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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

der Einsamkeit auf seinem Schlosse müde sei und ihn zurückrufe, um die letzten Tage eines alten Mannes zu erheitern. Als Arsent so weit gekommen, stand er auf, trat vor mich hin, und als ich erstaunt aufblickte, sprach er ernst:

„Bei Ihrer edeln, stets gleichgroßen Liebenswürdigkeit war nicht zu erkennen, ob Sie einem oder dem andern von Ihren Anbetern den Vorzug gaben; ich hege also gar keine und jede Hoffnung. Daß ich nur im Lichte Ihrer Augen lebe, wissen Sie längst –; darf ich also fragen, ob meinem alten Vater die frohe Kunde wird, daß bald Prinzessin Hedwig von Waldemberg die verlassenen Räume unseres Schlosses beseelt?“

Das war zu viel, Amalie, in diesem Augenblicke! Doch war’s vielleicht gut. Ich hatte den rechten Muth, zu antworten, den ich bei anderen Umständen aus Rücksicht für meinen Bruder vielleicht schwer gefunden hätte. Ich stand auf und sprach mit abgewandten Augen:

„Wer niemals ein Zeichen der Gunst erfuhr, sollte wissen, daß bei ihm das directe Anfragen ein thörichtes Verfahren ist. In diesem Falle wird es dem Fragenden und dem Antwortenden schwer, Worte zu finden. Wären Sie nicht zu so furchtbar ungelegener Stunde gekommen, ich würde sagen, daß mich zwar Ihr Antrag ehrt – daß aber –“

Jetzt trat Ernst ein; ich wollte entfliehen, blieb jedoch auf einen bittenden Blick des Bruders.

Eine Weile noch stand Arsent ganz verdutzt da, bis er durch eine Frage Ernst’s aus seinem Hinbrüten aufgestört wurde. Jetzt ward von gleichgültigen Dingen gesprochen, bis Arsent, der bei der vorgestrigen Scene nicht zugegen war, erzählte:

„Ach, fast hätte ich vergessen Ihnen zu sagen, daß ich heute Morgen Ihrem Maler, Herrn Impach, in einem Wagen begegnete. Mit ihm fuhren ein Wundarzt und zwei Herren, die ich jedoch nicht genau sehen konnte. Was mir besonders auffiel, war, daß Werdau’s Coupé dem Wagen dicht folgte und bei diesem auch wieder zwei Herren saßen. Sollte es sich um ein Duell handeln? Doch was könnten die beiden jungen Männer miteinander gehabt haben? Außerdem würde Werdau mich sicher zum Secundanten gebeten haben.“

Ernst wurde so nachdenklich, daß Arsent die erste gute Gelegenheit wahrnahm, um sich zu empfehlen.

Ein Duell, Amalie! Sprich, war mein Leidenskelch nicht voll genug, daß auch dieser Schreck noch kommen mußte? Doch schimmert aus der Nacht, die mich umgiebt, ein schwacher Hoffnungsstrahl. Wenn Werdau nicht wüßte, daß Walter unschuldig, würde er, welche auch die Ursache sei, mit ihm sich schlagen? Ein Dieb und Verbrecher ist nicht satisfactionsfähig, und dem arroganten Werdau gegenüber schon gar nicht.

Ich habe mich, Schwäche vorschützend, beim Diner entschuldigen lassen, und überlege mir nun in der Einsamkeit meine verzweifelte Lage.

Denke ich an Impach, so wie er stets mir erschien, so springe ich auf und möchte die Welt umarmen vor Freude, daß solch ein Herz mein eigen! Kaum freue ich mich, so eilt mein Geist zu anderen Scenen; der Park im Halbdunkel der Dämmerung, zwei Wahnsinnige, die sich gegenüberstehen – warum? Ein Aufleuchten, der Eine stürzt hin – erst die Bewegung, mit der ich mich auf ihn werfen will, weckt mich aus meinem Traume. Gott sei Dank! Es war nur ein Traum, und dennoch könnte es die Wahrheit sein! Ich muß die Augen schließen und kann das Ungeheure auch so nicht entfernen. Was soll ich thun? Amalie, ich kann nicht einmal weinen, kann durch nichts mich trösten lassen und sehne Dich herbei mit aller Gewalt meiner Seele.

Verzweifelte Auswege bieten sich mir da – es ist wohl die Einsamkeit und Stille der Nacht, die nichts unmöglich erscheinen läßt. Wie werde ich morgen darüber denken? Meine Lage ist freilich auch verzweifelt und paßt zu den Auswegen, ist ihrer ganz würdig.

Ich will von Impach’s eigenem Munde seine Rechtfertigung hören, denn mir gegenüber spricht er sie aus, wenn auch sonst keinem Menschen auf Erden. Doch wie ihn sehen? Ich könnte ihn rufen zur Stunde, wo Ernst sicher abwesend, doch würde Cousine Dorothea Alles erfahren – und Alles zerstören.

Ich frage nichts mehr nach den Vorschriften der Convenienz, weiß ich denn nur, ob die ganze Welt sich durch sie beherrschen läßt, oder ob wir allein es sind, wir, die Bevorzugten, die Unseligen?

Ich sende Fanny mit einer Botschaft an Herrn Impach, er solle morgen Mittag zur Seitenpforte in den Garten kommen, wo ich ihn erwarte.

Was wird er von mir denken? Schlechteres gewiß nicht, als ihm bisher mein rücksichtsloses Verfahren eingab, das mich blind machte für Alles, was um mich vorging. Und ich? Wie werde ich die qualvollen Stunden bis dahin zubringen? Wie oft wird’s mich gereuen, zu ihm gesandt zu haben?

Hätte ich Deinen Beistand, Du wüßtest wohl zu rathen und zu helfen – doch sag’, warum klärtest Du mir den Standpunkt nicht auf? Du mußtest aus meinen Briefen lange vorhersehen, was da kommen sollte! Du hättest mich warnen sollen!

Nimm meine Worte nicht ernst, Amalie. Ich habe nicht offen mit Dir geredet. Doch wie sollte ich Dir die brennende Ungeduld, mit der ich auf Walter harrte, erklären, da ich sie selbst nicht begriff? wie Dir von der namenlosen Trauer, den enthusiastischen Freuden sprechen, die mich selbst mit Entsetzen erfüllen? – Theure, wenn Du mir schreibst, heiße Alles gut, was ich gethan und thue! Bis dahin sind längst die Würfel gefallen und mein Loos besiegelt.

Hedwig.

(Fortsetzung folgt.)




Berliner Straßenbilder.[1]
I.


Was dem Petersburger die berühmte „Alexander-Newski-Perspective“, dem Venetianer der „Canale grande“, dem Bewohner von New-York der „Broadway“ – das sind dem Berliner seine Linden. Mit Stolz zeigt er dem Fremden die vierfache Reihe der schönen, leider hier und da absterbenden Bäume, die stattlichen Häuser, die prächtigen Paläste, die eleganten Hôtels, vor Allem aber das Denkmal Friedrich’s des Großen und die Standbilder der Helden aus dem Befreiungskriege. Es ist eine herrliche, imposante Straße, wie sie kaum eine zweite Stadt der Welt aufzuweisen hat, eine wahre via triumphalis, eine in Erz und Stein geschriebene Geschichte, zu der jede Zeit und jede Regierung ein unvergängliches Blatt hinzugefügt hat, ein historischer Bildersaal, reich an großen Erinnerungen und erschütternden Scenen. Vom „Lustgarten“ bis zum „Brandenburger Thor“, welche Fülle monumentaler Bauten! Durch diese Straße, die er selbst einst angelegt, ritt der große Kurfürst, nachdem er zuerst es gewagt, gegen Frankreichs Uebermacht, gegen Ludwig’s des Vierzehnten Weltherrschaft zu kämpfen. Verlassen von seinen Bundesgenossen, aufgegeben von dem deutschen Kaiser, an dem er mit unerschütterlicher Treue hing, sprach er damals die prophetischen Worte: exoriare aliquis nostris ex ossibus ultor (einst wird ein Rächer auferstehn aus unsern Gebeinen). Die von den Mörderbanden des allerchristlichsten Königs verfolgten französischen Reformirten empfing er mit offenen Armen und gewährte ihnen Schutz und Hülfe, ein Hort des Protestantismus, ein muthiger Vertheidiger der religiösen Freiheit. Dort steht das herrliche, von seinem prachtliebenden Nachfolger erbaute Zeughaus, mit den berühmten „Masken der sterbenden Krieger“ von der Meisterhand des unsterblichen Schlüter; daneben die Neue Wache mit den Marmorbildern des tapfern Bülow von

  1. Unter dieser Ueberschrift fassen wir eine Reihe bildlicher Darstellungen zusammen, in welchen wir die hervorragendsten Personen der verschiedensten menschlichen Lebensstellungen auf allen Feldern menschlichen Strebens, Wissens und Könnens als Portraitfiguren und zwar stets in einer das Berliner öffentliche Treiben möglichst charakterisirenden Umgebung unseren Lesern vorführen.
    D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 662. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_662.JPG&oldid=- (Version vom 7.1.2019)