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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

Ein erneuter Andrang trennte die Gruppe; das Weitere ging dem Alten verloren, der wie versteinert dagestanden, um ja kein Wörtchen zu verlieren. Als die Redenden hinweg waren und er die Unmöglichkeit erkannte, sie wieder zu erreichen, nahm er den Hut ab und fuhr sich über Stirn und Schläfen, in deren Adern der Zorn hämmerte, als ob er sie sprengen wolle. Zum ersten Male kam, was er dachte, in Worten über die Lippen. –

„Mir scheint, Alles laßt aus bei mir,“ sagte er halb zu Th’res halb vor sich hin, „die Augen sind schon lang nichts mehr nutz und jetzt ist es, als wenn mich auch das Gehör verlassen wollt’ … Es saust mir so in den Ohren, daß ich nit weiß, ob mir träumt oder ob das wirklich ist, was ich hör’ … Muß doch einmal in die Hütten hinein und mich überzeugen, was wahr ist …“

Th’res wollte ihn zurück halten; sie ward der Mühe überhoben, denn so eben trat Dickl wie zufällig heran, grüßte den Vater und erzählte, daß er trotz des Vorsprungs, den sie gehabt, ihnen doch bald nachgekommen sei.

„Wo geht Ihr denn hin, Vater?“ sagte er. „Ihr werdet doch nicht in die Hütten da hinein wollen, zu den armseligen Seiltänzern?“

„Warum nicht?“ fragte der Alte scharf. „Warum soll ich nit hinein? Was so viele Andere anschaun, wird wohl für den Lindhamer von Lindham nit verboten sein … Geh mir aus dem Weg! Ich will sehen, was es drinn’ giebt …“

„Nein, Vater, folgt mir und geht nit hinein,“ sagte Dickl mit heuchlerischer Besorgtheit, „wer weiß, ob es Euch nit zu sehr angreifen thät …“

„Kreuzteufel,“ schrie jetzt der Alte ungeduldig und schob den Warner ziemlich derb bei Seite, „ich will einmal doch wissen, ob ich noch mein eigener Herr bin, und was es denn so gar Schreckliches zu sehn giebt in der Räuberhütten da …“

Er ging, von Dickl mit verstellter Sorge, von Th’res mit herzbeklemmender Angst gefolgt, und trat eben recht in den Zuschauerraum, um den Vorhang von der Bühne verschwinden und die Tänzerin zwischen den reihenweise auf den Boden gelegten Eiern in anmuthiger Stellung tanzbereit stehen zu sehen, den einen Arm leicht in die Hüfte gestützt, mit dem hochgehobenen, schön gebogenen andern Arm das Tamburin schwingend.

Unweit von ihr, auf der Bühne, saß Wolf, die Cither vor sich auf dem Schooß. Dem Alten schwamm und flirrte es vor den Augen: er sah nichts davon, mit welcher Sicherheit das schöne Mädchen den Tanz vollführte; wie sie mit einer für solche Umgebung nicht zu erwartenden Anmuth sich zwischen den Eiern bald stehend, bald knieend hindurchdrückte und wand und mitunter in schnellem Sprunge so haarscharf daneben niedertrat, daß es schien, als müsse sie dieselben zertreten oder doch vom Platze stoßen – er sah nur ein bekanntes Gesicht, sah seinen Wolf auf der öffentlichen Schaubühne, spielend, als erklärten Genossen landfahrender Komödianten, und das Herz krampfte sich ihm zusammen, daß ihm der Athem stockte und er tastend und wie taumelnd um sich griff. Th’res erging es nicht viel besser – schon von Kindheit auf, so lang sie sich nur zu erinnern vermochte, hatte sie gegen alle solche Schaustellungen und Künste eine so lebhafte Abneigung empfunden, daß sie gegen sonstige Kinderart dieselben nicht sehen wollte und sogar von einer Art Grauen dabei erfaßt wurde – und nun mußte sie es erleben, den Mann, der ihr so viel, ja das Höchste galt, selbst thätig in solcher Umgebung zu sehen, die ihr als das Furchtbarste und Unwürdigste erschien, was in dem engen Kreise ihrer Gedanken und Erfahrungen umfangen lag. Sie bedurfte ihrer ganzen Kraft und Fassung, daß sie nicht laut aufschrie und Wolf ermahnte, den gefährlichen Kreisen zu entfliehen, auch nahm der Zustand des Alten ihre ganze Aufmerksamkeit in Anspruch. Sie faßte ihn am Arm und geleitete ihn in’s Freie – man machte ihr willig Platz, als sie so recht hastig und eindringlich bat: „Laßt uns hinaus, Ihr Leuteln – dem alten Mann ist ungut worden in dem Gedräng da herinnen …“ Ueber der allgemeinen Spannung, über dem Beifall, den die Tänzerin hervorrief, ward ihre Entfernung nur von der nächsten Umgebung beachtet.

(Fortsetzung folgt.)


Der Modoc-Krieg.
(Schluß.)
„Ausrottung der Modocs!“ und Opposition der Quaker-Philanthropen. – Frühere Ungerechtigkeiten gegen den rothen Mann. – Bombardement und Einnahme des „Lavabettes“. – Starke Verluste der Weißen in der Schlucht. – Tod Thomas’, Stowe’s und Wright’s. – Weitere Kriegspläne.

Das Losungswort für den bevorstehenden Kampf war von Washington ausgegeben; es hieß: „Ausrottung der Modocs!“, und General Gillem’s Antwort in einer Depesche vom 15. April an General Schofield in San Francisco lautete: „Nicht ein Indianer soll übrig gelassen werden, um sich zu rühmen, er sei einer von General Canby’s Mördern.“ So war denn in diesem Punkte völlige Uebereinstimmung unter den Führern der Expedition gegen die Rothhäute erzielt. Dazu gesellte sich auch noch die volle Zuversicht, diese gute Absicht auszuführen, wie denn General Gillem am selbigen Tage meldete, er habe die Modocs völlig in seiner Gewalt, so daß ihr Entkommen jetzt ganz undenkbar sei. In Bezug auf den Ausrottungsplan erhob sich indeß bald eine gar nicht unbedeutende Opposition, wenigstens in den östlichen Staaten; es waren die alten Quäker-Philanthropen, die schon nach dem großen Sioux-Aufstande in Minnesota der Mehrzahl der gefangenen Mörder die Lossprechung von der Todesstrafe erwirkten. Man ging so weit in diesen vielfach aus reichen wohlhabenden Aristokraten bestehenden Kreisen, den Präsidenten Grant anzugehen, der Stimme des „Pöbels“, welche die Ausrottung der Modocs fordere, nicht nachzugeben. Mit diesem Ausdrucke beliebt es häufig unserem Geldadel, in Vergleich mit welchem der Geburtsadel der alten Welt noch wirklich erträglich zu nennen ist, die Classe der Farmer und Arbeiter zu bezeichnen, welche mit den Hindernissen, die ihnen die Rauhheit der Natur und die Selbstsucht der Menschen in den Weg legt, ehrlich ringen, und welche in diesem Falle den allein ausreichenden Schutz gegen Mord und Plünderung forderten, nämlich die Vertilgung der Mörder. Und doch darf der unparteiische Berichterstatter es sich nicht verhehlen, daß diese Philanthropen, in der Theorie wenigstens, manche Gründe für ihre Forderung geltend machen können.

Der bekannte Henry Ward Beecher betete in seiner Kirche in Brooklyn am Sonntage, nachdem die Nachricht von Canby’s Ermordung eingetroffen war, folgendermaßen: „Daß es dem Vater aller Menschen gefallen möge, Erbarmen zu haben mit den wilden Söhnen des Waldes, deren lange zurückgehaltene Rache für so viel erlittenes Unrecht sich in einer so blutigen und schändlichen Unthat Luft gemacht habe.“

Dies gab Anlaß zu vielen harten Urtheilen über den freilich als excentrisch bekannten Mann. Aber im Grunde genommen sagte er damit nichts als die Wahrheit. Der bittere Haß des rothen Mannes ist die Frucht des bösen Samens der Ungerechtigkeit, der seit so vielen Jahren von Agenten und privilegirten Händlern mit Vorwissen der obersten Indianerbehörde ausgestreut worden ist. Die Indianer zu betrügen, zu bestehlen, zu verrathen, ja sogar zu tödten, – das waren von jeher und sind häufig noch jetzt Verbrechen, für welche es keine Strafen giebt, und der Wilde, der nur zu oft recht- und schutzlos dasteht, baut sich daraus sehr natürlich und logisch den Grundsatz auf, der überhaupt seinem Charakter am besten zusagt: „Aug’ um Auge. Zahn um Zahn!“ oder anders ausgedrückt. „Wie Du mir, so ich Dir!“

Vor etwa zehn Jahren lud ein Officier im Namen der Regierung einen Apache-Häuptling in sein Zelt zu einer Unterredung ein. Der Indianer erschien, auf Treu’ und Glauben des weißen Mannes bauend. Kaum hatte er sich gesetzt, als der Officier sich mit den Worten zu ihm wandte: „Du bist mein Gefangener.“ Der Wilde sprang auf, zerschnitt das Zelttuch mit seinem Messer und entkam, aber seine Rache war unauslöschlich, und mancher Unschuldige hat seitdem seine blutige Hand gefühlt.

Wurde in diesem Falle nach Ausrottung aller weißen Officiere oder Beamten geschrieen, weil ihr Camerad, der civilisirte

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 404. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_404.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)