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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


begab, um den Prinzen nach beendeter Schulzeit wieder abzuholen. Napoleon durfte sich unter seinen Mitschülern zwölf specielle Spielcameraden auswählen, wobei nach „demokratischen“ Principien ohne Rücksicht auf Stand und Geburt verfahren wurde. Von diesen zwölf lebt noch ein einziger, der Oberstabsarzt a. D., Herr Dr. Dobelbauer in Augsburg.

Der Prinz war sehr einfach gekleidet; er trug in der Regel ein dunkelblaues Beinkleid, eine Jacke von gleicher Farbe mit gelben Knöpfen und im Winter einen Radmantel. Jeden Mittwoch, Sonnabend und Sonntag von zwei bis vier Uhr Nachmittags waren die Spielcameraden zu dem prinzlichen Freunde geladen. Im Sommer wurden meistens militärische Spiele im Garten veranstaltet, bei denen der eine Theil Griechen, der andere Türken vorstellte. Im Winter fanden Schneeballenkämpfe statt, die manchem Fenster verderblich wurden, oder man vergnügte sich mit Schlittschuhlaufen auf dem sogenannten „Schleifgraben“. Bei ungünstiger Witterung wurde die Zeit im Zimmer des Prinzen mit Lottospiel vertrieben, wobei die Gewinnste in Confect bestanden. Auch Verstecken ward häufig gespielt – nicht zum Vergnügen der Kammerfrau, denn die lustige

Begräbnißcapelle Louis Napoleon’s in Chislehurst.

Schaar respectirte bei solchen Gelegenheiten selbst die Gemächer der Herzogin nicht. Ueberhaupt war es Erziehungsprincip, daß die ganze Cameradschaft sich ungezwungen bewegen und cordial mit einander verkehren solle. Die sämmtlichen Spielcameraden hatten die Weisung, mit dem Prinzen nur Deutsch zu sprechen, worin er sich ziemlich vervollkommnete, und ihn zu duzen.

Die noch überlebenden Freunde und Mitschüler des Prinzen aus jener Zeit rühmen dessen freundliches, verträgliches Wesen. Doch ließ es derselbe auch nicht an manchem mehr als blos lustigen Knabenstreiche fehlen. Einmal stiftete er einen Mitschüler dazu an, ein sogenanntes Knallkügelchen auf den Katheder des Professors zu werfen, das auch richtig explodirte. Dieses allerdings sehr ungefährliche Bombenattentat en miniature brachte dem Thäter zwölf Stockstreiche, dem moralischen Urheber einen zweistündigen Arrest ein, den er mit seinem Mitschuldigen in gemeinsamer Haft verbüßen mußte. Ein anderes Mal riß der Prinz dem Papagei der Schwiegermutter des Haushofmeisters Lacroix, die im Nachbarhause wohnte, sämmtliche Schwanzfedern aus und decorirte damit die Mützen seiner Cameraden. Sein Hofmeister dictirte ihm dafür ebenfalls Arrest und die Cameraden durften acht Tage lang nicht mehr zu ihm kommen.

Harmloser war ein anderes Vergnügen, dem der Prinz gleich dem gewandtesten Augsburger Straßenjungen huldigte, nämlich das Voltigiren über die säulenartigen, zum Schutze des Trottoirs angebrachten „Abweissteine“. Sein nun verstorbener Privatzeichenlehrer Kaufmann zeichnete den Springinsfeld später in dieser Situation und schickte dann das Bild dem Kaiser nach Paris, der darob sehr erfreut war und es natürlich an einer gewichtigen Dankesbezeigung nicht fehlen ließ.

Wöchentlich einmal war bei Hortense größere Abendgesellschaft, wobei in der Regel musicirt wurde. Von den beiden Hofdamen spielte die eine, Madame Cochelet, vortrefflich die Harfe, die andere, Fräulein von Mollenbeck, eine Deutsche, wie schon ihr Name besagt, ausgezeichnet Clavier. Der Herzog von Leuchtenberg, der von München öfters auf Besuch nach Augsburg kam, sang einige Male in jenen musikalischen Soiréen. Abwechslungsweise fand sich die Gesellschaft auch bei dem damaligen Regierungspräsidenten von Augsburg, Grafen von Gravenreuth, ein. Einer unserer Gewährsmänner, Herr Regierungsdirector Dr. von Ahorner, damals Präsidialsecretär des Grafen von Gravenreuth, ein vorzüglicher Musiker, spielte bei Quartetten das Violoncell. Im Winter veranstaltete die Herzogin auch französische Theatervorstellungen, bei denen Prinz Louis mehrmals selbst mitspielte. Seine Spielgenossen durften den Vorstellungen beiwohnen. – Die Ausflüge in die Umgegend erstreckten sich auf das nahegelegene Affing, wo Graf von Gravenreuth ein Gut besaß, und das Schloß Wöllenburg, ein Besitzthum des Fürsten Fugger-Babenhausen. – In den fünfziger Jahren ließ Napoleon für seine Gemahlin das Haus in Augsburg, sowie Ansichten von Affing und Wöllenburg durch einen Münchener Künstler aufnehmen.

So flossen der einstigen Königin und ihrem Sohne die Jahre in Augsburg dahin, äußerlich still und ruhig. Was in dem Herzen Hortensens vorging, was sie ihrem Sohne in den Stunden trauten Beisammenseins zu erzählen, wie sie seine Seele mit Bildern einer schöneren, größeren Zukunft zu entflammen wußte, – darüber fehlt uns freilich die Kunde, aber wir können es ahnen. – Der Tag des Abschieds war herangekommen, und eine glänzende Festlichkeit beschloß diesen Abschnitt des Lebens Napoleon’s. An dem Springbrunnen im Garten, den unser Bild zeigt, wurde zum Schluß des Abschiedsfestes ein großartiges Feuerwerk abgebrannt, was wir, als gewissenhafte Chronisten, zu erwähnen nicht unterlassen wollen.

Napoleon hat während seines ganzen späteren Lebens seinen Lehrern und Genossen aus damaliger Zeit eine dankbare und freundschaftliche Erinnerung bewahrt und derselben vielfach in Wort und That Ausdruck verliehen. – Als Anfangs September 1862 die ehemaligen Schüler der beiden Gymnasien Augsburgs das „Studiengenossenfest“, ein Fest des Wiedersehens und der Erinnerung feierten, zu welchem alle ehemaligen Schüler geladen waren, da bezeigte auch der Studiengenosse auf dem Throne Frankreichs seine lebhafte Theilnahme an der Feier und sendete an den Präsidenten des Festcomités, den nunmehrigen Medicinalrath, Herrn Dr. med. Hertel, ein eigenhändiges Schreiben, das damals natürlich sofort in alle Zeitungen zum Abdruck kam, trotzdem aber an dieser Stelle nicht fehlen darf.

Das Schreiben kam während des Festmahls am 2. September zur Verlesung und lautet also: „St. Cloud, 30. August 1862. Herr Präsident! Ich habe mit größtem Antheil von einer Zusammenkunft der ehemaligen Schüler des Augsburger Gymnasiums gehört, welche mit einem Gastmahl die Erinnerung früherer zusammen verlebter Studienjahre feiern wollen, und wünsche, wenigstens als ein ehemaliger Mitschüler in Gedanken an diesem freundlichen Feste Theil zu nehmen. Ich habe nie die Zeit vergessen,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 183. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_183.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)