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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

Harmonika’s, akustischen Klopferscheinungen etc. genau denselben Anspruch auf wissenschaftliche und ernste Beachtung, wie das erste beste, frappante Taschenspielerkunststückchen, dessen natürlichen Zusammenhang aufzuklären wohl von Niemandem als eine würdige Aufgabe der ernsten Naturforschung betrachtet werden dürfte, so interessant auch oft, besonders in psychologischer Hinsicht, der wahre und natürliche Grund der Täuschung sein mag.

Und so wenig es irgend einen verständigen Menschen ernstlich beunruhigen wird, wenn es ihm nicht gelingt, den natürlichen Zusammenhang eines hübschen und frappanten Kunststückchens zu ergründen, genau ebenso wenig kann und darf sich irgend Jemand, der nicht allen naturwissenschaftlichen Geistes baar ist, durch die fraglichen, so hundertfältig von den ehrenwerthesten Leuten bezeugten, absonderlichen spiritistischen etc. „Thatsachen“ beunruhigen lassen, so lange auch nicht der leiseste, Zutrauen erweckende Nachweis von Seite der Apostel dieses Spuks erbracht ist, daß jeder Gedanke an die Möglichkeit einer natürlichen Erklärung an sich so natürlicher und höchst gleichgültiger Erscheinungen, wie es die sogenannten „physikalischen“ Geistermanifestationen sind, absolut ausgeschlossen ist.

Nur dadurch, daß die Ursachen dieser Erscheinungen nicht augenfällig sind, gewinnen diese letzteren in den Augen der Urtheilslosen überhaupt eine übertriebene Bedeutung. Aber in dieser Beziehung unterscheiden sie sich doch – wie selbst der verbohrteste Fanatiker zugeben muß – durchaus nicht von guten Taschenspielerstückchen, die meist noch viel interessanter sind, und oft nicht minder unerklärlich erscheinen – sonst wären es eben nicht gute! Ob sie sich aber von Taschenspielerkunststückchen – abgesehen davon, daß wir bei ihnen den Taschenspieler nicht immer kennen, ja überhaupt nicht einmal wissen, ob ein solcher gegenwärtig ist – in irgend einer anderen Beziehung unterscheiden? darüber verlangen wir eben von den „spiritistischen“ Herren „Naturforschern“ und „Gelehrten“ wie Varley, Wallace, Crookes, Butlerow und Anderen zuerst eine halbwegs genügende Auskunft, bevor wir ihnen und der übrigen urtheilslosen Menge das Recht zugestehen, der Wissenschaft und ihren Vertretern auch nur den leisesten Vorwurf wegen ihres absolut ablehnenden Verhaltens gegenüber diesen Dingen zu machen.

Diese Herren haben weder den Schatten einer Veranlassung, sich über etwas zu beklagen, als über ihre – eigene Unfähigkeit, noch irgend ein Recht, irgend Wem einen Vorwurf zu machen, als sich selbst, daß es ihnen eben nicht gelingt, ihre sogenannten „Geistermanifestationen“ etc. über das Niveau von Taschenspielerkunststückchen zu erheben.

Damit will ich, wie ich ausdrücklich betone, durchaus nicht gesagt haben, daß man alle die an sich meist so alltäglichen und nichtssagenden Erscheinungen, welche so vielen Menschen als höchst bedeutsam und wunderbar imponiren, für mehr oder weniger geschickte, bewußte Taschenspielerkunststückchen zu halten habe, obschon manche derselben als solche nachgewiesen wurden – erinnern Sie sich nur des Davenport-Scandals![1] –, mit einem derartigen maßgebenden Ausspruche würde ich ja den einzig berechtigten, absolut ablehnenden Standpunkt der strengen Wissenschaft selbst verlassen – wohl aber will ich damit sagen, daß man die ersteren, die sogenannten „Manifestationen“, vorläufig so wenig wie die letzteren, die guten und schwer zu enträthselnden „Taschenspielerkunststückchen“, für eine würdige Aufgabe der ernsten Naturforschung betrachten könne und dürfe! Uebrigens habe ich, indem ich die Mittheilungen und Versuche von Crookes, dem bekannten englischen Gelehrten, dem verdienstvollen Entdecker des Thalliums, einem Schüler unseres großen Chemikers Hofmann in Berlin – früher in London –, als charakteristisches Beispiel aus der sogenannten „spiritualistischen“ Literatur herbeizog, noch das Beste ausgewählt, was in ihr enthalten ist. Haben sich ja doch selbst die auf diesem Gebiete thätigen Herren „Naturforscher“, wie einer der geschäftigsten Verbreiter jener Schandliteratur, bezeichnend genug, dem verstorbenen amerikanischen Chemiker und „Spiritisten“ Mr. Hare nachrühmt (!), „nicht blos bei der physikalischen Seite der (Geister-) Manifestationen aufgehalten“ (!) – und findet man in jener Literatur, auf die man uns triumphirend zu verweisen die Stirn hat, mit wachsendem Erstaunen, in einem Meere von hirnlosem Geschwätz und phantastischen Ergüssen gläubiger Fanatiker nichts – rein gar nichts als einerseits einige kindische oder ganz sinnlose Veranstaltungen, welche physikalische Apparate und exacte Prüfungsmittel vorstellen sollen – und andererseits mehr oder weniger glaubwürdige Berichte und Zeugnisse für die Realität – „ungenau beobachteter Thatsachen“!

Indessen, man wird vielleicht einwenden, „ungenau beobachtete Thatsachen“, welche von Hunderten von ehrenwerthen Menschen bezeugt werden, sind doch der wissenschaftlichen Beachtung und Prüfung werth und bedürftig?!

O ja! – aber lange nicht alle und nicht in gleich hohem Grade. Die Wissenschaft und ihre Vertreter haben das Recht und sogar die Pflicht, Zeit und Arbeit zu Rathe zu halten; sie haben mehr und Besseres zu thun, als über jedes beliebige Ding, auf jede beliebige Frage Rede und Antwort zu geben! – Sie kennen Alle das Sprüchwort von dem Einen Narren und den sieben Weisen! Was sich in keiner der ernsten Beachtung würdigen und trotz aller Unerhörtheit und Sonderbarkeit Vertrauen erweckenden Art und Weise darzustellen vermag, darf eben keinen Anspruch auf ernste Beachtung von Seiten der Wissenschaft erheben. In diesem Falle befinden sich aber die freischwebenden Tische, die fliegenden Guitarren, die akustischen Klopferscheinungen, die Crookes’schen ohne augenfällige Ursache Ausschlag gebenden Federwagen und Fühlhebel u. dergl. – von der sogenannten „intellectuellen Seite dieser Phänomene“, dem directen Verkehr mit Abgeschiedenen etc. natürlich ganz zu schweigen! –

Das Geschrei der Hunderte oder Tausende von einfachen Augen- und Ohrenzeugen, das triumphirende Hinweisen auf die sogenannten „wissenschaftlichen“ Untersuchungen einiger – eben aus der Qualität dieser Untersuchungen nachweislich unfähig gewordener Naturforscher ändert an dieser Sachlage nicht das Mindeste. Ob einer oder der andere Vertreter der Wissenschaft diese Dinge dennoch beachten mag, hängt von seinen persönlichen Neigungen und von zufälligen Umständen ab.

Wer keine Neigung dazu in sich spürt und sich fern hält, den kann darum nicht der leiseste Vorwurf treffen! Mein hochverehrter, alter Freund, Professor Sharpey, der frühere, langjährige Secretär der Gesellschaft der Wissenschaften in London, z. B. war, wie ich meine, vollkommen im Recht, als er der freundlichen Einladung von Crookes, dessen „Experimenten“ mit Mr. Home beizuwohnen, nicht nachkam; ja, er handelte zugleich mit überlegter Lebensklugheit, da die Herren Spiritisten und ähnliche Fanatiker sehr geneigt sind, Männer der Wissenschaft, welche sich bei solchen peinlichen Gelegenheiten in den schonenden Formen der gebildeten Welt aussprechen, sofort als zustimmende Zeugen von Gewicht auszuposaunen. Exempla demonstrant – Beispiele beweisen! So ist der Brief des berühmten Astronomen Huggins vom 9. Juni 1871 an Herrn Crookes offenbar nichts als eine allerdings in überaus schonenden und höflichen Wendungen vorgebrachte, aber ganz entschiedene Ablehnung jeder Meinungsgenossenschaft mit Herrn Crookes bezüglich der in Huggins’ Gegenwart im Crookes’schen Hause stattgehabten Erscheinungen – und doch wird dieser Brief mit triumphirender Freude in spiritistischen Schriften citirt, und Huggins in Folge dessen – wahrscheinlich sehr gegen seinen Willen – von manchen Seiten für eine der „wissenschaftlichen Autoritäten“ gehalten, welche ihr gewichtiges „Zeugniß“ für die Realität „spiritistischer Erscheinungen“, außernatürlicher „Geistermanifestationen“ etc. abgegeben hätten! – Urtheilen Sie selbst! Zur vollständigen Ehrenrettung von Huggins und als schlagende Illustration zu dem von mir gerügten Verfahren der Herren „Spiritisten“, sehe ich mich veranlaßt, den fraglichen Brief im Wortlaut hier mitzutheilen.

„Upper Tulse Hill, S. W., den 9. Juni 1871.

 Mein hochverehrter Mr. Crookes!

Ihr mir zugegangener Correcturbogen scheint mir eine richtige Darstellung von dem zu enthalten, was in meiner Gegenwart in Ihrem Hause stattfand. Meine Stellung am Tische gestattete mir zwar nicht, Zeuge des Hinwegziehens der Hand Mr. Home’s von der Harmonika zu sein, aber es wurde dies zur Zeit sowohl von Ihnen selbst, als auch von der an der anderen Seite Mr. Home’s sitzenden Person als stattgefunden behauptet.

Die Experimente scheinen mir die Wichtigkeit einer weiteren


  1. Vgl. auch den reizend erzählten Bericht Tyndall’s über eine „séance“ mit Spiritisten, in dessen Werk: Fragments of science. London 1871. 2. Edition. pag. 427.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 177. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_177.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)