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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

No. 37.   1873.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 16 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.


Künstler und Fürstenkind.

Von August Lienhardt.
(Fortsetzung.)


4.

Kaum vier Tage sind vergangen, liebe Amalie, daß ich Dir meinen letzten Brief sandte; noch habe ich nicht Antwort, und doch bin ich genötigt, Dir schon wieder zu schreiben. Wem als Dir sagte ich, was sich in diesen Tagen ereignete?

Der kleine Ball, den Ernst meinem Geburtstag zu Ehren gab, ist herrlich von Statten gegangen; es war sozusagen die Eröffnung der Saison, denn noch war in der Residenz nicht getanzt worden. Ich spielte die Hausfrau, natürlich mit der guten Cousine zur Seite, und scheine mich meines Auftrags sehr gut entledigt zu haben, denn sobald unsere Gäste fort waren, küßte mich Ernst freudig auf die Stirn. Doch kaum hatte er es gethan, so trat er einige Schritte zurück und sagte. „Laß Dich nur erst noch einmal mit Ruhe betrachten! Ich glaube, Du sahst im Leben nie so gut aus. Wie kamst Du nur auf diesen Anzug?“

Das mußt Du hören, Amalie! Wie ich mir’s vorgenommen, frag ich meinen Maler in der Sitzung um Rath. Er hatte versprochen, darüber nachzudenken; eine Consultation mit Fanny, und das Werk war vollendet. Was es eigentlich ist, weiß ich selbst kaum, hier etwas unterdrückt, dort etwas zugesetzt, ein Band, ein paar Blumen im Haare, aber das Alles nicht wie bei uns nach eitler Laune des Augenblicks, sondern systematisch, künstlerisch, sage ich Dir. Nur Eines hätte Herr Impach auch noch übernehmen sollen, nämlich alle die Liebeserklärungen anzuhören, die mir sein guter Geschmack einbrachte; die hätte ich ihm von Herzen gegönnt.

Ich habe bei meiner Erzählung leider vorausgegriffen und wollte doch Alles hübsch der Reihe nach erzählen. Höre also!

Als ich vorgestern in’s Atelier ging, begleitete mich Ernst dahin, um zum ersten Male Herrn Impach’s Werk in Augenschein zu nehmen. Auch ich hatte bisher noch nicht auf die Leinwand gesehen. Denke Dir unser Erstaunen, als wir auch keine Spur des ersten Bildes erblickten! Auffassung, Manier, Alles war verschieden, und zwar gefiel mir das angefangene Bild noch viel besser als das vollendete in der Rheinischen Kunstausstellung. Gespannt harrte ich auf Ernst’s Ausspruch. Nach langer Betrachtung blickte er auf, ging auf den Maler, der bescheiden bei Seite getreten war und seine Palette mit Farben bedeckte, zu, und ihm die Hand drückend, sprach er:

„Sie sind ein echter Künstler. Ihr zweites Werk muß, wird es so ausgeführt, wie es angelegt ist, das erste noch weit übertreffen. Nehmen Sie meinen herzlichsten Glückwunsch!“

Ernst erklärte mir nun die Schönheiten der Arbeit, und der Maler lauschte mit vergnügtem Gesicht. Es mußte ihm Freude machen, daß mein Bruder so gut verstand, was er wollte. Ehe Ernst ging, lud er Herrn Impach für den nächsten Tag zum Diner ein, dem ein keiner Ball folgen sollte.

Ich hatte erwartet, daß der Maler, der, wie er mir erzählte, ein sehr zurückgezogenes Leben führt, ängstlich ausweichen würde. Zu meinem größten Erstaunen nahm er freudig an.

Als ich nun gestern in den Salon trat, wo mein Bruder mit den eingeladenen Herren auf mich wartete, hatte ich den jungen Maler ganz vergessen. Graf von Werdau bat um Entschuldigung, daß er im Sammtrocke erschiene, schützte jedoch Ernst vor, der sich ausdrücklich Promenadentoilette erbeten hatte, da es sich ja um einen Ritt nach Tische handelte. Er schoß jetzt schon triumphirende Blicke, der Dinge gewärtig, die ihn auf dem Rücken Ali’s erwarteten. Nun kam eine sehr hohe Gestalt auf mich zu, in der ich zu meinem Erstaunen den Maler erkannte. So distinguirt sah er aus, daß Einem die Wahl zwischen ihm und Werdau schwer wurde.

Das Diner ging ruhig vorüber. Bei Tafel wurde meist der erwartete Ball besprochen, wobei sich der Maler natürlich nicht beteiligen konnte, da er die Personen, welche daran teilnehmen sollten, ja nicht im Geringsten kannte.

Als ich auf dem Hofe im Reitkleide erschien, waren die Herren schon versammelt, und eben wurden die Pferde vorgeführt. Die Cousine näherte sich dem Wagen, den sie heute allein innehaben sollte, als mein Bruder ihr in Herrn Impach einen Gesellschafter erlas, indem er diesen frug, ob er auch fahren wolle. Der Maler lehnte höflich ab, half aber der Cousine galant beim Einsteigen. Alles stand nun im Kreise um die Pferde herum, bei denen sich auch Ali befand, durch Scharren mit den Füßen und freudiges Wiehern sich kundgebend.

Als ich, mein Bruder und einige der Herren zu Pferde waren, ging Graf voll Werdau mit nachlässiger Miene, die Reitgerte unterm Arme, seinen Handschuh zuknöpfend, auf Ali zu. Sein Kunstgriff schien zu sein, mit Blitzesschnelle ihn zu besteigen. Dies gelang ihm jedoch nicht, da Ali bei der leisesten Berührung des Steigbügels auf die andere Seite flog.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 591. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_591.JPG&oldid=- (Version vom 7.1.2019)