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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

„Hier auf der Wiese?“

„Der Ort ist gleich; wir sind auch hier allein.“

Ulrich kam langsam näher und stellte sich seinem Chef gegenüber, der an einer der Weiden lehnte, die den Rand des Grabens säumten. Auf der Wiese fingen die Abendnebel an emporzusteigen, und drüben über dem Walde, da wo die Sonne gesunken war, glühte jetzt das Abendroth auf.

Es war ein eigenthümlicher Contrast, die Beiden: – die schlanke, fast zarte Gestalt des vornehm aussehenden jungen Mannes mit dem bleichen Antlitz voll stiller Ruhe, den großen ernsten Augen, aus denen jetzt jenes Leuchten geschwunden war, das sie räthselhaft anziehend machen konnte, und die riesige Figur des Arbeiters, mit dem stolz getragenen blonden Kopfe, mit dem Gesicht, eisern wie seine Muskeln und Sehnen, dem flammenden Blick, der sich mit einer Art wilder Genugthuung in die bleichen Züge seines Gegners bohrte; er ahnte, was dahinter verborgen lag. Der Instinct der Eifersucht hatte ihn sehen und deuten gelehrt, wo sonst Niemand etwas sah, und wenn alle Welt behauptete, daß Arthur Berkow fremd und kalt an seiner schönen Gemahlin vorübergehe und nie das mindeste Interesse für sie gehegt habe, Ulrich wußte, daß man nicht gleichgültig bleiben konnte, wenn man ein Wesen, wie Eugenie Windeg, die Seine nannte, wußte, was es heißt, ein solches Wesen zu verlieren, seit jenem Morgen, wo er unter den Tannen stand und dem davon rollenden Wagen nachsah. Aber mitten durch das Weh der Trennung rang sich in ihm ein stolzer Triumph empor. Eine Frau, die ihren Mann liebt, verläßt ihn nicht in dem Momente, wo Alles um ihn her wankt und bricht, und sie ging von ihm, ging im sicheren Schutze ihres Vaters und Bruders und ließ ihn allein zurück, Allem preisgegeben. Das hatte ihn denn doch getroffen, den stolzen Berkow, der sonst nicht zu treffen war mit Haß und Drohungen, mit der Furcht vor Gewalt und Empörung, vor seinem Ruin selbst, und wenn er seine ganze Umgebung täuschte mit dieser ruhigen Stirn, den Feind konnte er damit nicht täuschen; der Schlag war bis an’s Herz gegangen.

„Ich brauche Ihnen nicht erst zu sagen, was in der letzten Zeit vorgegangen ist,“ begann Arthur, „Sie werden ebenso gut und noch besser darüber unterrichtet sein, als ich es bin. Die übrigen Werke sind Ihrem Beispiele gefolgt; wir gehen allem Anschein nach längeren Conflicten entgegen. Sind Sie Ihrer Cameraden sicher?“

Ulrich stutzte bei der letzten Frage. „Wie meinen Sie das, Herr Berkow?“

„Ich meine, ob wir hier unter uns allein fertig werden können, ohne fremde Einmischung. Auf den anderen Werken können sie es nicht. Von den Eisenhütten hat man sich bereits mit der Bitte um Hülfe nach der Stadt gewendet; Sie sind den dortigen Tumulten ja wohl nicht fremd, also werden Sie wohl am besten wissen, wie nothwendig das war. Ich freilich würde nur im Fall der äußersten Nothwehr zu einem solchen Mittel greifen, aber auch der Fall kann eintreten. Bereits sind mehrere meiner Beamten insultirt worden; man war neulich im Walde nahe daran, auch mich zu insultiren; bauen Sie nicht auf meine Geduld oder auf meine Schwäche! So sehr ich das Aeußerste zu vermeiden wünsche, der Gewalt werde ich mit Gewalt antworten.“

Ulrich hatte schon bei den ersten Worten mit finsterer Ueberraschung aufgeblickt. Er mochte wohl etwas Anderes erwartet haben, als eine solche Erklärung, aber die Ruhe, mit der sie gegeben wurde, nahm ihr alles Herausfordernde und zwang auch den Gegner zur Mäßigung; es klang nur ein leiser Hohn in seiner Stimme, als er erwiderte:

„Das ist mir nichts Neues. Gewalt gegen Gewalt! Ich wußte es von vorn herein, daß wir eines Tages dahin kommen würden.“

Arthur sah ihn fest an. „Und wer trägt die Schuld, wenn wir dahin kommen, der Widerstand der Menge oder der Starrsinn eines Einzigen?“

„Der Starrsinn eines Einzigen! ganz recht, Herr Berkow! Sie wissen, daß es Sie nur ein Wort kostet – und morgen arbeiten Ihre Werke wieder.“

„Und Sie wissen, daß ich dieses Wort nicht sprechen kann, weil es Unmögliches einschließt. An Euch ist es jetzt nachzugeben; ich biete Euch noch einmal die Hand dazu.“

„Wirklich?“ rief der junge Bergmann, diesmal mit ausbrechendem Hohne. „Wohl weil es jetzt überall in der ganzen Provinz losbricht und wir einen Schutz und Hinterhalt an unseren Cameraden haben?“

Berkow richtete sich mit einer raschen Bewegung empor, und jetzt flammte auch sein Auge. „Weil man Euch mit den Waffen zu der Ordnung zwingen wird, die Ihr mit Füßen tretet, und weil ich meinen Leuten das Schicksal ersparen möchte. Lassen Sie den Hohn, Hartmann, an den Sie selbst nicht glauben! Was auch zwischen uns geschehen ist und vielleicht noch geschehen wird, von dem Vorwurfe der Feigheit, denke ich, sprechen wir uns wohl gegenseitig frei.“

Es war wieder jener Ton und Blick wie damals im Conferenzzimmer. Ulrich schaute mit einem Gemisch von Groll und Bewunderung auf seinen jungen Chef, der in solcher Stunde so mit ihm zu sprechen wagte, und er mußte es doch von der Scene im Walde her wissen, was bei ähnlichen Begegnungen zu fürchten war; seine Worte bewiesen ja auch, daß er es sehr gut wußte, und dennoch hatte er heute freiwillig dieses Alleinsein gesucht. Der Park war völlig leer, auf der Wiese kein menschliches Wesen zu erblicken, und die Häuser lagen noch eine ganze Strecke weit entfernt. Keiner von den Beamten hätte es gewagt, mit dem gefürchteten Hartmann so unter vier Augen eine Unterredung zu haben, die leicht verfänglich werden konnte, selbst der kecke Oberingenieur nicht; nur der einst so verachtete Weichling wagte es; ja wohl, von dem Verdachte der Feigheit hatte sein Gegner ihn längst schon freigesprochen.

Arthur schien den Eindruck zu fühlen, den seine Haltung hervorbrachte; er trat einen Schritt näher.

„Sehen Sie denn nicht ein, Hartmann, daß Sie sich für die Zukunft unmöglich machen mit diesem Benehmen?“ fragte er ernst. „Sie glauben vielleicht, daß bei dem endlichen Ausgleiche Ihre Cameraden einen Druck auf mich üben werden? Ich lasse mir keinen Zwang anthun, mein Wort darauf; aber ich achte in Ihnen die tüchtige, wenn auch mißleitete Kraft. Sie hat sich bisher nur zu meinem Schaden kundgegeben, und gerade daran habe ich gesehen, was sie wirken kann, wenn sie sich einst nicht mehr feindselig gegen mich wendet. Geben Sie jetzt der Stimme der Vernunft Gehör, begnügen Sie sich mit der Erreichung des Möglichen – und ich biete Ihnen freiwillig das Bleiben auf den Werken und freie Bahn zum Emporsteigen. Ich weiß, was ich damit wage, wenn ich ein Element wie Sie unter meinen Arbeitern behalte; aber ich werde es wagen, wenn meinem Vertrauen das gleiche entgegenkommt.“

Das Anerbieten selbst war vielleicht schon gewagt genug, einem Manne gegenüber, der gewohnt war, jede Mäßigung als Schwäche aufzufassen; aber Berkow schien sich gerade hier nicht verrechnet zu haben. Zwar antwortete Ulrich nicht; er verrieth auch keine Nachgiebigkeit, aber für eine Natur wie die seinige war es schon genug, daß das Gebotene nicht sofort mit finsterm Mißtrauen zurückgestoßen wurde.

„Vertrauen freilich habe ich bisher vergebens von Euch gefordert,“ fuhr Arthur fort. „Ihr habt es mir bis auf diese Stunde verweigert. Ich bin fremd hier eingetreten; wenn auch nicht dem Orte selbst, meinen Werken und Euch war ich ein Fremder. Ihr seid mir mit einer Kriegserklärung entgegengekommen, ohne auch nur zu fragen, was ich freiwillig ändern oder bessern wolle; Ihr habt mich als Feind empfangen und behandelt und wußtet noch nicht einmal, ob ich Euer Feind sein wollte.“

„Wir sind im Kriege!“ sagte Ulrich kurz. „Da gilt jeder Vortheil.“

Arthur hob das vorhin so blasse Antlitz, das jetzt überfluthet war von dem flammenden Purpur des Abendrothes, dessen Wiederschein sie Beide umleuchtete.

Muß denn Krieg sein zwischen uns? Ich meine nicht den jetzigen Streit, der früher oder später sein Ende erreichen wird; ich meine den geheimen erbitterten Krieg, den Härte und Zwang von der einen Seite und Groll und Haß von der andern endlos schüren und endlos fortspinnen. So ist es gewesen all die Jahre lang, ich weiß es, und so wird es wieder sein, wenn der Zwang allein Euch niederwirft. Wir sollten Frieden machen, ehe sich beide Theile daran verbluten; noch können wir es, noch ist nichts geschehen, was den Riß unheilbar erweitert; in wenig Tagen ist es vielleicht zu spät.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 254. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_254.JPG&oldid=- (Version vom 3.6.2018)