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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


6.

Wenn ich diesmal, Amalie, einen ganzen Monat vergehen ließ, ohne Dir über die hiesigen Vorgänge Bericht zu erstatten, so ist die ungewohnte Beschäftigung daran schuld, der ich mich mit Hand und Herz nun weihe. Ein neuer Horizont stieg meinem doch in ziemlich engen Kreisen sich bewegenden Auge auf; neue Freuden kann ich mir zu jeder Stunde des Tages bereiten. Ich zeichne mit einer Leidenschaft, die Dir unerklärlich sein muß, weil Du nicht zugegen bist, nicht den Fortschritten beigewohnt hast, deren ich mich rühmen darf.

Der Vorschlag ging eigentlich von Ernst aus, dem unser Maler versicherte, ich hätte Anlage und ein ziemlich sicheres Auge, um Gutes vom Mittelmäßigen zu unterscheiden. Er weiß freilich nicht, der Unerfahrene, daß wir Frauen fast alle im Besitze dieses Blickes sind. Als ihn Ernst frug, ob er mir die Anfänge beibringen wollte, nahm der junge Mann mit Enthusiasmus an. Ich kann heute noch nicht begreifen, warum; denn es gehört Geduld dazu, Du glaubst gar nicht, wie viel! Ich begann denn Ernst zu Liebe und fühlte so recht, welch aufopferndes Wesen ich sei, ihm zu Gefallen jeden Tag eine Stunde mit Bleistift und Papier zu arbeiten. Doch die Muse rächte sich, weil man ihrer Kunst aus anderem als eigenem Antriebe fröhnte, und ließ mich meine schreckliche Darstellung nie dagewesener Gegenstände so lieb gewinnen, daß ich jetzt weit lieber jedes Vergnügen opfere, um nur die Zeichnungsstunde (sie hat sich auf zwei Stunden ausgedehnt) beizubehalten. So lebe ich denn gänzlich im Schatten der bildenden Kunst, denn am Schneewittchen wird noch immer fortgearbeitet, obgleich es in wenigen Tagen der letzten Pinselstriche gewärtig sein kann. Kaum finde ich noch Zeit, täglich ein paar Stunden zu fahren oder zu reiten, und hätte mein Bruder die Abende nicht gänzlich in Beschlag genommen, wer weiß, ob mein Portfolio nicht auch beim Lampenlicht hervorgezogen würde.

Ein Theil des Interesses, das ich in dieser Beschäftigung finde, mag Herrn Impach’s Art zu lehren beigemessen werden, die so ganz ungebunden und frei ist, daß der Gedanke des Lernens in der Stunde gar nie aufkommt. Er läßt mich einfach machen und ändert dann, was nicht richtig ist, ohne ein Wort des Tadels zu sprechen. So gab er mir gestern meines Bruders Photographie zum Abzeichnen, und mit seiner Hülfe beendete ich schon heute ein ganz ähnliches Bild, über das Ernst so große Freude hatte, daß ich zuletzt selbst glaubte, ich hätte es allein gemacht. Ein eigenthümliches Gespräch führten wir während des Zeichnens, das Dich vielleicht interessiren dürfte. – Wie wir so zeichnen, fängt Impach an, den Kopf Ernst’s zu analysiren. Er nimmt Eins um’s Andere, Stirn, Augen, Nase, Mund etc. und stellt alles nach und nach so zusammen, daß jede dieser Einzelheiten als Modell für classische Schönheit aufgestellt werden dürfte. Als später mit Ernst davon die Rede war, wie ähnlich wir uns seien, und der Maler hierüber befragt ward, gab er die kurze Erklärung: Ich sei, wie das von der Kunst idealisierte Ebenbild einer vollkommen schönen Wirklichkeit. Ein gesuchtes Compliment, hätte ein Anderer, als er, es gesprochen! Von ihm vorgetragen, klangen die Worte wie der Urtheilsspruch der gesammten Kunstwelt. So nahm auch Ernst sie auf, der, wie Du weißt, sonst stets durch Schmeicheleien aufgebracht wird. Ich bilde mir darauf aber auch gar nichts ein; nur freut es mich, meines guten Bruders Ebenbild zu sein.

Sonst ist weder in der Sitzung noch in der Stunde die Rede von persönlichen Dingen; meistens sprechen wir von der Kunst, die auch mir jetzt enthusiastische Ausrufungen entlockt. Ich denke mir manchmal, wie bettelarm ich war, ehe ich diesen Genuß kannte, und mich blos am äußerlichen Bilde freute, ohne des Geistes zu gedenken, der, darin festgebannt für alle Zeiten, ein schönes Kunstwerk einer Meisterschöpfung der Literatur oder Musik gleichstellt. –

Doch nun, Amalie, meine Hauptnachricht, die ich Dir, wie einem Kinde das schönste Zuckerpüppchen, für zuletzt aufsparte.

Gestern Nachmittag fragt mich Ernst, während wir ausfahren, plötzlich, ob ich mit ihm einen Abstecher nach Italien machen wolle?

„Der König Victor Emanuel war so liebenswürdig, mich zu einer großen Jagd einzuladen, die in den ersten Tagen des Januar stattfinden soll. Macht es Dir Vergnügen und willst Du mir einen Gefallen thun, so begleite mich dahin. Du wirst die paar Tage, die ich mit dem König zubringe, in Florenz bleiben, und wir können dann unsere Reise bis nach Rom erstrecken. Weil ich nicht immer bei Dir sein kann, müssen wir uns bequemen, die alte Cousine Dorothea oder sonst ein würdiges Haupt mitzunehmen. Was sagst Du zu diesem Plane, Herzensschwesterchen?“

„Gehst Du wirklich wegen der Jagd des Königs?“

„Wie kommst Du darauf, mich hiernach zu fragen? Ich werde bei der Gelegenheit auch einige dringende Geschäfte abmachen. Der Hauptzweck bei der ganzen Geschichte aber ist meine Hedwig, der ich Vergnügen zu machen wünsche. Ist das nicht schön von mir?“ frug er zum Schluß und lächelte dabei so schalkhaft, daß ich nicht umhin konnte, meine eigenen Gedanken bei der Geschichte zu haben. Dir, Amalie, kann ich sie anvertrauen; es handelt sich wahrscheinlich um eine geheime Mission, die unter dem Mantel dieser Jagd von Statten geht, denn Ernst hat gestern eine lange Audienz bei unserm König gehabt. – Wie hätte mich bei Dir zu Hause eine solche Gelegenheit, in die Welt hinauszufahren, gefreut! Was wirst Du von mir denken, wenn ich Dir gestehe, daß ich ganz trübselig dreinblicke? Der Plan machte mir nichts weniger als Vergnügen. Solches zu heucheln meinem guten Ernst gegenüber, war mir gänzlich unmöglich. Ich sprach also offen zu ihm und erklärte ihm, wie glücklich ich gewesen, und wie ich mir meinen Winter in der hiesigen Residenz so schön ausgemalt hatte; – dabei fiel mir die Zeichenstunde ein, und wie ich die unterbrechen und vielleicht Alles verlernen würde, was mich jetzt so selig machte. Auch das gestand ich dem Bruder. Lächelnd nahm er meine Hand und sprach:

„Du bist doch ein rechtes Kind noch, und siehst so groß und imposant aus! Ist es mir nicht, als wäre die Zeit noch da, wo Du Dich entschieden weigertest, ohne Deine Puppe in’s Bett zu gehen? Aber, Hedwig, was hält Dich denn davon ab, in Italien fortzulernen? ist nicht gerade dort der richtige Ort dazu? Ich werde einen der ersten Professoren aussuchen –“

Noch immer lächelte mich der Plan nicht an, einen sich ewig verneigenden Italiener, der mich wieder auf Hubert und Jerroggio brachte – nein, lieber ließ ich Alles fahren! Diesmal hatte ich nicht gesprochen, und Ernst fuhr fast ohne Unterbrechung fort:

„Oder wenn Impach selbst wollte: diese Reise könnte ein Kunstgenuß für Dich werden.“

Im Parke muß um diese Zeit gerade die Sonne hinter den Wolken hervorgekommen sein, denn Alles um mich lachte im goldigsten Glanze. Ich dachte mir jetzt auch die Galerien italienischer Paläste, die Kunstschätze, die sie bergen, und freute mich so recht von Herzen auf die Reise.

Ernst war ein wenig über meinen plötzlichen Jubel erstaunt, aber ich konnte nichts dafür; seit einiger Zeit bin ich diesen plötzlichen Stimmungen unterworfen. Es mag wohl das aufreibende Leben in der Residenz daran schuld sein. Als wir nach Hause zurück kehrten und Herrn Impach, wie immer, an seiner Arbeit fanden, frug ihn Ernst sogleich, ob er mit uns kommen und uns so von Italien erst den richtigen Genuß verschaffen wolle. Er zögerte eine Weile, und weil mir wirklich daran gelegen ist, meine Zeichenstunde nicht zu unterbrechen, hielt ich ihm die Hand hin und rief fröhlich:

„Schlagen Sie ein, Herr Impach! Wir Künstler (hier ahmte ich seine Stimme nach) folgen im Leben stets dem ersten Impuls des Herzens; über die wichtigsten Schritte unseres Lebens entscheidet kaum ein Augenblick. Nicht so?“

Ernst lachte, und der Maler sagte zu.

Jetzt, wo ich mir die Worte, die ich sprach, wiederholen muß, meine Bewegung vor des Geistes Auge führe, erstaune ich über mich selbst – so sprach, so handelte ich, als wir zusammen waren, nicht. Ich schreibe Alles dem inneren Conflicte zu, von dem ich Dir in meinem vorigen Briefe sprach. Obgleich ich nicht im Traume daran denke, den Fürsten Arsent zu heirathen, oder, wie er es nennt, in den siebenten Himmel zu versetzen – er hat, wie es scheint, von Ernst die Erlaubniß erhalten, offen zu sprechen; ich hege hierüber auch keinen Zweifel mehr –, so thut es mir dennoch weh, daß meine Wünsche denen von Ernst so diametral entgegen sind. Wäre sein Candidat doch nur Werdau! –

Wenn ich mich so recht ernstlich frage, so meine ich doch, daß ich Den vielleicht ebensowenig nehmen würde. Aber warum

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