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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


zum Zeichnen fange ich an zu unruhig zu werden. Habe ich das schöne Bild hingegen eine Zeitlang nachdenklich betrachtet, dann fühle ich mich wieder getröstet und kann hoffen, daß das Leben auch noch fröhliche Tage für mich birgt.

Ehe Ernst uns verläßt, beabsichtigt die Cousine ihn zu fragen, ob wir manchmal Herrn Impach (sie nennt ihn nur ihren Raphael) zu Tische laden dürfen. Sagt Ernst zu, so kann ich mich gefaßt machen, den jungen Maler täglich bei uns zu sehen, denn die gute Cousine hat die löbliche Gewohnheit, eine erhaltene Erlaubniß bis auf’s Letzte auszubeuten. Und ihren Bitten widersteht selbst ein starrköpfiger Künstler nicht.

Ich bin nicht glücklich, Amalie, weit davon. Gebe Gott, daß diesem Zustande bald ein erträglicherer folge!

Schreibe mir ein Trostwort!

Deine
Hedwig.     


14.

Gottfried! Es ist geschehen! Der Abgrund, dem ich offnen Auges zustürzte, hat sich aufgethan und mich verschlungen.

Theuer muß ich das Glück bezahlen, welches ich so kurze Zeit genoß, mit mehr als meinem Leben, denn, Gottfried, Ehre und Name gingen darauf. Unaufhörlich muß ich mir wiederholen, was ich verschuldet, um mein Unglück mit Manneskraft ertragen zu können. Allen Grundsätzen meines Lebens und Standes ungetreu, entwürdigte ich mich, indem ich mein ganzes Wesen in den Dienst einer Frau aus hohem Stande gab, die das Opfer meines Lebens, meiner Ehre nur mit einem gütigen Blicke vergelten kann. Und dann! Hand an mich selbst möchte ich legen, wenn ich daran denke. Zum Verräther an der Freundschaft, an einem liebevollen Bruder, wie Du es bist, hat mich die unselige Liebe gemacht, denn auch nicht der Gedanke kam in mir auf, die kurze Strecke zwischen Florenz und Rom zurückzulegen, um Dich in die Arme zu schließen – ich schauderte schon beim Gedanken, Hedwig auch nur auf einen Tag zu verlassen. Wohin mußte solcher Wahnsinn führen? Sicherlich zu nichts Gutem. Solch Strafgericht aber hatte ich nicht erwartet.

Höre und ermiß, auf welchen Pfaden Dein Freund sein Heil suchte und seinen Untergang fand.

Wir waren kaum hierher zurückgekehrt, als Herzog Ernst wieder abreiste, diesmal allein und mit dem Versprechen, in vierzehn Tagen wieder hier zu sein. Der alten Cousine hatte ich’s zu verdanken, wenn ich nun täglicher Gast im Waldemberg’schen Palais war, während die Zeichnungsstunden ruhig ihren Fortgang nahmen. Dazu kam noch, daß mich der Herzog gebeten, einen Tizian seiner Galerie zu copiren, den er, sobald er ihn durch eine Copie ersetzen könnte, in sein Arbeitszimmer zu hängen gedachte. Ich bat ihn, eine doppelte Copie fertigen zu dürfen, da ich selbst das schöne Bild in meinem Atelier zu haben wünschte. „Die ganze Galerie steht natürlich zu Ihrer Verfügung,“ lautete die liebenswürdige Erlaubniß.

Schon hatte ich meine Arbeit begonnen, als Werdau mich eines Tages einlud, mit ihm einen Ritt in den Park zu machen, da er einen großen Gefallen von mir zu erbitten habe. Es handelte sich um eine Copie der „Alten“ für seinen wunderlichen Onkel, dem er eingeredet, sich mit einer solchen zufrieden zu stellen.

„Daß Sie all Ihr Talent darauf verwenden werden, weiß ich im Voraus,“ war der Schluß seiner Rede, „wenn ich Ihnen sage, daß meine Zukunft, mein Lebensglück davon abhängt, daß sie dem Onkel genüge.“

Ich hätte gar zu gern Nein gesagt, ausgefüllte Zeit vorgeschützt, da fielen mir Unseligem die Worte Hedwig’s ein, als sie einst äußerte: „Wäre dem alten Herrn mit einer Copie gedient, die gönnte ich ihm von Herzen.“

Das Verlangen des Grafen beruhte für mich sozusagen auf einem Wunsche Hedwig’s. Wie nicht mit Freuden zusagen, da ich auch ihr damit einen Gefallen erwies?

Werdau drückte mir, als ich zugesagt, dankbar die Hand und fing an, von einem Preise zu sprechen, der dem Dienste, den ich ihm erwies, gleichkommen sollte. Ehe wir zu Hause anlangten und nachdem schon lange von anderen Dingen die Rede gewesen war, sprach er noch wie nebenhin:

„Nur müssen Sie mir Ihr Wort geben, von der ganzen Sache weder bei Waldemberg’s noch anderswo eine Silbe zu sprechen. Ich baue auf Ihr Ehrenwort, als wäre es das eines Edelmannes.“

Gottfried, mein Freund, hüte Dich, jemals von solchen Herausforderungen Dir die Sinne berücken zu lassen. Ich büße schwer an der ungeduldigen Kopfbewegung, mit der ich mein angezweifeltes Wort zusagte – ich, der Bürgerliche, dem Adligen! Die Copie geheim zu halten ward leicht, denn der Herzog war, wie ich schon sagte, abwesend. Hedwig durfte, wegen der kühlen Temperatur, nur höchst selten in die Galerie, und sonst betritt sie außer den Dienern Niemand.

Heute vor einem Monat lieferte ich meine Arbeit an Grafen Werdau ab, der sie selbst abholte, weil er behauptete, so das Geheimniß besser hüten zu können. Was muß der Herzog von mir denken, wenn er sich erinnert, wie ich ihn bei seiner Heimkehr mit der Aufmerksamkeit überraschte, das Tizian-Original schon an seinen Platz gehängt zu haben, während die Copie die Lücke in der Galerie ausfüllte! Zu schmerzhaft ist der Gedanke, ich kann nicht darauf verweilen, zöge er auch nicht die Seelenqualen nach sich, welche die Erinnerung an Hedwig hervorruft. Was bin ich in ihren Augen? Doch zur Katastrophe! denn eine solche schloß den seligen Traum Deines Freundes im Waldemberg’schen Palais.

Wir saßen, Hedwig und ich, im Wintergärtchen und zeichneten, das heißt wir ruhten eben aus vom Zeichnen, und genossen aus einer Schale getrocknete Südfrüchte, die sie mir jedesmal mit den feinen Fingerchen reichte, als ein Diener Hedwig zu ihrem Bruder in den Salon rief. Den Rosenmund verziehend, eilte sie dennoch davon. Schon nach wenigen Minuten ward ich gerufen und fand bei meinem Eintritt Hedwig im Gespräch mit einem durch seine hohe Gestalt, sowie durch blitzende Augen voll Geist und Verstand, imponirenden Herrn. Kein Wunder, daß er mich frappirt hatte – ich hörte bei der Vorstellung den längst bekannten Namen des Edelmanns, welcher der Horaz und der Mäcen der Dichtkunst und Malerei zugleich ist. Er ist Hedwig’s Taufpathe, und kehrte nach einer langen Reise im Orient erst jetzt wieder in die Heimath. Um ihn zu ehren, wurden sämmtliche Hausfreunde geladen, zu denen auch ich die Ehre hatte, zählen zu dürfen. Nach Tische begab sich die ganze Gesellschaft vom Wintergärtchen, wo man den Kaffee eingenommen und Hedwig’s Zeichnungen gepriesen, in die Galerie.

Der Kunstkenner hielt sich bei all’ seinen Lieblingsbildern von früher auf, und so ging es lange, ehe wir in den großen Saal traten. Werdau ging mit Hedwig abseits; mich trieb die Eifersucht zu ihnen – zudem ich jetzt aus Bescheidenheit zurücktreten mußte, da der Herzog meine Copie nach Tizian dem Besucher anpries. Sie mögen darüber discutirt haben, ob es nicht schade, das Original aus der Sammlung zu entfernen – ich weiß es nicht; denn ich weidete mich gerade an dem Anblicke, wie Hedwig die zudringlichen Schmeicheleien Werdau’s ablehnte und sich mir zuwandte, als mich der Ruf des Neuangekommenen aufschreckte.

„Ich betrachte jetzt Deinen Rembrandt schon fünf Minuten lang, und begreife nicht, Waldemberg, wo Du auch ihm eine passendere Stelle angewiesen haben magst!“

„Was willst Du damit sagen?“ frug rasch der Herzog. Dann sich dem Bilde nähernd, riefen Beide wie aus einem Munde:

„Bei Gott, eine Copie!“

Ich kam herzu, und erkannte – Gottfried, ermiß, wenn Du’s kannst, mein Entsetzen! – meine Copie. Wie, wenn vor meinen Blicken plötzlich die Welt versunken wäre, Hedwig mit ihr, so stand ich da. Ich fühlte, wie alles Blut zum Herzen zurücktrat, und konnte Nichts thun, als nach dem Bilde vor mir tasten, ob es Wirklichkeit – ob Wahn!

„Was halten Sie davon?“ frug aufgeregt der Herzog, jedoch ohne mich anzublicken. Daß Hedwig ihre Augen auf mich gerichtet, fühlte ich instinctiv.

„Es ist allerdings nicht – das – Original!“ stöhnte ich hervor, während der Angstschweiß auf meiner Stirne perlte.

Durch den auffallenden Ton meiner Stimme überrascht, kehrten sich beide hohe Männer, zu meiner Rechten und Linken, mit einer Bewegung um. Herzog Ernst’s Augen nahmen nach kurzem Erstaunen den Ausdruck tiefer Betrübniß an. Wisse,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 656. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_656.JPG&oldid=- (Version vom 7.1.2019)