Seite:Die Gartenlaube (1873) 593.JPG

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


um das goldene Haar vor der Abendluft zu schützen, und da trieb es mich, auf diese, übrigens nicht so sehr gefährliche Weise das Hütchen zu holen. Ich war ja meiner Sache gewiß, da ich mit Pferden von Kindheit auf umgegangen bin und gerade auf dem wildesten am liebsten durch Wiesen und Felder jagte.“

„Sie sind auf dem Lande geboren?“ frug ich den jungen Mann.

Ein wenig zögernd antwortete er: „Mein Vater war Oekonom.“

„Gutsbesitzer? In welcher Gegend?“

„Nicht Gutsbesitzer, nur Pächter eines großen Rittergutes. Leider starb er früh, ebenso wie meine Mutter. Nur ganz unbestimmte Erinnerungen habe ich von meinen Eltern. Doch was mache ich da? Sie mit der Geschichte meiner Kindheit belästigen! Vergebung!“

„Ich habe Sie ja gefragt, Herr Impach. Ich will sogar noch weiter hören; wie kamen Sie, eines Landwirths Sohn, dazu, Künstler zu werden?“

„Ich blieb bis zum vierzehnten Jahre auf dem Gute, das nach dem Ableben meines Vaters dessen Bruder innehatte. Als einst ein Freund ein paar Tage bei uns verweilte, fand er in Skizzen von meiner Hand, die ich zufällig vorzeigte, die Anzeichen eines Talentes. Er bewog meinen Onkel, mich ihm allzuvertrauen, und nahm mich mit in die Stadt, brachte mich zu einem der hervorragendsten Meister unserer Residenz, bei dem ich dann blieb, bis ich selbstständig auftreten konnte, was nun gerade seit fünf Jahren der Fall ist. Das meine Geschichte; ohne Ihren ausdrücklichen Befehl hätte ich niemals gewagt, Ihre Ohren damit zu belästigen.“

„Und war das Schicksal auch ein gütiges, Sie aus Ihrer Natureinsamkeit in die Hauptstadt zu verpflanzen, Sie gleichsam in Ketten der Kunst zu legen? denn in jenem Alter konnte von Berufung doch nicht die Rede sein. Sind Sie glücklich in Ihrer Kunst?“

„Was wäre mir das Leben, wäre sie nicht? Sie ist Alles, was ich besitze, der alle meine Pulsschläge gelten, denn wenn ich male, so thue ich’s mit dem Herzen, mit der Seele, nicht mit Kopf und Hand allein. Dürft’ ich Ihnen sagen, was ein armer Künstler empfindet, wenn er, die Palette in der Hand, einen würdigen Gegenstand vor sich, an seiner Staffelei steht!“

Es war dunkel geworden; wir trieben unsere Pferde zu größerer Eile an und hatten doch die schmalen Pfade des Parks noch nicht hinter uns. Ist es nicht eigenthümlich, wenn plötzlich so ganz neue Anschauungen sich uns darbieten, wenn Horizonte auftauchen, von denen wir keine Ahnung hatten? Wie dachte ich mir sonst das Leben eines Künstlers? Ich weiß es nicht mehr, oder muß gar glauben, ich dachte bei dem Worte Künstler wenig oder gar nichts. Jetzt lauschte ich Worten, die, obgleich mir unbekannt bis dahin, dennoch mit sonderbarem Wohllaut an mein Ohr klangen.

Nachdem ich den Maler aufgefordert, in dem einmal berührten Thema fortzufahren, hub er wieder an: „Einem Columbus, der die unschätzbaren Gefilde eines neuen Welttheils seinen Mitmenschen für alle Zeiten zum Geschenk macht, ist nicht so wohl, so stolz zu Muthe, wie dem wahren Künstler, der sein Meisterwerk vollbracht. Mögen auch die Gefühle des Weltentdeckers, wenn er die Blicke heißer Sehnsucht in weite Fernen sendet, denen gleichen, die den Maler bewegen, wenn er vor seiner blanken Leinwand steht, auf deren Fläche er nur die Zukunft ahnt, mögen gleiche Furcht und Hoffnung sie bestürmen, beim entscheidenden Moment hat es der Künstler weit voraus. Der Weltentdecker sieht beim Landen kaum ein Fleckchen Erde. Er hat gefunden, was er als vorhanden vermuthet – er ist befriedigt. Der Künstler aber durchmißt mit einem Blick sein ganzes Werk; er hat die Welt wahrhaft bereichert, denn nicht was ihr ist, giebt er ihr wieder – nein, Neues, Nichtdagewesenes bietet er dar. Er darf sagen: Wäre ich nicht, so müßte die Welt um dies ärmer sein. Wäre es nicht so dunkel,“ fuhr der Maler in leiserem Tone fort, „so sähe ich auf Ihren Lippen, in Ihren Augen vielleicht Erstaunen, denn zum Spott sind Sie zu edel. Sie haben Recht, wenn Sie fragen, was ich bisher gethan, das mich berechtigt, solche Gefühle zu hegen, und wo die Meisterwerke sind, die zu diesem Stolze Anlaß geben. – Noch habe ich nichts geleistet. Es ist wahr, doch fühle ich fest und sicher, daß mir gegeben ward, Großes zu vollbringen; auch ich werde einst sprechen dürfen: dies hier ist mein Werk, und keines Andern!“

Der junge Mann schwieg, und an seinem kurzen Athem konnte ich hören, daß er auf Erwiderung lauschte. Sieh’ Amalie! Wenn ich jetzt seine Worte überdenke, so kommen sie mir auch hochmüthig, ja fad vor. In dieses Licht treten sie aber nur durch meine vielleicht ungeschickte Wiedergabe. Hättest Du den Ton inniger Ueberzeugung gehört, mit dem der junge Mann sprach, Du hättest mit mir ihm zugerufen: „Das glaube auch ich! Glück auf!“

Zu Hause angekommen, fanden wir zu meinem größten Erstaunen das Haus in vollkommener Dunkelheit. Doch traf die uns empfangenen Diener kein Vorwurf Ernst’s, der sonst diese Dinge sehr genau besorgt wissen will. Im Dunkeln führte mich der Bruder auf mein Zimmer, nachdem er unsern Gefährten, die hineineilten, um Abendtoilette zu machen, ein kurzes „Wiedersehen“ zugerufen.

Fanny hatte sich die Anordnungen des Malers so zu Herzen genommen, daß sie mich gar nicht mehr aus den Händen ließ. Endlich, als Ernst erschien, um mich abzuholen, erklärte sie mich für „vollendet schön“. Denke Dir mein Erstaunen, als ich, am Arme des Bruders die Treppen betretend, diese in einen Wintergarten umgewandelt fand. Alles, was Treibhäuser nur beherbergen, fand sich da vereinigt, Palmen, Farren, Camelien, eine schöner als die andere! Jetzt wurde ich von Ernst in mein kleines Boudoir geführt, das ich seit einigen Tagen nicht betreten; welche Verwandlung! Alles, was der gute Geschmack nur hervorbringt, war hier vereinigt, nur an einer Wand, wo die seltensten Blumen und Blattpflanzen einen Kranz bildeten, ein leerer Raum. Hierher sollte das Schneewittchen kommen, wenn es beendet, war die Erklärung. Als ich Ernst einen dankbaren Blick zusandte, sagte er mir, wie der Gedanke des Ganzen zwar der seine gewesen, die Ausführung jedoch, zu der er keine Zeit gehabt, einzig Graf von Werdau zu danken sei.

„Sieh, hier kommt er eben!“ fuhr Ernst fort, als ein Diener meldend eintrat. „Du kannst Dich bei ihm selbst bedanken.“

Ich ließ mich behaglich in das nächste Polsterstühlchen nieder und streckte ihm freudig lachend die Hände entgegen. Mit einer tiefen Verbeugung nahm er sie beide, und sagte fast feierlich:

„Möge Ihnen jede Blüthe, jedes Blatt in diesem kleinen Tempel eine Freude, ein Glück bedeuten! Möchten sie mir eben so viele Tage in Ihrer Nähe wahrsagen!“

Noch einige Augenblicke des trauten Zusammenseins mit den Beiden, dann kamen die Gäste an, welche im großen Saale willkommen geheißen werden mußten.

Bald nach Beginn des Festes trat der alte Baron Gerhardt ein, den Du wohl noch im Andenken hast; er war ja Dein Cavalier bei der Landpartie, die so schön anfing und mit Hagel und Donner endete. Es ist Werdau’s mütterlicher Onkel und sehr für den jungen Mann eingenommen, dessen große Herzensgüte er mir anpries. Der alte Herr ist wirklich ein liebenswürdiges Original, so daß ich, wenn ich gut abkommen konnte, mich zu ihm setzte, oder an seinem Arme durch die Säle spazierte. So oft Letzteres der Fall war, konnte ich sicher sein, daß er die Schritte nach der Galerie lenkte, wo er jedesmal wie ein darauf eingerichteter Automat vor dem Bilde stehen blieb, das als der Juwel unserer Sammlung gepriesen wird, einem unvergleichlichen Rembrandt. Als ich ihn das erste Mal dahin begleitete, sprach er mit jener übertriebenen Galanterie, die einem andern Zeitalter angehört:

„Obgleich es eine Sünde ist, neben Ihnen noch etwas Anderes anzusehen, da ja Alles vor Ihnen erbleicht, so ist und bleibt dieses Bild das Ziel meiner heißesten Wünsche. Hätte ich es, so wäre meine Rembrandtsammlung eine complete. Jeden Fortschritt, jede Veränderung in des großen Meisters Manier besitze ich, nur die Krone, der Schluß fehlt mir. Es ist himmelschreiend.“

Du kannst Dir denken, Amalie, daß ich mich nicht dazu hergab, dieses alten Monomanen Jammergeschichte oft anzuhören. Ich bin noch nicht so blasirt, daß der Ballsaal mit seinem Lichtglanze, seinem Blumendufte, dem fröhlichen Rauschen der Musik und den durcheinander wirbelnden Paaren, die mit solchem Feuer tanzten, als hätten sie hier endlich den lange vergebens gesuchten Lebenszweck entdeckt, nicht elektrisch auf mich wirkte. Als Herrin

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 593. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_593.JPG&oldid=- (Version vom 7.1.2019)