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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

No. 34.   1873.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 16 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.


Schuster Lange.

Novelle von Ernst Wichert.
(Fortsetzung.)


„Ich fand eine Frau, der die schwarzen Trauerkleider von einfachen Schnitt gut ließen,“ erzählte Meister Lange weiter. Sie konnte einige Jahre älter sein, als ich, und war doch noch jung zu nennen. Ob sie mir damals auch hübsch erschien, weiß ich nicht. Ich glaube, sie hielt sich zu strenge gegen den jungen fremdanziehenden Gesellen, als daß ich’s hätte sogleich merken können. Sie war sehr bekümmert und sagte mir offen, daß ihr Geschäft schlecht gehe und die alten Kunden schon ausblieben, da sie schlechte Waare erhielten. Schon nach acht Tagen wußte sie, daß sie an mir einen geschickten Arbeiter und einen gewissenhaften Menschen gewonnen hatte, dem sie Vertrauen schenken konnte. Es war ihr lieb zu hören, daß ich eines Pfarrers Sohn sei, und sie meinte, so etwas hätte sie mir gleich angesehen, da ich nicht wäre, wie die Andern. Sie weihte mich nun näher in ihre Verhältnisse ein, und wir beriethen gemeinsam, wie zu helfen sei. Es gelang ihr, auf das Haus ein Darlehn aufzunehmen; ich machte damit für sie gute Ledereinkäufe. Meine Arbeit gefiel, und bald hatten wie so viel zu thun, daß noch ein zweiter Geselle und ein Lehrbursche Beschäftigung fanden.

Meine Cameraden in der Herberge hatten im Ganzen nichts Unwahres berichtet, und doch erschien mir Alles in anderem Lichte. Mir gefiel das alte Handwerkerhaus, an dem die Jahrhunderte vorübergegangen waren, ohne daran viel zu ändern. Es sah nicht so schmuck aus, wie jetzt; überall waren die Spuren des Verfalls nur zu deutlich sichtbar. Aber es war auch nichts hineinrenovirt, was nicht dazu paßte, und es lockte mich um so mehr, mir auszudenken, wie man es wieder wohnlich machen könnte, ohne doch an der überkommenen Einrichtung etwas zu stören. Das Handwerk selbst gewann mir hier aber auch eine andere Bedeutung. Es wurde gleichsam wieder seßhaft, ging nicht zur Miethe, wuchs mit dem Bürgerhause zusammen und beruhte auf etwas mehr, als auf der Arbeit von zwei Händen die mit dieser und dem Handwerkszeug umzugehen gelernt hatten. Wenn ich in die Thür eintrat, mußte ich immer zu der Figur des alten Werkmeisters aufsehen, der so bürgerlich stolz und selbstbewußt das Haus hütete, und die kernigen Sprüche, die in der Gesellenstube gegenüber den Arbeitstischen auf die Wand geschrieben waren, schienen mir mehr Weisheit zu enthalten, als große Bücher. Sie gehörten gerade an die Stelle hin und hatten gerade Bedeutung für Den, der dort saß und arbeitete. Die Menschen, die das Haus gebaut und eingerichtet hatten, hielten etwas auf sich. Nur ein schmaler Raum in der Stadt gehörte ihnen; den füllten sie aber auch ganz aus, den nannten sie mit Stolz ihr Eigenthum, den gründeten sie dem Handwerk, das ihnen Ehre und Ansehen in der Gemeinde gab. Ich hatte keinen Theil daran und fühlte mich hier doch etwas.

Die Meisterin hatte nur die Bildung eines Mädchens aus dem kleinen Handwerkerstande genossen, aber sie wollte auch gar nichts vorstellen, als eine brave Schustersfrau. Und doch war sie mehr, es lebte in ihr so etwas von der Würdigkeit des alten Handwerkerstandes fort, wie sie mir sonst nirgends so bewußt geworden war. Das Haus hatte ihren Eltern und Großeltern gehört, und sie war darin aufgewachsen, wie vor ein paar Hundert Jahren eine Erbtochter aufgewachsen sein konnte. Sie wußte wenig von der Welt, zeigte aber einen klugen Verstand bei Allem, was in ihren Wirkungskreis fiel, und hütete sich darüber hinaus urtheilen zu wollen, Sie hatte ihre eigenen festgewurzelten Begriffe von Wohlanständigkeit und wußte in jedem Augenblicke ganz genau, was ihr und was Anderen zukam. Es lag so in ihrem ganzen Wesen, daß man sich gegen sie nichts glaubte herausnehmen zu dürfen, und doch ging sie mit Jedem in ihrer gemessenen Art ganz frei um, als ob eine andere Form gar nicht möglich und jedes Vorkommniß schon vorher bedacht wäre. Sie arbeitete an den Werktagen mit der Magd um die Wette, aber sie blieb immer die Frau Meisterin, und wenn sie Sonntags aus der Kirche kam und sich in dem weißgescheuerten Putzzimmer auf das alte Sofa setzte, von dem jedes Stäubchen sorgsam fortgebürstet war, und ein Capitel in der Hausbibel las oder aus der Erbtasse mit dem breiten Goldrande ihren Kaffee schlürfte, wußte doch Jeder, daß sie sich als eine Bürgersfrau fühlte und als solche respektiert werden wollte. Wer über sie hinter ihrem Rücken zu lachen Lust hatte, fand dazu leicht Gelegenheit, ihr aber ein kränkendes Wort in’s Gesicht zu sagen, hätte auch der lüderlichste Mensch nicht den Muth gehabt.

Ich hatte anfangs beabsichtigt, nur kurze Zeit, längstens einen Monat, dort zu arbeiten und dann mit meinen Ersparnissen die Heimath aufzusuchen; aber es wurden vier oder fünf Monate daraus, und dann kam mir das Fortgehen schwer genug an. Die Meisterin bekannte, daß das Geschäft so gut gehe, wie seit einem Jahre nicht, und daß sie mir diesen günstigen Umschwung zu danken habe. Sie setzte mich mit vollem Vertrauen über Alles und folgte im Kleinsten meinem Rathe; unser Verhältniß wurde so freundschaftlich, wie es zwischen der Meisterin und ihrem Gesellen werden konnte, wenn Beide ihre Stellung nicht vergessen. Und das geschah nicht; wie ich zu ihr sprach und wie sie zu mir sprach, konnte darüber gar kein Zweifel sein.


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 543. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_543.JPG&oldid=- (Version vom 3.8.2020)