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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


abzustellen. Da weiter nichts vorkam, wurde das Zeidelgericht unter Abläutung der Glocken geschlossen.

Nach solcher Mühe und Arbeit erwartete die Deputirten, Richter, Vierer, Schöffen und Zeidler ein kräftiges Mahl, das auf Kosten der Herrschaft, das ist des Rathes der Stadt Nürnberg, ausgerichtet wurde. Solche Liberalität bewies der Rath jedoch nur bei der ersten der jährlichen Sessionen. Bei den übrigen fünf bezahlte die „Herrschaft“ nur für die Rathsherren, Richter, Vierer, Schöffen, den Gerichtsschreiber, Büttel und die Fuhrleute; die Zeidler hatten für sich selbst zu sorgen. Während der Mahlzeit zogen die Feuchter und Wendelsteiner Schützen mit klingendem Spiel vor das Postgebäude und feuerten drei Mal ihre Musketen ab. Der Schluß des Tages entsprach dem Anfang desselben. Den Abgesandten des Raths und dem Oberrichter wurde von berittenen Feuchter Zeidlern und vier blasenden Postillons eine Viertelmeile weit das Geleite gegeben.

Die Kosten, die der Rath damals für eine Session aufzuwenden hatte, beliefen sich auf fünfundzwanzig bis siebenundzwanzig Gulden.

Hiermit ist eines der wenigen in unsere Zeit hereinragenden urdeutschen Volksgerichte wahrheitsgetreu geschildert. Niemals konnte Eine Person für sich allein Richter sein; immer mußten Schöffen beigezogen werden. Daß diese Einrichtung auf ganz gesunder Basis beruht, beweiset der Umstand, daß man allenthalben auf diese Einrichtungen, sei es in der Form von Geschwornen- oder Schöffengerichten, wieder zurückkommt.

Es gab allerdings Zeiten, wo die Volksbildung auf so niedriger Stufe stand, daß die Schöffen ihrer Aufgabe nicht gewachsen waren. Wir finden in einer Urkunde von 1570 die Klage, daß die elf Schöffen aus dem Bauernstande sehr unwissend gewesen seien, und daß sie blindlings „dem pro Interesse eines erbern (ehrbaren) Raths sitzenden (zwölften) Schöffen nachgebetet haben“, wie denn die verlustigen Parteien hierüber geäußert hätten: „Es wäre an dem Zeidelgericht nur eine Gans, wie dieselbige schnatteret, so datteren die andern hienach.“ Allein man darf hierbei nicht vergessen, daß in jener Zeit, namentlich durch die Rechtsgelehrten, unsere deutsche Sprache durch Beimengung lateinischer Brocken dem gemeinen Manne ganz unverständlich gemacht worden war.

Wie beliebt das Zeidelgericht gewesen, beweist der Umstand, daß man noch Anno 1806 hoffte, dasselbe werde, wenn auch in verbesserter Gestalt, wieder erstehen. Diese Hoffnung ist nun freilich nicht in Erfüllung gegangen. Dafür sind, wie bekannt, seit 1848 allenthalben Schöffen- und Geschwornengerichte in zeitgemäßer Form entstanden, und es liegt wohl im Geist der Zeit, daß das deutsche Volk bald in noch größerer Ausdehnung zur Rechtsprechung beigezogen werde.

B. J. M. Lotter.




Blätter und Blüthen.

Zur Kriegs-Illustration der „Verbandstube“. (Mit Abbildung, Seite 371). Wir führen unsere Leser wieder einmal zu unseren Schlachtfeldern von 1870 zurück, und zwar durch die Hand des Künstlers Max Volkhart, dem wir die Zeichnung dieser „Verbandstube“ verdanken und der als Einjährig-Freiwilliger den Feldzug mitgemacht und die darstellte Scene selbst vor Augen gehabt hat. Seine Erzählung legen wir dem Folgenden zu Grunde.

Das Regiment, bei welchem Volkhart stand, hatte in der Schlacht bei Gravelotte mitgefochten und die folgende Nacht auf dem Felde an der Chaussee von Gravelotte nach Metz bivouakirt. Am Morgen des Neunzehnten wurden, wie gewöhnlich, zum Kaffeekochen Wasserträger commandirt. Unter diesen befand sich auch unser Künstler. Als sie in das Dorf kamen und ein kleines Haus betraten, bot sich ihnen durch eine offenstehende Thür der Anblick, den unsere Illustration wiederzugeben sucht.

In einem Raume, halb Kammer, halb Scheune, mit Steinfußboden, lagen, saßen und standen schwer- und leichtverwundete Deutsche und Franzosen durcheinander. In der Mitte saß ein alter Unterofficier von einem Jägerbataillon und über ihn beugte sich eine junge, wunderbar schöne französische Nonne und verband ihm eine offenbar schwere Kopfwunde, denn der Alte kämpfte sichtlich mit dem Schmerz: er biß die Zähne zusammen und ballte krampfhaft die Fäuste. An ihm lehnte ein blutjunger sächsischer Soldat, mit einem so entsetzlich bleichen und erdfahlen Gesicht, daß seine Auflösung nahe schien. Im Vordergrund wurde so eben der Hünengestalt eines Chasseur à Cheval der zerschossene Oberarm von einem deutschen Arzt verbunden, und dahinter lag ein sterbender Füsilier, dem ein Krankenwärter noch einen Löffel Medicin einzuflößen suchte. Auf einem alten Holzkasten zur Linken verband ein Zuave sich selbst den verwundeten Unterschenkel; hinter ihm, am Tisch mit Verbandzeug und Medicin, war eine zweite Nonne beschäftigt, während zur Thür herein zwei Krankenträger eine neue Last trugen.

Wir geben zu, daß solche Scenen unser großer Krieg zu Tausenden dargeboten hat und daß man damit unzählige Blätter füllen könnte; die vorliegende hatte eben den Vorzug, von einem Künstlerauge gesehen und festgehalten zu werden. Ist solch’ ein Anblick auch nie ein erquicklicher, so halten wir es doch für unsere Pflicht, von Zeit zu Zeit an die Wunden derer zu erinnern, die durch ihre Siege Deutschland so hoch in der Welt gestellt haben und deren Loos nicht immer ihrem Verdienst entspricht.


Der projectirte zweite Stadtpark in Wien. (Mit Abbildung, Seite 378–379.) Die zum Theil im Entstehen begriffenen, zum Theil noch projectirten Neubauten Wiens werden nach ihrer Vollendung in der modernen Architectur unbestritten einen hervorragenden Platz einnehmen. Der bedeutendste Complex derselben befindet sich augenblicklich in seinen ersten Anfängen. Er wird durch wahrhaft monumentale Bauten, als: die kaiserlich-königlichen Hofmuseen, das Parlamentspalais, das Rathhaus und die Universität, gebildet werden. Zwei Dioskuren der Architectur, Oberbaurath Hansen, der Vertreter griechischer Baukunst in Wien, und Oberbaurath Schmidt, der Restaurator des Stefansdomes und Repräsentant der reinen Gothik, überboten sich in der Fülle gewaltiger Compositionen, um den letzten Theil der Ringstraße Wiens durch wahrhaft classische Prachtbauentwürfe für alle Zeiten zu verschönern.

Unsere Abbildung zeigt den zweiten neuen Stadtpark Wiens, welcher im westlichen Theile zwischen der innern Stadt und der Josefsstadt belegen ist. Die mächtigen Säulenhallen des Gebäudes zur Linken gehören dem von Hansen construirten Parlamentshause an. Das gewaltige mit einer Säule gekrönte Wasserwerk davor ist der Gabrielli-Brunnen, ein Denkmal, mit dem Kostenaufwand von mehreren hunderttausend Gulden vom Erbauer der Hochquellenwasserleitung, Gabrielli, zur Erinnerung an diese gestiftet. Der gothische Bau mit dem hohen Thurm in der Mitte des Bildes stellt das neue Rathhaus dar, welches von Schmidt entworfen wurde. Dieses durchweg in Steinmetzarbeit aufzuführende Gebäude ist allein auf zwölf Millionen Gulden veranschlagt, wovon zwei Millionen auf die innere Ausstattung fallen.

Die großen Fronten auf der Rechten der Abbildung sind die neuen Universitätsgebäude, über welchen die Thürme der Votivkirche hervorragen, während der Horizont vom Kahlengebirge umsäumt wird. Wir bedauern, daß es wegen Mangels an Raum nicht möglich war, die unmittelbar an das Parlamentsgebäude anstoßenden, vor dem Burgthor gelegenen Museumsbauten dem Beschauer mit vorführen. Diese im edelsten griechischen Stile ausgeführten, auf mächtigen Säulenreihen ruhenden Bauwerke sind ebenfalls von Hansen’s Meisterhand construirt. Wir gedenken noch der prächtigen englischen Gartenanlagen, durch welche der sechs Joch umfassende neue Stadtpark gebildet wird. Es gehörte in der That ein hübsches Quantum von Humanität dazu, in einem der lebhaftesten Stadttheile, in welchem das Territorium einen Werth von circa eintausendsechshundert Gulden (circa tausend Thaler) per Quadratklafter hat, Millionen von Grundwerth gewissermaßen brach liegen zu lassen, indem man sie zur Anlage eines Gartens benutzte und damit lediglich Gesundheitsrücksichten diente. Wenn es eine unumstößliche ewige Wahrheit ist, daß eine Commune eine heiligere Verpflichtung nicht haben kann, als diejenige ist, für die Gesundheit ihrer Bewohner zu sorgen, so wird sie in diesem Falle ebenso gewissenhaft als kostspielig erfüllt. Freilich wäre es wünschenswerth gewesen, daß so riesige Kosten, wie die Decorationen des neuen Rathhaushaues sind, für näher liegende Zwecke, z. B. für die Abhülfe des Mangels an Spitälern, und somit zum Wohle der schwer leidenden Bevölkerung, verwendet würden.

Z.

Friedrich Hecker der Heimath Gast! Im Frühlinge des einviertelhundertjährigen Jubiläums des Jahres Achtundvierzig kehrt der in Liedern und Bildern gefeierteste Volksliebling jener ersten großen deutschen Erhebung in die alte Heimath zurück. Jenes Jahr hatte der Welt einen Völkerfrühling verheißen, aber – nach wilden Stürmen der Leidenschaft und den edelsten Kämpfen und Opfern der Vaterlands-, Freiheits- und Menschenliebe – einen neuen langen Reactionswinter über Deutschland gebracht. Wer’s konnte, suchte für sein Herz eine Heimstätte auf freierem Boden, um seinen Idealen mit alter Treue weiter zu dienen. Das that auch Hecker, er ward Bürger der Union.

Kehrt nun der Amerikaner Friedrich Hecker wirklich als Fremdling in das alte Vaterland zurück? – Nein und abermals nein! Mochte er auch die langen Jahre, wo in Deutschland die besten Kräfte vergeblich gegen ein überwucherndes Junker- und Pfaffenthum ankämpften, mit zornigem Blick herübergesehen haben, das Herz blieb treu der deutschen Hoffnung gewendet. Und was er drüben lehrte, kämpfte und that, auf der Rednerbühne, im Gerichtssaale wie auf dem Schlachtfelde, es geschah zur Verherrlichung deutschen Wesens, zur Befestigung und Erhöhung deutscher Ehre. Und als der nationale Geist endlich auch in Deutschland siegte, wer hat lauter gejubelt, als Er, wer kräftiger, als Er, für das Verständniß dieser neuen deutschen Zeit das scharfe Wort geführt?

Friedrich Hecker ist es, der Heimgekehrte, der Kämpfer für Menschenwürde und Freiheit in der alten und neuen Welt, dem wir unseren Gruß zurufen: Willkommen, Held des Wortes und der That, im alten Vaterlande!



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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