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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


den Freund und eine Gabe für den Hülflosen. Im schönsten Lichte steht hier seine „Marienstiftung“, ein zur Unterstützung der armen Spitzenklöpplerinnen des Erzgebirges veranstaltetes Unternehmen, deren Ertrag ein unerwartetes Resultat erzielte. Wie oft hat er sein „Weihnachtsbäumchen“ für jene Armen angezündet! Ihm wurde keine Anerkennung dafür als das Bewußtsein, eine gute That vollbracht zu haben, und eher setzte er sich der Undankbarkeit aus, als einem Bedürftigen gegenüber sich einer Unterlassung schuldig zu machen.

Nach neunzehnjähriger Thätigkeit, die er dem „Dorfbarbier“ gewidmet, welcher seit 1852 in Keil’s Verlag als „Illustrirter Dorfbarbier“ erschien und sich rasch einen Leserkreis von 22,000 Abonnenten errang, gab er 1864 ein Werkchen heraus, das gleichsam als Abschieds- und Erinnerungsbüchlein für die „Kundschaft“ des „Dorfbarbiers“ galt: „Der Frühling“. Das Buch hatte hauptsächlich den Zweck, den Frühling in seinen unterschiedlichen Wandlungen und zwar vom ersten Veilchen bis zur letzten Rose vorzuführen. Wie voll Gemüth sind darin die Capitel: „Erwachen des Frühlings“ – „Waidmannsheil“ – „Ein weinumranktes Fenster“ etc.! Einige Jahre früher hatte er die Freude, eine Gesammtausgabe seiner Werke erscheinen zu sehen, welche in verschiedenen Auflagen die weiteste Verbreitung unter den Deutschen aller Länder gefunden hat.

Mitte der fünfziger Jahre war Stolle nebst Frau und Kind nach Dresden übergesiedelt. Hier traf ihn vor einigen Jahren ein schwerer Schlag durch den Verlust seiner geliebten Gattin. Von jener Stunde an umflorte der Kummer seine Seele. Ihm fehlte die treue, sorgsame Hausfrau, denn zwei brave, in Allem übereinstimmende Eheleute gleichen zwei alten, in einander verwachsenen Bäumen, die sich gegenseitig vor Wind und Wetter schützen. Knickt der eine, hat auch der andere keine rechte Dauer mehr. Als die ersten Veilchen des Jahres 1872 sich zeigten, fing Stolle an zu kränkeln, und im August suchte er Trost in frischer Bergesluft. Gut situirt – denn er hielt das mit seiner Feder verdiente Geld redlich zusammen – fand er auf seinen Wunsch in der Heilstätte auf den Loschwitzer Höhen ein Asyl, das ihm allen Comfort gewährte.

Hier besuchte ich ihn zu Anfang des Septembers. Auf meinen Arm gestützt, schritt er mit mir hinaus in das helle Sonnenlicht. Wir ließen uns auf einer Bank im Blattgesäusel der alten ergrauten Ulmen, der ehrwürdigen Eichen nieder und lenkten noch einmal den Blick auf vergangene Zeiten, gedachten der alten werthen Freunde, die noch lebten oder eingegangen waren in ein schöneres Leben. Oben in lichter Himmelshöhe prüften die Staare ihren Flug, um baldigst nach dem Süden zu ziehen. Die Astern, die Blumen des Herbstes, blickten von den Beeten zu uns herüber; ich sah mit stiller Wehmuth in das bleiche Antlitz des alten Freundes und flüsterte mir zu: auch Dein Herbst ist gekommen. Als der Abend zu dämmern begann, als die letzten Strahlen der scheidenden Sonne noch einmal drüben über dem Elbstrom die Wipfel der Schiller-Linde im Garten zu Blasewitz rötheten, reichten wir uns die Hände. „Kurz ist der Abschied für die lange Freundschaft!“

Sieben Tage vor seinem Tode empfing ich noch ein Brieflein von seiner Hand; es waren die letzten Schriftzüge, die er gethan. Ich bin kein Autographensammler; aber zwei an mich gerichtete Briefe, welche seltsamer Weise die letztgeschriebenen zweier edeln Menschen sind, verwahre ich mit inniger Pietät. Der erstere stammt von Herloßsohn, der ihn aus dem Jacobshospital zu Leipzig vom 29. November 1849 schrieb. Er schließt mit den Worten: „Auch mein Himmel ist trübe, lieber Freund! ich kann keinen neuen Planeten entdecken. Ich glaube, es ist Schlafenszeit!“ Nach Verlauf einer trüben Decemberwoche trat der Genius mit der umgekehrten Fackel an sein Lager. Der zweite Brief, das letzte Lebenszeichen von Stolle, lautet am Schluß: „Ich wünsche Dir, lieber Drobisch, alles Glück zu Deinem Eintritt in die Redaction der ‚Dresdner Presse‘. Ein freisinniges Blatt thut uns in Sachsen Noth. Kämpfe muthig mit Deinen Collegen für das Bessere, ich kann’s nicht mehr!“

Er kämpfte bald den harten Kampf mit dem Tode. Seine reine, unbefleckte Seele schwang sich empor – uns blieb nur die Erinnerung an ihn, an einen Mann von stets heiterer Gemüthsstimmung, von regem Gefühl für Recht und Gerechtigkeit und einer über sein ganzes Wesen und über alle seine Handlungen sich verbreitenden Humanität. Bekannt war seine Gefälligkeit und Bereitwilligkeit, jede kleine häusliche Freude und Feier mit seinen Talenten zu unterstützen. Seine stets frischen und gesunden Gedichte reden die Sprache des Herzens. Besonders günstig waren ihm die Musen in seinen launigen Poesien wie in seinen volksthümlichen Schriften. Die in denselben enthaltenen scherzhaften Beziehungen und Anspielungen mögen nicht selten dem tiefsten Hypochonder ein Lächeln des Beifalls abgewonnen haben. Seine Stiftungen, dereinst von ihm zum Wohl der Armuth in’s Leben gerufen, werden noch lange in unserer Erinnerung fortleben, gleich wie seine Schriften, namentlich die „Palmen des Friedens“. Mag auch Manches, was er geschaffen, im Laufe der Zeit schwinden, bleiben wird das, was er dem Allgemeinen geweiht hat.

Dies als Gedenkstein auf das Grab des Todten, der, wenn er noch lebte, mit manchem Geistesverwandten der Worte Gutzkow’s im „Baum der Erkenntniß“ gedenken würde: „Ein Weiheaugenblick ist es, zu entdecken, daß unser Leben im Herzen eines Freundes gebucht wurde, und daß bei ihm Dinge, Handlungen und Aeußerungen verzeichnet bleiben, an die wir uns selbst im Drang des Weiterlebenmüssens kaum noch würden erinnert haben.“




Eine Soirée bei Andrassy.[1]


Oft werden unsere Leser in den Berichten der politischen Tagesblätter aus und über Oesterreich-Ungarn von einer „Politik am Ballplatze“ lesen, ebenso wie aus Berlin von einer „Politik der Wilhelmsstraße“. Diese Localisation der amtlichen politischen Vorgänge und Kundgebungen hat in den Wohnungen der betreffenden Lenker der auswärtigen Politik ihre Bedeutung. Wie in Berlin durch die Wilhelmsstraße, so ist in Wien durch den Ballplatz die auswärtige Politik Oesterreich-Ungarns bezeichnet und die Richtung, nach welcher der derzeitige Vertreter derselben, zugleich als Ministerpräsident für die beiden Reichshälften, Stellung genommen hat.

Wenige von den Weltausstellungsreisenden werden ihre Schritte nach dem Ballplatze lenken. Da lehnt sich an das in großem Stile erbaute Liechtenstein’sche Palais ein Gebäude an, stattlich mehr nach den Seitenfronten zu, die nach zwei vom Ballplatze ausmündenden Straßen gelegen sind, als gerade nach der Façade, die sich nur etwa mit sechs Fenstern Front nach dem Platze vorschiebt. Von diesem Gebäude aus, der früheren Reichs- und Staatskanzlei, das dem Fürsten Kaunitz von seiner dankbaren Souverainin Maria Theresia gebaut war, leitete der staatskluge Reichskanzler das deutsch-österreichische Staatsschiff durch die Stromklippen der Zeit; hier ersetzte ihn der schlaue, aber schwache Graf Cobenzl, der bald dem plebejischen, aber energischen und mit den Erfolgen der Rücksichtslosigkeit arbeitenden Minister Thugut weichen mußte, bis dann der schönste, glänzendste und schlaueste aller Diplomaten, der junge Wenzel Metternich vom Rheine, in die Säle einzog. An vierzig Jahre hielt er hier Salon und in den untern Räumen installirte er seine Gentz, Adam Müller und Pillat und wie sie alle hießen, diese Sumpfpflanzen der faulen Restaurationsperiode, die sich und den Fürsten in den Wahn einlullten, daß man mit Artikeln der Allgemeinen Zeitung der Zeit ihre geistige Richtung vorzeichnen könne und daß das moderne über die Geschicke der Völker entscheidende Fatum – die Polizei sei, bis dann der alte vornehme Herr, der Anbeter alles schönen Weiblichen, von einer Dame ausgemietet wurde, die nicht nach seinem Geschmack und der er nie

  1. Obwohl Schilderungen von Hof- und diplomatischen Festen nicht zu den Aufgaben der Gartenlaube gehören, so glauben wir doch, daß es unsern Lesern Vergnügen bereiten wird, an der Hand unseres geistvollen Mitarbeiters Georg Horn, dessen vortreffliche Kriegsberichte noch in gutem Andenken stehen, einmal ausnahmsweise durch die Säle einer Weltausstellung von Fürstlichkeiten und Diplomaten zu flaniren.
    D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 630. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_630.JPG&oldid=- (Version vom 4.4.2019)