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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

die goldenen Dollars eingeheimst und selbst den Yankee die deutsche Kunst achten gelehrt. Jetzt thut es Pauline Lucca. Aber trotz der goldenen Ernte sehnt sie sich nach den Fleischtöpfen Aegyptens zurück. Vielleicht deshalb, weil die Unterhandlungen mit dem Häuptling der Chippeways, die Scalpirung eines deutschen Intendanten betreffend, nicht zum Ziele geführt haben? – Herzloser Chippeway!

Gustav Linden-Müller ist todt. Möge meinem ersten Director die friedlichste Ruhe nach dem bewegtesten Leben beschieden sein!

Arno Hempel.



Der zoologische Garten in Berlin.

Vor wenigen Jahren wußten die meisten Berliner kaum, daß ihre Residenz auch einen zoologischen Garten besaß; denn man sprach nicht davon, man ging nicht hinein, und wer ihn wirklich besucht hatte, wußte wenig Lobendes von diesem Institute zu erzählen. Der Garten war einer Stadt nicht würdig, die auf dem Gebiete der Wissenschaft und Kunst so Großes geleistet hatte.

Waren Fremde durch ihren Bädeker verleitet worden, den Garten zu besuchen, so kehrten sie gewöhnlich mit langen Gesichtern zurück, denn wenn sie auch nur fünf Groschen für den Eintritt bezahlt, so hatten sie doch weniger gefunden, als sie erwartet. Die Natur hatte den geräumigen, fast neunzig Morgen großen Platz mit dichten schönen Bäumen bedeckt; es fehlte aber noch die schöpferische Hand, welche in diesen Wald Licht und Luft und frisches Leben brachte. Hinter dem denkbar schlechtesten Holzgitter, durch welches man stets nur mit einem Auge schauen konnte und dessen morscher Zustand nicht einmal genügende Sicherheit bot, erblickte man eine Anzahl Thiere, welche den Besucher noch trauriger ansahen als er sie, denn das Geschick der Gefangenschaft war ihnen wenig erleichtert, da ihnen Alles, was zu ihrem Gedeihen nöthig war, nur kümmerlich geboten war: Futter, Luft und Licht und Sonnenschein. Das Raubthier- und das Affenhaus waren nur für Den zu besuchen, der seiner Nase und Lunge die größten Qualen zumuthete; obendrein zogen es die klugen Affen vor, fast jeden Winter gänzlich auszusterben, und daß die Raubthiere nicht diesem Beispiele folgten, lag nur an ihrer zäheren Lebenskraft. Auf einem übel duftenden Sumpfe fristeten eine Anzahl Wasservögel ihr trauriges Dasein; dafür erhoben sich aus demselben im Sommer Myriaden von Mücken, welche die Besucher als willkommene und wohlverdiente Beute betrachteten. In einer Anzahl Käfige waren Raubvögel so glücklich untergebracht, daß sie jede freie Bewegung verlernen und sich an dem unpraktischen Drahtgitter obendrein die Köpfe verletzen mußten. Es war, als ob die Reaction selbst diesen armen Thieren nicht gegönnt hätte, die Schwingen frei zu entfalten. Der ganze zoologische Garten erschien wie eine Strafanstalt für Thiere.

Lichtenstein, welcher 1844 den zoologischen Garten dadurch begründete, daß er die auf der Pfaueninsel bei Potsdam befindliche Menagerie hierher versetzte, hat sich unstreitig ein Verdienst dadurch erworben, und mit Recht erhebt sich im Garten seine Büste auf einem Piedestal; was er begonnen, wurde nur wenig in seinem Geiste weitergeführt. Es ist hier nicht unsere Aufgabe, zu untersuchen, woran und an wem die Schuld lag; wir schildern nur die Thatsache des damaligen Zustandes. Natürlich wurde der Garten sehr wenig besucht; die schlecht gepflegten Thiere, die nassen Wege, die Mückenschwärme, die fortwährenden Angriffe auf die Nase, die Beiseitelassung jedes Schönheitsgefühls und das alleinige Erregen des Mitleids – dies Alles war wenig geeignet, das Interesse des Publicums zu wecken und dem Institute dadurch reichlichere Mittel zuzuwenden. Es war traurig um den Garten bestellt.

Da wurde der Schöpfer des zoologischen Gartens in Köln, Dr. Bodinus, für das verwahrloste Institut als Director gewonnen; er kam im Herbste 1869 nach Berlin. Ihm hat Berlin den jetzigen zoologischen Garten zu verdanken, welcher mit dem früheren genauso viel Aehnlichkeit hat wie ein prachtvolles Palais mit einer alten verfallenden Caserne, auf deren Stelle es erbaut ist.

Bodinus hat aus dem dumpfen, dichten Walde die reizendsten Landschaftsbilder mit Teichen, Hügeln, Inseln und Baumgruppen geschaffen; er hat in wenigen Jahren den zoologischen Garten zu einem der schönsten und bedeutendsten gehoben; er hat aus dem verkommenen Institute eine Zierde der Kaiserstadt gemacht. Der zoologische Garten ist jetzt der Lieblingsort aller Berliner; in ihm schöpft die feine Welt frische Luft; zu ihm pilgert an Sonntagen der schlichte Bürger mit seiner ganzen Familie, um wenige Stunden in einem kleinen Paradiese zu verleben, in welchem es zwar auch Evas, verbotene Früchte und Schlangen giebt, aus dem indessen Niemand herausgeworfen wird, so lange er sich anständig beträgt.

Früher belief sich die höchste Zahl der Besucher an einem Tage auf etwas über dreitausend Personen, im vergangenen Sommer hat der Garten an einem Sonntage über fünfundvierzigtausend Besucher gehabt. Früher sahen alle Thiere kümmerlich aus, und jedes Jahr hatte man einen starken Verlust durch den Tod zu verzeichnen; jetzt glaubt man die Thiere in der freien Natur zu beobachten; sie sind gesund und vermehren sich mit wenigen Ausnahmen sämmtlich. Früher hatte jeder Mitleid mit den armen Thieren; jetzt möchte Mancher die Löwen und Tiger, die Antilopen und Giraffen fast um ihre prächtigen Wohnungen beneiden. Im zoolgischen Garten giebt es keine Wohnungsnoth und hat keiner der Bewohner Mietsteuer zu bezahlen; grobe Hauswirthe giebt es in ihm nicht einen einzigen, er müßte sonst zum Besuche aus der Stadt kommen, wo kein Mangel daran ist.

Möge uns nun der Leser bei einem Besuche in dem Garten begleiten! Wir können freilich bei Manchem nur flüchtig vorübergehen, da es dort des Sehenswerthen zu viel giebt. Wir haben einen Tag gewählt, an welchem in dem Garten Concert ist, weil wir dann die feine Welt Berlins dort finden; gewöhnlich rollen die Equipagen tausendweise an uns, die wir in einer bescheidenen Droschke sitzen, vorüber; vor uns und hinter uns sehen wir eine endlose Reihe von Wagen. Auf dem Halteplatze (3) vor dem Eingange in den Garten sind bereits Hunderte von Equipagen und Droschken aufgefahren, welche kaum eine enge Gasse zum Durchfahren übriglassen; trotzdem geht es ohne Störung ab, denn vor dem Eingange und an den Kreuzpunkten verschiedener Wege halten berittene Schutzleute, um darauf zu sehen, daß die Rosselenker Ordnung halten. „Vordrängeln gilt nicht“ – wie der Berliner sagt.

Diener in Livree empfangen uns am Eingange; wir treten in den Garten ein und schon der erste Blick gerade aus ist ein überraschend schöner. Eine Durchsicht zwischen den herrlichen hohen Bäumen gestattet uns einen Blick auf das zierliche Wasserbassin mit Fontaine (12) und dahinter erhebt sich stolz der neue und prächtige Bärenzwinger (15), in welchem wir aus der Ferne Eisbären rastlos am Gitter auf- und abschreiten sehen, als wären sie immer noch nicht über die Frage mit sich einig, ob es hier oder am Nordpol schöner sei.

Es zieht uns zum Bärenzwinger; es verlocken uns die Töne der Militärmusik, welche links aus dem großen und geschmackvoll schönen Musik-Kiosk (11) in unser Ohr dringen; ein gewissenhafter Führer darf sich indessen nicht verlocken lassen. Wir wenden uns deshalb sogleich rechts, um zuerst (13) die Biber zu besuchen, welche in einer Felsgrotte ihre Wohnung haben und in den Bassins davor sich augenblicklich munter umhertummeln. Wir wenden uns dann ein wenig links, um (15) die Fischotter zu betrachten, wenn sie so freundlich ist, sich uns zu zeigen, denn nicht allein Künstler, sondern auch Fischotter haben Launen, kehren nun zurück, um (14, 16, 17, 18, 19) uns über verschiedene Rinderarten zu erfreuen. Zuerst (14) kommen die hübschen zierlichen Zebu-Sunda-Rinder mit ihren Kälbern fast in jedem Alter; dann treten wir zu dem meist unfreundlichen und von dem unartigen Publicum leider viel geneckten Yak oder Grunz-Ochsen, der durch sein langes, bis auf die Erde hängendes Haar die Bewunderung aller Fremden erregt und durch seinen Blick, und namentlich durch seine langen spitzen Hörner vorsichtig ein Noli me tangere zuruft. Mit Gattin und Kind spaziert er auf seinem geräumigen Hofe umher. Dicht neben ihm wohnen die hübschen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 262. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_262.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)