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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


steht, vom Glühen der Sonne auf den Gipfeln der Alpen bis zum Glanz in einem seelenvollen Auge. Der Meißel kann einen Körper, Mensch und Thier, hervorbringen, weiter nichts – das Auge darf er nicht berühren, und was ist ein Antlitz ohne Auge? – es kann nur den Sinnen gefallen, niemals dem Geiste. Es ist, wie Sie treffend andeuteten, zur Berührung gemacht.“ War das nicht zu arg, meine eigenen Worte gegen mich zu gebrauchen? ich war aber doch schon – überzeugt.

Gerade während ich nach Worten suchte, dieses Geständniß zögernd abzulegen, wurde die Thür geöffnet und der alte Thomas trat meldend ein. Der Name, den er nannte, hat in unserem Hause stets einen guten Klang, dennoch war mir Graf von Werdau – ich wußte nicht warum, in diesem Augenblicke kaum willkommen. Er ist ein intimer Freund meines Bruders, ein geistreicher, lebhafter junger Mann, und für mich die Güte und Aufmerksamkeit selbst. Ein Strauß duftender Veilchen war in meiner Hand, ein „Heil, Schneewittchen im Walde!“ erklang in meinem Ohr. „Ich komme soeben von Ihrem Bruder,“ fuhr Graf von Werdau fort, „der mir die Erlaubniß ertheilte, hierher zu eilen, um die ersten Schritte zu beobachten, die das projectirte Kunstwerk macht.“

„Da werden Sie sich wohl in Geduld fassen müssen,“ sprach ich, „denn in’s Atelier darf außer meinem Bruder und der guten Cousine Dorothea mit ihrer Stickerei kein Mensch – auch Sie nicht, bis das Bild vollendet ist. Ich mache mir jedoch die Freude, Ihnen den Schöpfer desselben vorzustellen.“ Ich nannte nun den Namen des Malers und hielt inne, weil ich wähnte, genug gethan zu haben. Was war es nur, das mir mit unwiderstehlicher Gewalt wieder die Lippen öffnete und mich zwang, auch den Grafen dem Künstler vorzustellen? Waren es Ernst’s Worte: „Ein Künstler hält sich für Jedermanns Gleichen!“ oder war es gar ein wenig Respect, den mir das Gespräch mit dem jungen Mann eingeflößt hatte? Werdau war liebenswürdig genug, den Maler mit Complimenten für sein früheres Bild zu überhäufen, die dieser jedoch sehr kühl entgegen nahm. In Werdau’s Worten lag sonderbarer Weise auch mehr Schmeichelei für mich, das vermeintliche Urbild des Schneewittchens, als für das Kunstwerk selbst. Der Graf hatte mir nun viel zu erzählen über eine Soirée, die ich gestern Abend „verdorben“, indem ich ihr nicht beiwohnte.

„Mit Ausnahme dieses Unglücks“ (meiner Abwesenheit) „ein reizendes kleines Fest. Die Baronin A. sang zum Entzücken; Fräulein Ordorf war schön, wie immer“ (hier küßte er seine fünf Fingerspitzen und warf sie verzückt in die Luft), „läge mein Herz nicht schon in Ketten, wer weiß! Wissen Sie auch schon, daß mich Ihr Bruder für übermorgen zum Diner eingeladen?“

„Ich weiß es – auch daß Sie nach Tische seinen Ali reiten sollen, der zu lange in Arkadien gewesen und sich nun dem Zügel nicht fügen will. Wenn mich nichts abhält, werde ich mitreiten und Ihre Bravour bewundern, obgleich ich deswegen meine Toilette für unsern kleinen Ball in aller Eile werde zu Stande bringen müssen. Sie sehen, welche Ehre man Ihren Reitkünsten erweist.“

„Ich werde reiten wie ein zweiter Renz, muß aber dann auch von diesen Rosenlippen ein Bravo zu hören bekommen!“

„Verdienen Sie’s erst. Dann wird’s nicht fehlen.“

Der Maler hatte abseits gestanden, ganz im Anblick eines Bildes vertieft. Was sollte ihn auch unser Gespräch interessiren, nahm er doch nicht an unseren Vergnügungen Theil. Ich frug ihn, ob wir noch am Bilde fortarbeiten würden, und als er diese Frage bejahte, entließ ich den Grafen, um in’s Atelier zurückzukehren, wo die Cousine bei ihrer Stickerei sanft eingeschlummert war.

Ihr monotones Gespräch anzuhören, ist kein Vergnügen; ich dämpfte also meine Stimme, um der guten Seele Schlaf nicht zu stören, und der Maler antwortete in demselben Tone. Er hat mir nämlich erklärt, daß ich weit besser zu malen sei, wenn ich spreche; weil mir dann der natürlichste Ausdruck von selbst im Antlitze stehe, und da Ernst so viel am Bilde gelegen ist, gab ich mir Mühe, jeden Wunsch des Malers zu erfüllen. Er frug mich, ob ich auch schon gezeichnet.

„Ein wenig,“ war meine Antwort; „aber Lehrer und Vorlagen sind so pedantisch. Ich konnte den Landschaften Hubert’s keinen Geschmack abgewinnen.“

„Haben Sie niemals versucht, etwas, das Ihnen gerade auffiel, zu zeichnen? Eine Blume, einen Gegenstand, der vor Ihnen lag, irgend etwas?“

„Niemals! Glauben Sie, dazu sei ich im Stande? Ich bin nicht gern Stümperin, doch würde mich ein Versuch nicht unglücklich machen – ich werde noch heute Abend – nun, was denn? – meine linke Hand zeichnen.“

Dabei legte ich sie auf den Schooß und versuchte ihr eine Stellung zu geben, die mir leicht schien. Der Maler betrachtete mich stillschweigend, endlich sprach er leise:

„Zeichnen Sie Ihre Hand lieber nicht!“

„Warum? Ist die Aufgabe zu schwierig?“

„Nicht schwieriger als eine andere; aber was schadet’s, wenn Sie ein Tintenfaß, das rund sein soll, eckig, eine Blume, die zart ist, schwerfällig darstellen, während – Ihre Hand –“

Er kam nicht weiter, was will er nur? Meine eigene Hand gegen die schreckliche Darstellung, die ich von ihr geben könnte, schützen? Ist das nicht drollig?

Bald hierauf schlossen wir die Sitzung, nachdem Herr Impach gefragt, ob er morgen wiederkommen dürfe.

„Natürlich! – Soll ich meinem Bruder das angefangene Bild zeigen?“ frug ich, indem ich auf die Staffelei zuging.

„Ich bitte Sie, es selbst nicht anzusehen – bis morgen Nachmittag nicht, es auch nicht zu zeigen,“ antwortete er zögernd.

„Auch gut – doch warum?“

„Weil ich Dies und Jenes erklären müßte, warum das Eine so, das Andere anders, und doch nicht verstanden werden würde. Sie werden das Bild nicht zeigen noch ansehen?“

„Ich habe schon versprochen,“ konnte ich nicht umhin in gereiztem Tone zu antworten, so daß Dorothea erwachte. Als ich mit entlassender Kopfbewegung auf die Zimmerthür zuging, sah ich, wie der junge Mann mir mit dem wehmüthigsten Gesichte von der Welt nachblickte. Was betrübte ihn nur so? Es ging mich eigentlich nichts an, ich rief im aber doch ein freundliches „Auf morgen also!“ zu, ehe ich das Zimmer verließ.

Ist das ein langweiliger Brief geworden!

Adieu, meine Amalie! Giebt es wieder etwas Interessantes, so erfährst Du es sogleich. – Ich sitze im Schneewittchenkleide, die Haare noch so wie am Morgen geordnet. Vielleicht trage ich sie, so lange das Malen dauert, aus Bequemlichkeit nicht anders.

Gute Nacht, süße Traute, die alle meine Geheimnisse weiß – gute Nacht!

Deine Hedwig.

Nachschrift. Wie, wenn ich die Kunst mir dienstbar und nützlich machte, den Maler zu Rathe zöge, wie ich mich übermorgen zum Balle kleiden soll?

Fortsetzung folgt.)




Sachsens freisinnige Volksvertreter.


Vor wenigen Wochen, am Ende der jüngsten kampfreichen Landtagszeit, hielten die liberalen Abgeordneten des sächsischen Volks eine Zusammenkunft in Leipzig, um Vergangenes zu besprechen, Zukünftiges zu berathen und den Augenblick zu feiern. Die tüchtigen Persönlichkeiten, welche dabei als besonders beachtenswerth hervorragten, mußten zu dem Wunsch anregen, dieselben in Bild und Wort, wenn in Beiden auch nur mit flüchtiger Hand skizzirt, weiteren Kreisen vorzustellen, und dies soll durch den nachfolgenden Artikel geschehen.

Schon in den „restaurierten Ständen“ seit 1850 gab es ein kleines Häuflein Liberaler, das fest zusammenhielt und in principiellen Fragen Opposition machte. Allein es war ohnmächtig gegenüber der compacten Mehrheit der Conservativen. Die ersten Wahlen nach dem freieren Wahlgesetz von 1868,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 578. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_578.JPG&oldid=- (Version vom 7.1.2019)