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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


dem Gericht Ordnung machst wegen der Klagen, die gegen Dich schon eingereicht sind – wenn Du nicht vorsorgst, verkaufen sie Dir das Haus über’m Kopf … Du mußt ja das Schreiben schon bekommen haben, der Gerichtsdiener hat mir’s im Vertrauen gesteckt!“

„Freilich, freilich …“ entgegnete Dickl zerstreut, „ich weiß nur nicht gleich, wo ich den Wisch hingelegt hab’! Was liegt auch daran – es hat immer noch seine acht Tage Zeit; bis dahin hab’ ich vielleicht mit meinem Loos gewonnen, oder wir treiben anderswo Geld auf …“

„So gefallst Du mir!“ lachte Sepp. „Und jetzt will ich Dir’s nur auch eingestehn, wegen was ich eigentlich gekommen bin – drunten im Straßwirthshause sind ungarische Ochsenhändler mit schweren Leibgurten voll Kremnitzer Ducaten … Was meinst? Wollen wir hinunter und mit ihnen paschen, daß sie nit gar so schwer zu tragen haben?“

„Ich bin dabei,“ rief Dickl. „Du bist halt doch mein Spezi! Ich geh’ mit Dir, Bruder – aber vergiß mir nit auf die Th’res!“

„Wie werd’ ich vergessen!“ sagte Sepp, indem sie das Haus verließen. „Die bekommt eine Suppe eingebrockt, an der sie eine gute Weil’ auszulöffeln haben soll!“

Der alte Lindhamer war indessen wie versteint in seiner Stube im Brüten und Sinnen gesessen; er richtete sich horchend auf, als er die Thür gehen hörte, und ein mattes Lächeln glitt über sein vergrämtes Gesicht, als auf sein Werda Theresens freundliche Stimme antwortete. „Ich bin’s,“ sagte sie; „ich will fragen, ob es Euch recht ist, wenn ich Euch jetzt etwas auf der Cither vorspiele …“

„Setz’ Dich einmal zu mir her,“ sagte er herzlich und streckte die Hand aus, damit sie ihm die ihrige bieten sollte. „Es ist schön von Dir, daß Du kommst und mir das Citherspielen antragst; aber ich sorg’, die rechte Lust zum Spielen ist Dir heute gerad’ so gut vergangen, wie mir zum Hören; ich mein’, wir hätten gar viel mit einander zu reden …“

„Kann wohl sein,“ erwiderte Th’res und setzte sich neben ihn auf die Bank – „ich möcht’ dann wohl auch eine Frag’ stellen, wenn’s erlaubt wär’ …“

„So frag’ – was braucht’s dazu noch einen eignen Verlaub?“

Th’res sah einen Augenblick nachdenklich vor sich hin; das Reden schien ihr nicht leicht anzukommen. „Ich weiß nit, wie ich’s machen soll,“ sagte sie dann, „ich komm mir vor wie der kleine Knab’, von dem ich gelesen hab’ in dem Büchl’, der Heinrich von Eichenfels, der sein Leben lang in einer finstern Höhlen gewesen ist und nit gewußt hat, daß es draußen Himmel und Erd’ und Sonn’ und Mond drüber giebt! So ist für mich der Berg gewesen, auf dem der Lindhamerhof steht, und wie ein Hennl’, das aus dem Ei kriecht, hab’ ich’s nit anders gewußt, als daß ich daher gehör’ und da daheim bin …“

„Du gehörst auch her …“

„Ich hab’s nie anders gewußt – und wenn mir auch manchmal was besonders vor’kommen ist, es hat mich nichts gedruckt: Ihr und die Bäurin, Gott hab’ sie selig, seid’s ja alleweil’ gut gewesen mit mir! So bin ich aufgewachsen und festgewurzelt wie einer von den Bäumen da, die alle da stehen und kann doch keiner sagen, wie er her’kommen ist und wer ihn gesetzt hat … An einem Tag aber – an demselbigen Tag, an dem sich so viel umgekehrt hat auf dem Lindhamerhof, da ist auch für mich eine Aenderung geschehn – da ist ein Fremder heraufgekommen, der hat mich gefragt, als was ich denn auf dem Hofe wär’, und hat mich ausgelacht, weil ich ihm nit recht hab’ antworten können … Da ist mir’s gewesen, als wenn man mit einem Licht in ein Spinnengeweb’ fahren thät’, und das leichte Gespinnst hat aufgelodert in der Geschwindigkeit und lichterloh – seitdem schaut mich Alles um mich herum mit andern Augen an und seitdem hab’ ich’s nimmer aus dem Sinn gebracht. Ich hab’s zehnmal auf der Zung’ gehabt an dem Tag, wie wir nach Aibling hinein gefahren sind, und hab’ Euch fragen wollen, als was ich denn so eigentlich auf dem Hof bin, ich hab’s allemal wieder ’nuntergeschluckt – aber jetzt …“

„Jetzt willst doch fragen?“ sagte der Alte, da sie stockend inne hielt.

„Ja und nein,“ erwiderte sie. „Denn nach dem, was vorhin gered’t worden ist, könnt’ ich eigentlich schon wissen, als was ich da bin – als eine Magd, die man ausschändet und der man mit dem Fortjagen droht, und eigentlich bin ich noch weniger, denn die schlechteste Magd ließ sich das nit gefallen …“

„Du bist keine Magd – ich hab’ gleich …“

„Ja, Ihr habt gleich dawider geredt,“ unterbrach ihn Th’res, „das ist wahr und Ihr habt auch ganz recht gehabt und wißt selber nit, wie sehr … wie ich von Euch bin, hat mir der Dickl den Weg abgepaßt und hat mir’s ausgedeutscht, als was ich auf dem Hofe sein und bleiben könnt’, wenn ich nur wollt’.“

„So was hat er sich unterstanden?“ fuhr der Alte entrüstet auf. „Hat denn Treu’ und Ehr’ schon völlig ein End’ bei ihm, dem nichtsnutzigen Burschen, dem …“

Er sprach das Wort nicht aus, das ihm auf den Lippen schwebte, und verbarg sein gramvolles Angesicht in den Händen; Th’res that, als habe sie sein Abbrechen nicht bemerkt, und fuhr in ihrer Rede fort:

„So wird es wohl das Beste sein, ich schnüre mein Bündel; ich will der Bäurin die Freud’ nit machen, daß sie mich fortjagen kann, und will noch vorher freiwillig gehn.“

„Was? Du willst fort?“ rief der Alte überrascht.“

„Muß ich denn nit?“ entgegnete sie betrübt. „Ich kann ja mit Ehren nimmer bleiben, und dann, wer weiß, ob’s nit auch für Euch gut ist, vielleicht habt Ihr auch mehr Ruh’, wenn ich nimmer als der Störenfried im Haus bin.“

Der Alte schüttelte ungläubig den Kopf. „Nein, nein, das wird nit sein,“ sagte er traurig und doch bemüht zu verbergen, wie tief ihn die Nachricht in’s Herz getroffen; „mit dem Dickl ist es weit gefehlt, ich hätt’s nie geglaubt, daß er so sein könnt’ …“ aber wenn Du gehst, nimmst Du meine letzte Freud’ mit Dir – nachher bin ich erst recht allein. Na, vielleicht hat unser Herrgott ein Einsehn und macht mir die Augen bald ganz zu.“

„Macht mir das Herz nit noch schwerer, es kommt mich ohnedem hart genug an, daß ich fort soll. Müßt mir auch kein’ Vorwurf machen! Schon vor fünf Jahren – Ihr wißt wohl, wann das gewesen ist, bin ich mit dem Gedanken umgegangen, daß ich fort soll, aber wie ich gesehn hab’, wie’s mit der neuen Wirthschaft ausschaut und wie Eure Augen alle Tag’ schlechter ’worden sind, da hab’ ich’s aufgegeben und bin da geblieben, bloß wegen Euer; aber jetzt, jetzt kann’s nimmer sein! Lassen wir’s gut sein, bis es sein muß, und reden wir nimmer davon; erzählt’s mir lieber, ob ich wem angehör’ oder ob ich so auf dem Baum gewachsen bin wie ein Holzapfel.“

„Ja, das ist eine eigene Geschicht’,“ sagte der Alte und starrte vor sich hin, als ob er die Ereignisse, deren er gedachte, in der Erinnerung an sich vorbeiziehen sehe, „eigen, aber kurz und traurig auch dazu! Ich hab’ Dir nie davon erzählen wollen, es hat’s nit nöthig gehabt und Du hast auch niemals darnach gefragt und wenn ich gestorben wär’, hättest es schon beim Herrn Pfarrer und am Landgericht erfahren, wo Alles hinterlegt und richtig gemacht ist wegen Deiner … Daß Du nit unser eigenes Kind bist, hast wohl gemerkt, denn Du bist viel zu gescheidt, aber ich mein’, wir haben’s Dich nie gespüren lassen und wenn Du einmal die Geschriften holst und brauchst, wirst sehn, daß wir Dich nit zum Spott als Kind angenommen haben. … Das ist aber so gewesen.“

Er hielt, wie um sich vorzubereiten, einen Moment inne und begann dann:

„Einmal, es war so um Johanni herum und ist ein gar heißer Jahrgang gewesen und hat Wochen lang kein Tröpfl’ geregnet, daß schier Alles verdurst’ ist, die Bäch’ sind ganz seicht geworden und viele Brunnenquellen sind ganz ausgeblieben … sogar unser Lindenbrünnl’ kam spärlicher und machte mir Angst, daß ich daran dachte, ich wollt’ einmal einen tüchtigen Mann aufsuchen, der was davon verstünde. Da bin ich mit meinem Weib selig über Land gefahren, weil ich mich ein Bissel um Vieh umschaun wollt’, und wie wir in die Gegend von Flintsbach gekommen sind, da hat Einer, den ich so weitschichtig gekannt hab’, sich draußen in der Einöd’ ein Haus gebaut; das ist, wie’s dort Brauch ist in der Gegend, schon ganz aufgezimmert gewesen und das Dach war darauf gesetzt und hat es nichts mehr gebraucht, als es mit den Steinen auszufüllen und die

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