Seite:Die Gartenlaube (1873) 347.JPG

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


„Sie sind herzlich willkommen!“ erwiderte der westphälische Araber und schüttelte uns kräftig die Hände. „Sie werden hoffentlich entschuldigen, daß ich“ – er zeigte auf seine bloßen Füße – „Sie so empfange“ aber –“

Wir tauschten die üblichen Höflichkeitsphrasen und folgten dem Leibgardisten in ein Gemach. Daß unsre Neugier auf’s Höchste gespannt war, ist selbstverständlich. Herr Müller ließ es sich trotz unserer Einwendungen nicht nehmen, seine Uniform, auf die er sehr stolz zu sein schien, anzulegen. Vor unseren Augen hüllte er sich in seinen reich mit Gold betreßten Rock und setzte eine etwa fußhohe Mütze auf, welche an ihrem oberen Ende mit einer pfundschweren Metalleinlage versehen war, damit sie genügend steif auf dem Kopfe sitze und andererseits die militärischen Embleme auf der Vorderseite nicht eingedrückt werden.

Während des Ankleidens erzählte uns Herr Müller, was wir zu wissen wünschten; allerdings war sein Bericht sehr lückenhaft, und wir hüteten uns wohl, durch eine indiscrete Frage irgend einen wunden Fleck in der Brust des alten Abenteurers zu berühren. Müller war – weiß Gott, wie er dazu kam – einstens Kämpfer in der algerischen Fremdenlegion gewesen. Wie er aus den Diensten der Franzosen in die des Beys von Tunis gekommen, das zu ergründen überließ er unserem Scharfsinn. So viel stand fest, daß er schon seit Jahren wirklicher Leibgardist des Beys, Moslem und nachgeahmter Maure war, der alle Gewohnheiten des Landes angenommen hatte.

Herr Müller zeigte uns nun seine häusliche Einrichtung. Der viereckige, gepflasterte Hof, in welchen wir von der Straße aus getreten waren, war auf der dem Thore gegenüber liegenden Front durch einen mit Betten, Schränken und Kisten vollgestopften Salon abgeschlossen, während den linken Flügel des Gebäudes die Vorrathskammer, den rechten, ärmlichsten die Gemächer der Frau des Hauses sammt Familie und Geflügel einnahmen.

Wohl wissend, daß es ein Verstoß gegen den guten Ton ist, sich bei einem Muselmann nach dem Befinden der Frau Gemahlin zu erkundigen, wagte ich keine diesbezügliche Frage. Aber siehe da, Madame Müller (Herr Friedländer theilte uns später mit, daß sie dem Pensionsstande des Harems des Beys entnommen sei) kam uns aus freien Stücken entgegen, und zwar unverschleiert. Sie erklärte in gutem Arabisch, daß ihr Haus durch unsern Besuch gesegnet sei, zog sich aber bald wieder zurück.

Unser Wirth führte uns jetzt in die Speisekammer, wo sämmtliche Vorräthe in riesigen irdenen Töpfen aufbewahrt standen. Durch den Umstand, daß im Hause des Arabers Mehl, Fleisch, in Oel conservirt, und alle sonstigen Victualien in Masse vorräthig sind, wird es den Bewohnern möglich, oft mondenlang ihr Heim nicht zu verlassen. Nachdem uns der arabische Müller seine Schätze gezeigt und seine Hauseinrichtungen erklärt hatte, führte er uns zurück in den Salon. Dort begann er unter einigen Papieren, welche sein Familienarchiv bildeten, herumzukramen und zog endlich einen Brief hervor, der den Poststempel einer Stadt in Westphalen trug, deren Namen ich leider vergessen habe. In dem Schreiben befand sich als Einlage eines jener Flugblätter über Episoden aus dem deutsch-französischen Kriege und trug den Titel: „Die Schlacht bei Sedan“.

Mit stolzen Blicken wies Müller auf dieses Blatt, das ihm, wie er berichtete, sein Neffe geschickt hatte, und erzählte gleichzeitig, daß der Junge auch mitgefochten habe.

Am Eingang der erwähnten Flugschrift war die erste Strophe der „[[ Die Wacht am Rhein|Wacht am Rhein]]“ abgedruckt.

„Von dem Lied,“ sagte Müller, „habe ich schon viel gehört; die Worte gefallen mir auch sehr gut, und ich möchte wohl einmal das Lied singen hören.“

„Dem Mann kann geholfen werden,“ meinte unser Doctor, der sich einer kräftigen Baßstimme erfreut. „Auf, ihr Herren, bilden wir einen Chorus und singen wir unserm freundlichen Wirth ‚die Wacht am Rhein‘ vor!“

Wir Andern, obgleich minder gute Sänger, waren gern dazu bereit und stimmten an:

„Es braust ein Ruf – – –“

Neugierig kam Frau Müller aus ihrem Gemach herbei, und neugierig drängten die Kinder nach. So etwas hatten die Wände des kleinen Araberhauses noch nie zu hören bekommen. Wunderbar aber war es anzusehen, welche Veränderung in den Zügen unseres Wirthes vorging. Zuerst zeigte sein gefurchtes Gesicht den Ausdruck der Spannung, und die Haltung seines Körpers war die des Lauschens. Als aber die Frage ertönte:

„Wer wird des Stromes Hüter sein?“

da richtete sich der Mann hoch auf; seine Brust dehnte sich; seine Hände ballten sich. Und als wir sangen:

„Lieb’ Vaterland, magst ruhig sein – – –

da zuckte es schmerzlich in seinem Antlitz und seine Augenwimpern bewegten sich hastig auf und nieder.

Immer mehr nahm seine Rührung überhand, und als wir geendet hatten, saß der Renegat wie gebrochen auf seinem Schemel; er hatte sein Gesicht mit den Händen bedeckt; helle Thränen quollen zwischen seinen runzeligen Fingern hervor; seine Brust hob und senkte sich krampfhaft, und endlich schluchzte er wie ein Kind. Selbst auf die Frau des Hauses schien der Gesang, dessen Worte sie nicht verstand, einen gewaltigen Eindruck gemacht zu haben, und auch wir waren in eine weiche Stimmung versetzt worden, als wir die mächtige Erregung sahen, welche über den alten Abenteurer gekommen war.

Gesegnet von dem Ehepaar und begleitet von dessen besten Wünschen zogen wir von dannen, und wenn ich jetzt meine Erinnerungen an Afrika auffrische, verweile ich stets mit Vorliebe im Hause des arabischen Müller, wo ich in so ergreifender Weise von der Macht des deutschen Liedes überzeugt wurde.

B. in T.




Blätter und Blüthen.

Auf dem Ocean. „Ich will Ihnen ein Meisterstückchen unseres Schiffes zum Besten geben,“ begann der Capitain des Hamburger Dampfers ‚Westfalia‘, als wir am 12. Februar 1873 auf der Rückfahrt nach Europa im Rauchzimmer desselben gemüthlich beisammen saßen.

„Wie bekannt, strandete im August 1869 die ‚Germania‘ von der Hamburger Linie auf Cap Race. Zu dieser Zeit war dort zum Schutz der vielen von Frankreich nach Neufundland herüberkommenden Fischerboote eine französische Fregatte, der ‚Latouche Trouville‘, stationirt, und der Capitain derselben nahm die Schiffbrüchigen der ‚Germania‘ mit besonderer Liebenswürdigkeit auf, so daß von der preußischen Regierung ihm der rothe Adler-Orden zweiter Classe verliehen wurde.

Im October darauf kam ich nach New-York. Im dortigen Hafen lag zu derselben Zeit der ‚Latouche Trouville‘, dessen Capitain durch seine aufopfernde Hingebung bei dem erwähnten Unglücksfall namentlich unsere Gesellschaft so sehr verpflichtet hatte. Um unserer Dankbarkeit besonderen Ausdruck zu geben, wurde von Seiten der deutschen Notabilitäten New-Yorks beschlossen, dem Capitain und den Officieren der Fregatte an Bord meines Schiffes ein solennes Diner anzubieten. Unsere Einladung wurde angenommen, und es ist wohl in dem Salon dieses Dampfers nie wieder eine so fröhliche Gesellschaft zusammen gewesen, als an diesem Abend. Es war natürlich nichts gespart worden: die feinsten Weine aller Länder kamen auf den Tisch, und der französische Capitain sagte beim Abschied mit herzgewinnender Liebenswürdigkeit: ‚Capitain, Berge kommen nie zusammen, aber Menschen. Ich werde den heutigen Abend auf der ‚Westfalia‘ nie vergessen.‘

Neun Monate später brach der Krieg aus; mich erreichte die Nachricht von dem Beginn der Feindseligkeiten wiederum im Hafen von New-York, wo die ‚Westfalia‘ gerade zum Auslaufen bereit lag. Wir mußten jeden Gedanken an unsere Heimreise aufgeben und lagen nun Wochen, Monate lang an die ferne Küste gebannt, zu der Zeit, als täglich die fabelhaften Siegesbotschaften über’s Meer kamen und die ungeheure deutsche Bevölkerung drüben in einen wahren Freudentaumel versetzten. Im October 1870 endlich lief von der Direction in Hamburg der telegraphische Befehl für mich ein: die Heimreise anzutreten, aber mich nicht fangen zu lassen, ein Befehl, unter diesen Umständen leichter gegeben, als ausgeführt. Draußen vor Sandy Hook kreuzten, wie uns bekannt war, zwei Franzosen schon seit längerer Zeit, die auch ihre Berichte aus dem Hafen bekamen und denen meine bevorstehende Ausfahrt nicht verborgen bleiben konnte. Es wurde von den Vertretern der deutschen Dampfer-Compagnien Kriegsrath gehalten und zunächst beschlossen, daß unter neutraler Flagge eine Recognoscirungs-Deputation in die See hinausgeschickt werden solle, um zu sehen, ob die Luft rein sei. Es geschah: auf einem kleinen Schleppdampfer gingen drei Herren am nächsten Tage hinaus und brachten die Nachricht zurück, es kreuze allerdings ein französisches Kriegsschiff dort, scheine aber seinen Cours nach Süden zu nehmen. Es wurde nochmals Sitzung gehalten, und da für mich von Hamburg aus die bestimmte Weisung vorlag, gab ich den Ausschlag durch die Erklärung, daß ich unter allen Umständen in den nächsten Tagen die Reise antreten wolle. Fünf Passagiere fanden sich, die, obgleich vorher auf die Gefahren der Reise aufmerksam gemacht, sich dem Schiffe anvertrauten, und so dampfte die ‚Westfalia‘ an einem Nachmittage im October 1870 unter allgemeiner Theilnahme aller Landsleute mit entfalteten deutschen Wimpeln zum Hafen

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 347. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_347.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)