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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

In diesem Antlitz stürmte die ganze Gewalt einer Leidenschaft, deren Größe er wohl selbst nicht gekannt hatte, bis zu dem Momente, wo es sich um das Verlieren handelte. Der Moment war jetzt gekommen, und jetzt forderte sie ihr Recht. Auf dieser bleichen Stirn, in diesen zuckenden Lippen und brennenden Augen stand es deutlich geschrieben, was ihm die heutige Unterredung gekostet, von der Baron Windeg meinte, er habe nicht geglaubt, daß die Sache sich so leicht machen werde.

Also jetzt war sie da, die so lang gefürchtete Stunde der Trennung, und es war gut, daß es so kam, daß ein fremder Wille hier eingriff, wo der eigene sich machtlos erwies. Wie oft während der letzten vierzehn Tage hatte Arthur daran gedacht, selbst den Vorwand zu gebrauchen, den der Baron ihm jetzt in die Hand gab, und damit die Folter dieses Zusammenlebens abzukürzen, denn diese abgemessene Kälte nach außen, welche die Gluth im Innern jeden Augenblick Lügen strafte, ließ sich nicht mehr ertragen; das ging über Menschenkräfte – und dennoch war nichts geschehen. Freilich ist es eine unbestrittene Wahrheit, daß das Unvermeidliche am besten schnell geschieht, aber nicht Jeder, der den Muth besitzt, mit fester Hand das Messer an eine vergiftete Wunde des Körpers zu setzen, hat ihn auch da, wo es sich darum handelt, eine verzehrende Leidenschaft aus dem Herzen zu reißen; mit ihr kommt unabweisbar die Furcht vor dem Verluste. Sie waren ja längst getrennt, diese Beiden, aber er sah doch wenigstens immer noch das schöne blonde Haupt mit den stolzen, jetzt so ernsten Zügen und den sprechenden dunklen Augen, hörte doch wenigstens noch diese Stimme, und dann kamen auch Momente eines blitzähnlich aufflammenden Glückes, die ganze Tage und Wochen voll Bitterkeit aufwogen, wie vorgestern im Walde, wo sie mit so sichtbarer Angst ihr Pferd an das seinige drängte, wo sie in seinen Armen bebte, als er sie herabhob – mochte es Feigheit sein, aber er hatte nicht freiwillig, nicht eher verzichten können, bis man es forderte, wie es jetzt geschah.

Die Thür wurde leise geöffnet und ein Diener erschien zögernd auf der Schwelle.

„Was giebt’s?“ fuhr Arthur auf. „Habe ich nicht befohlen –“

„Um Vergebung, Herr Berkow!“ sagte der Mann schüchtern. „Ich weiß wohl, daß Sie nicht gestört sein wollen – aber da – da die gnädige Frau selbst –“

„Wer?“

„Die gnädige Frau sind selbst hier und wünschen –“

Der Diener hatte keine Zeit zu vollenden und er war auch etwas überrascht von dem Ungestüm, mit dem sein Herr die Thür aufriß und in’s Vorzimmer eilte, wo er wirklich seine Gattin erblickte, die dort zu warten schien. In der nächsten Minute war er an ihrer Seite.

„Du läßt Dich melden? Welche überflüssige Etiquette!“

„Du wolltest Niemand sehen, wie ich höre, und Franz sagte mir, der Befehl gelte für Alle ohne Ausnahme.“

Arthur wandte sich mit finsterer Miene zu dem Bedienten, der entschuldigend sagte: „Ich wußte wirklich nicht, was ich da thun sollte. Es ist ja das erste Mal, daß die gnädige Frau hierher kommt.“

Die Worte enthielten wirklich nur eine verlegene Entschuldigung, weiter nichts, aber Eugenie wendete sich doch rasch ab und die Zurechtweisung, die ihr Gemahl bereits auf den Lippen hatte, unterblieb. Der Mann hatte im Grunde Recht; für einen so ungewöhnlichen Fall, wie das Erscheinen der gnädigen Frau in der Wohnung des Herrn war, reichten seine Instructionen nicht aus; es war in der That das erste Mal, daß sie diese Wohnung betrat. Man hatte sie bisher immer nur im Salon, im Eßzimmer oder in den Gesellschaftsräumen getroffen; so konnte und mußte denn der heutige Besuch die Dienerschaft wohl befremden.

Arthur gab dem Bedienten einen Wink, sich zu entfernen, und trat mit seiner Frau in das Arbeitszimmer. Sie schien auf der Schwelle zu zögern.

„Ich wünschte Dich zu sprechen!“ sagte sie mit unterdrückter Stimme.

„Ich stehe Dir ganz zu Befehl.“

Er schloß die Thür wieder und schob einen Fauteuil heran, indem er sie mit einer Handbewegung einlud, darauf Platz zu nehmen. Die wenigen Minuten hatten genügt, dem jungen Manne wieder die ganze Fassung zurückzugeben, in der er sich in den letzten Wochen hinreichend geübt; Antwort und Bewegung waren so kühl und abgemessen, als ob er der fremdesten Dame in dem fremdesten Salon eine Höflichkeit erweise.

„Willst Du Dich nicht setzen?“

„Ich danke! Ich werde Dich nicht lange in Anspruch nehmen.“

Es war etwas Scheues, Unsicheres in dem Wesen der jungen Frau, das eigenthümlich mit ihrer sonst so sicheren Haltung contrastirte. Vielleicht fühlte sie sich fremd in diesen Räumen, und vielleicht wurde es ihr auch schwer, den Anfang des Gespräches zu finden. Arthur erleichterte ihr Beides nicht; er sah, wie sie zweimal vergebens nach Worten suchte, ohne sie finden zu können, aber er stand stumm und finster ihr gegenüber am Schreibtische und wartete.

„Mein Vater hat mir sein heutiges Gespräch mit Dir mitgetheilt,“ begann Eugenie endlich, „und auch das Resultat desselben.“

„Das habe ich erwartet, und eben deshalb – verzeih’, Eugenie! – war ich anfangs so überrascht, Dich hier zu sehen. Ich glaubte Dich mit den Vorbereitungen der Abreise beschäftigt.“

Die Worte sollten wohl den Eindruck seiner Bewegung bei ihrem Erscheinen verwischen, und sie schienen es auch zu thun. Es vergingen einige Secunden, ehe die junge Frau antwortete.

„Du hast diese Abreise bereits heute Nachmittag der Dienerschaft angekündigt?“

„Ja! Ich glaubte Deinen Wünschen zuvorzukommen und überdies hielt ich es für besser, wenn der Befehl zu den Vorbereitungen von mir ausging; Du kennst ja den Vorwand, den wir brauchen. Beabsichtigtest Du die Sache anders einzuleiten? Dann bedaure ich, Deine Absichten nicht gekannt zu haben.“

Der Ton war eisig, und es schien auch daraus wie ein Eishauch zu Eugenien herüberzuwehen; sie trat unwillkürlich einen Schritt zurück.

„Ich habe nichts zu erinnern. Es überraschte mich nur, daß der einmal festgesetzte Termin meiner Abreise beschleunigt werden soll. Du hattest doch Deine Gründe, ihn festzuhalten.“

„Ich? Es war Dein Wunsch, Deine Forderung, der ich in diesem Punkte nachkam. Baron Windeg sagte mir wenigstens, daß es so wäre.“

Eugenie fuhr auf. Es schien, als ob mit dem tiefen erleichternden Athemzuge, der jetzt ihre Brust hob, auf einmal alle Scheu und Unsicherheit verschwinde, als ob ihr mit der einen Antwort der ganze Muth zurückgekommen sei.

„Ich ahnte es! Mein Vater ist zu weit gegangen, Arthur; er hat in meinem Namen gesprochen, wo er nur seinen eigenen Wunsch vertrat. Ich bin gekommen, das Mißverständniß zu lösen und Dir zu sagen, daß ich nicht abreisen werde – wenigstens nicht eher, bis ich aus Deinem Munde höre, daß Du es verlangst.“


(Fortsetzung folgt.)




Japanisches Nationalfest mit Theaterlöwen.


Während Gesandtschaften und oberste Größen aus dem japanesischen Inselreiche, dessen Jahrtausende verschlossen gewesene Thore durch die unwiderstehliche Macht des rastlosen europäisch-nordamerikanischen Culturgeistes aus den Angeln gehoben worden sind, im alten Europa vor Allem die neue deutsche Kaiserstadt bewundern, erfreuen wir uns am Anschauen der wunderlichen Sitten, Gebräuche und Feste jenes Landes, an denen wir wenigstens die ungeheuere Dauerhaftigkeit bewundern müssen, denn auch sie sind so alt wie das Reich, das in seinen Zeitrechnungen mit Millionen von Jahren spielend um sich wirft. Die Urreligion der Japanesen ist nämlich mit Mythen der Urgeschichte von Japan verwebt; in diesen stehen die Kami’s als

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 222. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_222.JPG&oldid=- (Version vom 21.5.2018)