ist kein Kriegsruf der Wilden; kein Brandpfeil durchschwirrt die Luft; kein Büchsenknall erwidert den Gruß. Neue Freude! es sind abermals Helfer, die jetzt am Fort erscheinen und mit stillem Händedruck und auch mit mancher warmen Mannesthräne im dankbaren Auge begrüßt werden. Es waren wieder fünfzig Mann, die ebenfalls am vorigen Sonntag nach Fort Snelling abgegangenen, durch einen Eilboten zurückbeorderten Cameraden. Sie trafen gerade noch zur rechten Zeit ein, um das Fort und die Besatzung zu retten. Es war, als habe die Vorsehung ihre schützende Hand über diese von aller Rettung scheinbar abgeschnittenen Braven gehalten. Wären die Wilden nach vollbrachter Arbeit an der Agentur an jenem verhängnißvollen Montag sogleich in Masse nach dem Fort aufgebrochen, um dieses zu stürmen, es wäre kein Mann mit dem Leben davon gekommen. So aber hatten sie sich die beiden ersten Tage in kleinen Abtheilungen, mordend und brennend, über die Prairie nördlich und südlich von ihrer Reservation verbreitet und sammelten sich erst, nachdem die beiden Detachements unbelästigt in’s Fort eingezogen waren.

Mittwoch, der 20. August, brach an. Lieutenant Sheehan, der als ältester Officier das Commando übernommen hatte, musterte seine kleine Schaar. Sie bestand aus ungefähr hundertundfünfzig Soldaten, nebst etwa fünfzig waffenfähigen Civilisten mit drei sechspfündigen Haubitzen. Letztere, auf die man hauptsächlich bei der Vertheidigung rechnete, wurden dem Sergeanten John Jones und zwei andern alten Artilleristen übergeben und an den geeignetsten Stellen aufgepflanzt, Erstere möglichst vortheilhaft in den außerhalb des Forts gelegenen Häusern und im Fort selbst vertheilt. So wartete man gefaßt der Dinge, die da kommen sollten. Verstärkung war in den nächsten Tagen nicht denkbar; der Angriff aber mußte, wenn er überhaupt stattfand, bald geschehen.

Die Sonne stand hoch und heiß am wolkenlosen Himmel – und im August strahlt sie auf der weiten baumlosen Prairie mit sengender Gluth – die schlaflosen Nächte und die beständige Spannung wirkte erschlaffend auf die Mannschaften; sie begannen fast einen Angriff herbei zu wünschen, um nur von dieser tödtlichen Ungewißheit befreit zu werden. Da – es war drei Uhr Nachmittags – rollte plötzlich eine donnernde Salve durch die Niederung. Der Feind war endlich da. Echt indianisch hatte er sich am Flußufer entlang herangeschlichen, und, wie aus dem Erdboden gestampft, erhoben sich Hunderte wilder Gestalten aus dem dichten Gebüsch und langen Grase. Blitzschnell bewegten sich die mit grellen Kriegsfarben bemalten, halb nackten rothen Krieger auf’s Fort zu, Salve auf Salve im Marsch entsendend, offenbar mit der Absicht, dasselbe durch einen einzigen wüthenden Anlauf im Sturme zu nehmen. Die in den Schluchten vertheilten Vorposten wurden rasch zurückgetrieben; Lieutenant Sheehan formirte augenblicklich auf dem Paradegrunde seine Leute, und nun begann die Vertheidigung. Was nur Deckung gewähren konnte, wurde benutzt; hinter den Außengebäuden, hinter Kisten und Wagen, in allen Fenstern lagen und standen die Männer, kühl und ruhig, wie es nur der an Gefahren aller Art gewöhnte Grenzbewohner vermag. Da fiel kein unnöthiger Schuß; jeder Einzelne wartete die Gelegenheit kaltblütig ab und nahm seinen Feind, wo er sich zeigte, sicher und fest auf’s Korn. Wenn je, so gab das doppelte Gefühl der Selbsterhaltung und der Rache diesen Männern heute einen Arm, der nicht zitterte, und ein Auge, das sein Ziel nicht fehlte.

Ein tödtliches Feuer ergoß sich auf die mit betäubendem Kriegsgehäul anstürmenden Rothhäute. Fast jede Kugel aus dem Fort traf, während die Indianer in ihrer Wuth nur ein wildes und darum sehr unwirksames Feuer unterhielten. Zwei Soldaten und ein Bürger fielen bei diesem ersten Anlauf, dessen Hitze bald nachließ, nachdem der Feind die Ueberzeugung gewonnen hatte, daß er den Platz so leichten Kaufes nicht würde nehmen können. Die Schwäche der Besatzung bis zum Mittwoch Morgen hatte es unmöglich gemacht, irgend welche neue Befestigungen aufzuwerfen; nicht einmal die hölzernen Außengebäude und die vielen Heuschober in den Schluchten und der Niederung hatten entfernt werden können. Diese dienten nun dem Feinde als bequeme Schutzpunke, hinter denen er Stellung nehmen und so den Angriff wirksamer fortsetzen konnte.

Am Abend entspann sich der Hauptkampf an der Ostseite des Forts in der dort befindlichen Schlucht. Hier stand, wie schon erwähnt, eine Reihe alter Blockhäuser, die von einer Abtheilung Soldaten besetzt waren. Der Feind stürmte unaufhörlich die Schlucht hinauf, nach geringster Berechnung vier- bis fünfhundert Mann stark und unter persönlicher Anführung des berühmten Häuptlings Little Crow, der sie zu immer wüthenderen Anläufen anstachelte. Sie fielen zu Haufen unter den gut gezielten Schüssen der Besatzung. Unter wahrhaft teuflischem Geheul drangen immer neue Schaaren vorwärts, trugen die Gefallenen und Verwundeten zurück und näherten sich allmählich ihrem Ziele. Schon ist es ihnen gelungen, einige der Blockhäuser zu erstürmen; aus denselben und hinter mehreren großen Heuschobern unterhalten sie ein heftiges Feuer auf das Fort. Da schlagen einige Granaten in die von ihnen besetzten Häuser. Augenblicklich steht die ganze Reihe in Flammen, ebenso die Heuhaufen und sie sind gezwungen, die Stellung aufzugeben. Eines dieser Gebäude war ein mit Heu gefüllter Stall. Als dasselbe in Brand gerieth, sprangen mehrere Indianer hinaus, um in die Schlucht zu fliehen, wurden aber sogleich von den Kugeln zweier Halbindianer, Latour und Dashner, die im Fort standen, niedergestreckt.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 163. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_163.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)