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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

Gegenständen, als sei sie nie fort gewesen. Die letzten drei Monate sollten und konnten für sie ja auch nichts Anderes sein, als ein schwerer banger Traum, aus dem sie jetzt erwachte zu der alten Freiheit ihrer Mädchenjahre, und zu einer besseren, als die ehemalige, denn jetzt lauerte das Gespenst der Sorge nicht mehr drohend auf jedem Schritte, den sie und die Ihrigen thaten; jetzt brachte nicht jeder neue Tag wieder neue Demüthigungen und neue Opfer; jetzt wurde nicht jede Stunde des Familienlebens vergiftet durch die Furcht vor der vielleicht morgen schon drohenden Schande des Ruins und vor all seinen furchtbaren Folgen. Das alte edle Geschlecht der Windeg konnte wieder auftreten im vollen Glanze der Macht und des Reichthums. Wer die Rabenau’schen Güter besaß, war reich genug, alle früheren Verluste damit zu decken und sich und den Seinen eine glänzende Zukunft zu bereiten.

Freilich ein Schatten blieb noch immer zurück in all dem neuen Sonnenschein, der dem Baron und auch einst Eugenien so sehr verhaßte bürgerliche Name; aber auch das konnte nur eine Frage der Zeit sein. Das schöne, geistvolle Mädchen hatte schon in ihren eigenen Kreisen manchen Verehrer gefunden, der wohl früher oder später zum Bewerber geworden wäre, trotz der offenkundigen Verhältnisse ihres Vaters. Eugenie Windeg war ganz danach, es einen Mann vergessen zu lassen, daß er die Tochter einer armen und verschuldeten Familie in sein Haus führte. Der alte Berkow hatte damals mit roher Hand in all jene Pläne und Anknüpfungen gegriffen und den Preis seinem eigenen Sohne zugewandt. Er hatte die Macht, zu fordern, wo Andere erst werben mußten, und wußte sie zu gebrauchen. Jetzt aber wurde Eugenie wieder frei; der nunmehrige Majoratsherr konnte ihr eine reiche Mitgift sichern; er kannte mehr als einen Standesgenossen, der gern, und nicht blos aus Berechnung, bereit war, die einst zerrissenen Fäden wieder anzuknüpfen und mit dem Namen auch die letzte Erinnerung an jene Heirath zu verwischen, indem er durch eine ebenbürtige Vermählung die junge Baroneß wieder auf die gleiche, wenn nicht noch auf eine höhere Stufe erhob, als die war, auf welche die Geburt sie gestellt hatte. Dann war der letzte Flecken getilgt von dem Wappenschilde der Windeg und es strahlte wieder im hellsten Glanze.

Aber die junge Frau sah gar nicht so ruhig und hoffnungsfreudig aus, wie man es nach all diesem Sonnenschein des Glückes doch hätte erwarten sollen. Schon wochenlang war sie im väterlichen Hause, und noch immer wollte die Farbe nicht auf ihre Wangen zurückkehren und der Mund das Lächeln nicht wieder lernen. Sie blieb hier, umgeben von all der Liebe und Sorgfalt der Ihrigen, so bleich und still, wie sie nur je an der Seite des ihr aufgedrungenen Gatten gewesen, und auch jetzt schaute sie hinunter auf das Gewühl zu ihren Füßen, ohne daß es auch nur einer der wechselnden Gestalten in der auf- und abfluthenden Menge gelang, ihre Aufmerksamkeit für einen Moment zu fesseln. Es war jener leere, träumende Blick, dem die nächste Umgebung völlig verschwindet, und der statt dessen etwas ganz Anderes an einem ganz anderen Orte sieht. „In Eurer Residenz verlernt man ja Alles, sogar die Sehnsucht nach der Waldeinsamkeit!“ Das schien hier nicht zuzutreffen. Eugenie sah aus, als sehne sie sich recht schmerzlich danach.

Der Baron pflegte vor dem Spazierritt, den er gewöhnlich gegen Abend unternahm, stets auf eine halbe Stunde zu seiner Tochter zu kommen; auch heute geschah das, aber heut war seine Miene wichtiger als sonst und er hielt ein Papier in der Hand.

„Ich muß Dich diesmal mit etwas Geschäftlichem behelligen, mein Kind,“ begann er nach kurzer Begrüßung. „Ich habe soeben eine Conferenz mit unserem Rechtsanwalt gehabt, die über Erwarten befriedigend ausgefallen ist. Der Vertreter der Gegenpartei ist in der That bevollmächtigt, all unseren Wünschen entgegenzukommen; die Herren haben sich bereits über die nothwendigen Schritte geeinigt, und die ganze Angelegenheit wird sich voraussichtlich weit schneller und leichter erledigen lassen, als wir zu hoffen wagten. Ich bitte Dich, dies Blatt zu unterschreiben.“

Er hielt ihr das Papier hin; die junge Frau schien hastig danach greifen zu wollen, aber auf einmal ließ sie die ausgestreckte Hand wieder sinken.

„Ich soll –?“

„Nun, Deinen Namen unter diese Schrift setzen, weiter nichts,“ sagte der Baron ruhig, indem er das Blatt auf den Schreibtisch legte und ihr einen Sessel heranschob. Eugenie zögerte.

„Es ist ein Actenstück – soll ich es nicht zuvor durchlesen?“

Windeg lächelte ein wenig. „Wenn es ein Document von Wichtigkeit wäre, so hätten wir es Dir selbstverständlich zur Durchsicht vorgelegt; es handelt sich hier aber nur um den Scheidungsantrag, den der Justizrath in Deinem Namen stellen wird und wozu er Deiner Unterschrift bedarf – eine bloße Förmlichkeit zur Einleitung des Processes. Die Details folgen erst später. Wenn Du indessen den Wortlaut kennen zu lernen wünschest –“

„Nein, nein!“ unterbrach ihn die junge Frau abwehrend, „dessen bedarf es nicht. Ich werde unterschreiben; aber es muß doch wohl nicht gerade jetzt in dieser Stunde sein; ich bin augenblicklich nicht in der Stimmung dazu.“

Der Baron sah sie höchst befremdet an. „Stimmung? Es handelt sich hier nur um eine Namensunterschrift; sie wird in einer Minute vollzogen sein, und ich habe dem Justizrathe versprochen, ihm das Blatt noch heute wieder zuzusenden, da er es morgen einzureichen beabsichtigt.“

„Nun denn, so werde ich es Dir heute Abend noch mit meiner Unterschrift bringen. Nur in diesem Augenblicke nicht; ich kann es nicht.“

Der Ton der jungen Frau war seltsam gepreßt, beinahe angstvoll. Ihr Vater schüttelte etwas unwillig das Haupt.

„Das ist eine seltsame Laune, Eugenie, die ich nicht begreife. Warum willst Du diesen einfachen Federzug nicht gleich jetzt in meiner Gegenwart thun? Indessen, wenn Du darauf bestehst – ich rechne darauf, daß Du mir heute Abend beim Thee das Blatt zurückgiebst; es ist dann noch Zeit genug, es fortzusenden.“

Er bemerkte nicht das tiefe, erleichternde Aufathmen seiner Tochter bei den letzten Worten, sondern trat an den Erker und blickte gleichfalls hinunter auf die Straße.

„Wird Curt nicht zu mir kommen?“ fragte Eugenie nach einer augenblicklichen Pause. „Ich habe ihn nur erst heute Mittag bei Tische gesehen.“

„Er wird noch müde sein von seiner Reise und wohl etwas ausgeruht haben. – Ah, da bist Du ja, Curt, soeben sprechen wir von Dir.“

Der junge Baron, der in diesem Augenblicke eintrat, mußte wohl darauf gerechnet haben, die Schwester allein zu finden, denn er sagte mit offenbarer und nicht ganz angenehmer Ueberraschung:

„Du hier, Papa? Ich hörte doch, Du hättest drüben in der Bibliothek eine Conferenz mit unserem Rechtsanwalte.“

„Wir sind bereits zu Ende, wie Du siehst.“

Curt schien der besagten Conferenz fast eine längere Dauer gewünscht zu haben, indeß er erwiderte nichts, sondern ging zu seiner Schwester und nahm vertraulich an ihrer Seite Platz. Er war in der That erst heute Mittag aus der Provinz eingetroffen; ein eigenthümlicher, dem Baron im höchsten Grade fataler Zufall hatte es gewollt, daß das Regiment, bei welchem sein ältester Sohn stand, gerade jetzt in die Stadt verlegt wurde, die den Berkow’schen Besitzungen zunächst lag, gerade jetzt, wo man alle Beziehungen dort abgebrochen hatte! Von einem längeren Urlaube des jungen Officiers konnte nicht die Rede sein, da die soeben ausbrechende Bewegung der Arbeiter in dortiger Gegend die ganze Provinz in Aufregung versetzte. Es standen Unruhen und demzufolge das Einschreiten des Militärs zu erwarten – da konnte sich Curt dem Dienste nicht entziehen. Er reiste also ab, mit der gemessenen Weisung des Vaters, in seiner neuen Garnison, wo man natürlich Berkow sehr genau kannte, die bevorstehende Scheidung für jetzt noch zu verschweigen. Der Baron hielt an der Taktik fest, der Welt erst die Thatsache gegenüberzustellen, und im Uebrigen hegte er die stillschweigende Voraussetzung, daß sein Sohn jede persönliche Berührung mit dem einstigen Verwandten möglichst vermeiden werde.

(Fortsetzung folgt.)




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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 256. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_256.JPG&oldid=- (Version vom 3.6.2018)