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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


Errungenschaft betrachten, zu nicht geringem Stolze, und sie werden auch von jedem Fremden angestaunt.

Das Uebersiedeln der Seelöwen nach Woodward’s Garten hat große Mühe gekostet, indem dieselben an unzugänglichen Stellen an der Küste des stillen Oceans von Felsklippen mit Lassos eingefangen und auf eigens dazu ausgesandten Schiffen hierhergebracht werden mußten. Da es nicht thunlich war, Seewasserbassins in Woodward’s Garten anzulegen, so wurden die Thiere in Bassins untergebracht, die mit süßem Wasser angefüllt waren. Nur langsam gewöhnten sich die Seelöwen an das Süßwasser, wollten zuerst gar nicht fressen und mußten täglich gebunden und mit Gewalt vermittelst eines in ihren Schlund gesteckten großen Gummischlauches, durch welchen zerstampftes Fischfleisch gepreßt wurde, gefüttert werden. Der größte von ihnen, den man nicht zu bändigen vermochte, fraß während ganzer dreiundzwanzig Tage gar nichts, befindet sich aber jetzt im besten Wohlsein und entwickelt einen wahrhaft riesigen Appetit. Seit seiner Gefangenschaft hat sich sein Gewicht von siebenhundert auf fünfzehnhundert Pfund vermehrt. Gegenwärtig macht ein Seebär, der absolut nichts fressen will, den Wärtern große Sorge und muß, wuthschnaubend, jedesmal vor dem Gummischlauch-Diner gelassot und von einem halben Dutzend Männern gepackt werden, ehe er sich dazu versteht, sein Fischmahl zu vertilgen. Der alte Knabe ist das einzige Exemplar seiner Sorte in der Gefangenschaft und ist circa zweitausend Dollars werth. Wie es heißt, beabsichtigt Herr Woodward, nächstens einen Wallfisch, ein Wallroß und einen See-Elephanten einfangen zu lassen, welche den Seelöwen und dem Seebären in dem größten Bassin Gesellschaft leisten sollen.

Das mit einem Kostenaufwande von beinahe zwanzigtausend Dollars erbaute und erst vor einigen Monaten eröffnete Aquarium – bis jetzt das einzige seiner Art in Amerika – macht neuerdings den Seelöwen starke Concurrenz. Allerdings ist dasselbe an Größe und der Mannigfaltigkeit seiner Bewohner nicht z. B. mit dem Berliner Aquarium zu vergleichen, bietet aber doch eine Fülle von Sehenswürdigkeiten aus dem Reiche sowohl der Salz- als Süßwasserfische, von Haifischen und Forellen etc. bis zu Hummern, Seesternen und ähnlichem Gethier. Die vorne mit Glas geschlossenen Abtheilungen sind so eingerichtet, daß alles Licht durch das Wasser geht und den Inhalt der aus cementirten Felsen gebauten Behälter in allen ihren Theilen deutlich erkennen läßt. Die zur Respiration der Fische nöthige Luft wird von oben her durch nicht sichtbare Röhren in das Wasser gepreßt und versetzt dasselbe stellenweise in sozusagen „champagnerartige Bewegung“. Es ist ein capitales Vergnügen, im Halbdunkel der Grotte zwischen den Wasserbewohnern umherzuspazieren und das Thun und Treiben derselben in ihrem feuchten Elemente aus unmittelbarer Nähe beobachten zu können. Ueber dem Aquarium befindet sich eine photographische Galerie von mehreren Hundert der berühmten Ansichten von Naturscenerien an der pacifischen Küste von C. E. Watkins, welche bereits auf den Weltausstellungen in Paris und Wien auch in Europa bekannt geworden und von wunderbarer Schönheit sind.

Doch wir wollen unsere Schritte zu dem auf einem Hügel erbauten „großen Pavillon“ wenden, von wo das Gesumme einer in ihm versammelten Menschenmenge, hinter uns durch das Gebrüll der Seelöwen unterbrochen, und rauschende Musikklänge erschallen. Uns hindurch drängend zwischen unseren an zahlreichen Tischen Bier vertilgenden Landsleuten erreichen wir den Pavillon. Man stelle sich ein Holzgebäude vor, beinahe von den Dimensionen des Circus Renz in Hamburg, aber mit bedeutend größerem unterem Bodenraume, von dem glatt parquettirten Fußboden bis zum offenen Dachfirst etwa achtzig Fuß hoch, mit aufsteigenden Reihen von Bänken umgeben, behängt mit den Bannern aller Unionsstaaten und die Bänke voll von einer oft mehr als sechstausend Köpfe zählenden jubelnden und lachenden Volksmenge, und man hat einen guten Begriff von diesem kolossalen Circus. Tausendkünstler aller Art, vom unverfälschten Congoneger, der geschmolzenes Blei trinkt und auf rothglühenden Eisenstangen umherspaziert, vom einbeinigen Tänzer bis zum Schwertverschlucker und japanesischen Hercules, Zauberer, Possenreißer, Schauspieler, Bauchredner, Seiltänzer etc. produciren dort ihre Künste. Mitunter werden die Bretter des Fußbodens mit Sand beschüttet, um einer Kunstreitergesellschaft Gelegenheit zu geben, hier ihre Saltomortales und Pferdequadrillen etc. aufzuführen. Herr Woodward engagirt alles Neue und Lächerliche, und das Publicum hat den Spaß umsonst, das heißt Alles für die zwei Bit Entrée. Wenn die Schaustellung, welche[WS 1] jeden Sonnabend und Sonntag Nachmittag und mitunter auch an anderen Tagen stattfindet, vorbei ist, verwandelt sich das Parquet in eine Rollschlittschuhbahn. Da sich in Californien bekanntlich kein Eis zum Schlittschuhlaufen bildet, so sind solche Rollschlittschuhbahnen, welche man an dieser Küste fast in jedem Städtchen findet, dafür ein höchst erwünschter Ersatz, und es ist zum Verwundern, mit welcher Geschicklichkeit die Rollschlittschuhläufer und -Läuferinnen oft die verschlungensten Figuren auf dem glatten Holzboden executiren. Die Rollschlittschuhbahn im großen Pavillon in Woodward’s Garten ist ohne Frage die größte in der Welt, und als Tanzboden läßt dieselbe an Größe gewiß nichts zu wünschen übrig.

Den schönsten Anblick gewährt der große Pavillon, wenn die hiesige „Allgemeine deutsche Unterstützungsgesellschaft“ dort, wie üblich, ihr Maifest hält. Diese Gesellschaft, deren Zweck bereits ihr Name erklärt, besteht, wie ich hier einschalten will, gegenwärtig aus zweitausendzweihundertzweiundneunzig Mitgliedern. Für eine nur einmal zu entrichtende Aufnahmegebühr von zwei Dollars und einen Monatsbeitrag von einem Dollar ist jedem Mitgliede der Gesellschaft in Krankheitsfällen das ihr gehörende hiesige deutsche Hospital unentgeltlich geöffnet, oder derselbe kann einen Arzt umsonst in der Stadt consultiren und die nöthigen Medicamente frei aus der Hospitalapotheke erhalten. Unbemittelten deutschen Einwanderern steht die Gesellschaft mit Rath und That bei; auch macht sie sich namentlich zur Aufgabe, Arbeitsuchenden Stellen und Verdienst zu verschaffen. An Arme werden ungefähr tausend Dollars per Monat als Unterstützung ausgezahlt. Im Hospital finden außer nicht zahlenden Mitgliedern und Armen auch zahlende Kranke Aufnahme; die Einrichtung und Verwaltung desselben ist vorzüglich. Finanziell befindet sich die Allgemeine deutsche Unterstützungsgesellschaft von San Francisco in einer glänzenden Lage und besitzt, inclusive des Hospitals, ein Vermögen von circa einer Viertelmillion Dollars.

Die Maifeste der „Allgemeinen deutschen Unterstützungsgesellschaft“ in Woodward’s Garten sind stets von beinahe der ganzen hiesigen deutschen Bevölkerung besucht; der Reinertrag in diesem Jahre zum Beispiel betrug nicht weniger als viertausendeinundzwanzig Dollars und ein Cent Gold. Bei diesen Festen, welche zwei Tage dauern, betheiligen sich auch die Turn- und Gesangsvereine, und es herrscht alsdann in Woodward’s Garten das deutsche Element fast allein. Im Pavillon wird die Festrede gehalten und ebendaselbst wird das unvermeidliche Festgedicht gesprochen. Am Abend verwandelt sich das Gebäude in einen riesigen Tanzsaal, während an den mit freiwilligen Gaben reich ausgestatteten Lotterieständen die Börsen der Besucher zum Besten nothleidender Landsleute unter gutmüthigen Scherzen wunderbar schnell ihres Inhaltes an Kleingeld entleert werden und Jeder eine Gelegenheit sucht, auch sein Scherflein zum Besten der Armen hergeben zu dürfen. Zahnstocher, Blumensträuße und ähnliche Dinge werden mitunter beim Banket wieder und wieder versteigert und bringen Preise bis fünf Dollars das Stück. Am Abende des diesjährigen Maifestes bot der große Pavillon ein überraschend schönes Bild. Auf ein gegebenes Zeichen erloschen plötzlich alle Gaslichter, und vom Boden erhob sich aus einem improvisirten mit Schilfblättern und Blumen eingefaßten Bassin inmitten des riesigen Gebäudes eine mächtige, bis zum Dachfirst emporsteigende und in allen Farben des Regenbogens spielende Fontaine, deren eigenthümliche Beleuchtung durch ein intensives, von oben her durch gefärbte Gläser auf den Wasserstrahl herabgesandtes Licht hervorgebracht wurde. Während die prachtvolle, farbenschillernde Fontaine wohl eine halbe Stunde im Dunkel aufbrauste, sich senkte und hob, kreisten tanzende Paare im dichten Gedränge zu den heimischen Klängen des „Blaue-Donauwalzers“ im Dämmerlichte um dieselbe herum – ein Anblick, der, von einer der hohen Galerien herab betrachtet, wie ein Märchenbild erschien.

Schließlich noch einige Bemerkungen über die Entstehung und Verwaltung dieses californischen Vergnügungs- und Kunstgartens. Herr Woodward hat sein Etablissement vor circa acht Jahren klein angefangen und unter großen Schwierigkeiten nach

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: welchen
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 666. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_666.JPG&oldid=- (Version vom 7.1.2019)