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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


mit der Herzogin selbst gesellschaftlich verkehrten, theils Mitschüler und Spielgenossen des Prinzen waren und die uns zum Zwecke dieser Aufzeichnungen für die „Gartenlaube“ das Schatzkästlein ihrer Erinnerungen mit Vergnügen öffneten.

Das Leben im Hause der Herzogin von St. Leu war still und einfach. Hortense selbst war fast übertrieben sparsam und kleinlich in häuslichen Dingen, aber dabei höchst wohlthätig und leutselig und daher allgemein beliebt. Ihren Hofstaat, wenn wir ihre häusliche Umgebung so nennen wollen, bildeten zwei Hofdamen, der Hausgeistliche (aumônier) Bertrand, der Hofmeister des Prinzen, Lebas, und der Haushofmeister. Die Amme und der Milchbruder Napoleon’s wurden gleichsam als Familienglieder betrachtet. Die Dienerschaft war nicht zahlreich. Vom Koch,

Das Wohnhaus des Prinzen Louis Napoleon (Fugger’sches Haus) in Augsburg.

Bassinet mit Namen, wird gesagt, daß er das Factotum des Hauses gewesen. Der Beichtvater der Herzogin, ein Emigrant, Namens Bigault, war zugleich Sprachlehrer in Augsburg und wohnte nicht im Hause der Herzogin. Hortense verließ ihre Wohnung nur selten; die Messe hörte sie in ihrer Hauscapelle, und nur einigemal besuchte sie die jetzt abgebrochene, dem Regierungsgebäude (der ehemaligen bischöflichen Pfalz) angebaute Capelle, vielleicht hingezogen von der Erinnerung an Napoleon I., der im October 1805 in der bischöflichen Residenz sein Hauptquartier aufgeschlagen und in jener Capelle mehrmals dem Gottesdienste beigewohnt hatte.[1] In der Hauscapelle empfing Prinz Louis durch den Weihbischof Fürsten v. Hohenlohe das Sacrament der Firmung.

Ihre ganze Sorgfalt widmete Hortense der Erziehung ihres Sohnes, den sie zärtlich liebte. Der Aumonier Bertrand und der Hofmeister Lebas leiteten den Unterricht des jungen Prinzen bis zu dessen Uebertritt an die öffentliche Studienanstalt, das Gymnasium zu St. Anna. Zu jener Zeit bestand in Augsburg nur jenes eine (paritätische) Gymnasium. Erst Ende der zwanziger Jahre wurde wieder ein zweites, specifisch katholisches Gymnasium (zu St. Stephan) errichtet. Im Jahresbericht 1821 der Studienanstalt von St. Anna findet sich unter den „später Eingetretenen“ der Unterprogymnasialclasse der Name „Charles Louis Napoleon, Herzog von St. Leu, aus Paris, dreizehn Jahre alt“ mit folgender Anmerkung des Classenlehrers Martin verzeichnet: „Im Anfange des zweiten Semesters trat der Herzog von St. Leu aus dem Privatunterricht in die Classe und machte – obgleich noch nicht vollkommenen mit der deutschen Sprache vertraut – dieses Hindernisses ungeachtet, einen guten Fortgang.“ Das Verzeichniß von 1822 bringt ihn als den vierundzwanzigsten unter sechsundfünfzig Schülern des Oberprogymnasiums, dessen Classenlehrer Dr. Dobel die Notiz anfügt: „Ehrenerwähnung verdient unter Anderen der Prinz Charles Louis Napoleon, welcher, bei genauerer Bekanntschaft mit der deutschen Sprache, sich einen höhern Platz würde erworben haben.“

Wir finden ihn zuletzt noch im Kataloge von 1823, wo er in der Untergymnasialclasse des Professors Eckert als der neunzehnte unter achtundfünfzig Mitschülern angeführt ist.

Napoleon hatte wie jeder andere Schüler seinen Platz auf der gemeinsamen Schulbank. Er war sehr fleißig und machte namentlich in der Geschichte, seinem Lieblingsstudium, gute Fortschritte. Sein Hofmeister Lebas begleitete ihn regelmäßig bis zur Schulpforte, worauf sich derselbe in die nahegelegene Stadtbibliothek

  1. Beim Einritt in Augsburg am 18. October 1805, Abends 9 Uhr, stürzte Napoleon mit dem Pferde. Beim Empfang einer Rathsdeputation am nächsten Morgen sprach er das Schreckenswort für die freien Reichsbürger: „Sie haben ein schlechtes Pflaster. Ich muß Sie einem Fürsten geben,“ ein Wort, das der Allgewaltige auch bald darauf zur Wahrheit machte.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 182. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_182.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)