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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


des Waldes sind, die Amseln und Drosseln, die alljährlich auf die Weise zu Hunderttausenden vernichtet werden. Eine tröstliche Erscheinung ist dabei, daß trotz dieses fortwährenden Vernichtungskrieges der Wald dennoch nicht vereinsamt, sondern daß noch immer zahllose Sänger die grünen Hallen bevölkern und mit ihren Liedern erfüllen und daß eine merkliche Abnahme in Folge der Dohnenstiege nicht wahrzunehmen ist.

Die Ausbeute unserer Wanderung durch den Dohnenstieg bestand vorzugsweise in Drosselarten. Die Rast im Harze, auf ihrem Zuge nach Süden, mag ihre Zahl alljährlich wohl um fünfzigtausend Stück verringern. Demungeachtet erreichen den Süden noch ungeheure Massen, die freilich dort noch in ungleich höherem Grade als hier gelichtet werden, da die Einwohner die von dem weiten Fluge ermüdeten und kraftlos niederfallenden Thierchen zu Tausenden erschlagen. Die schmackhaftesten sind die Zippen und Weindrosseln. Die allgemeine Bezeichnung Krammetsvögel ist ihnen geworden von der Vorliebe der meisten Arten für Wachholderbeeren, die in mehreren Gegenden Krammetsbeeren genannt werden.

Unser Fang war übrigens kein reichlicher; so schöne, sonnige Tage sind dem Krammetsvogelfange nicht günstig. „Graue, nebelschwere Tage müssen es sein,“ belehrte uns unser Begleiter, „indeß ist dies Wetter um so günstiger für die Leimruthen; ich werde sie holen und gleich jetzt stellen.“ Er ging.

Herschelmann war uns gefolgt, seine Herde zog langsam unter uns an dem grünen Wiesenrande der Bode hin; wir hörten den wunderbar zum Herzen dringenden Klang ihrer Glocken leise und träumerisch durch den Wald herüberklingen. Der alte Hirt war wieder zuthunlicher geworden, seit er gesehen, daß wir im besten Einvernehmen mit seinem Freunde, dem Vogelsteller, standen und nichts Böses gegen denselben und seine Jagdlust im Sinne hatten. Er wiederholte uns nun, ohne daß wir ihn mit Kaisererinnerungen unterbrachen, daß Heinrich der Vogelsteller, oder Onkel Heinrich, oder auch der Neuntödter, wie man ihn nannte, was den Vogelfang betraf, weitum seines Gleichen nicht hatte, und alle Vogelsteller der jüngeren Generation sich bei ihm Raths erholten und ihn als ihren Lehrer und Meister betrachteten. Er hatte der Jagd, dem Fischfange, dem Vogelstellen von Jugend auf mit Leidenschaft nachgehangen, nicht zu seinem Vortheile, wie schon das Sprüchwort es andeutet, aber die Fertigkeit, die er sich darin erworben, und der Ruhm, den er davongetragen, tröstete ihn über manches Mißgeschick. Die Namen „Vogelfalk“, „Neuntödter“, „Würgangel“, „Fischotter“, den die Jüngeren ihm beilegten, hörte er ohne Mißfallen und Kränkung, ja, nicht ohne einen gewissen Stolz.

Jetzt kam er zurück, voll beladen mit Geräth aller Art; eine Partie kleiner Vogelkäfige auf der Schulter, ein Bündel Ruthen unter dem Arme, eine Axt und einen Leimtopf in der einen, eine dicke, hohe Stange in der anderen Hand.

Am Fuße der Treseburg erstreckt sich ein kleines Ackerfeld den Abhang nieder, dem kleinen und doch so anziehenden Dörfchen zu; ein schmaler Streifen Gebüsch zieht sich vom Walde aus durch das Feld, und dies Gebüsch hatte der Neuntödter sich zur Fangstätte ausersehen. Fußlange Ruthen von der Stärke eines Bleistiftes befestigte er mit großer Geschicklichkeit an den Büschen, indem er gleich starke Zweiglein derselben abschnitt und eine Hülse eines ausgehöhlten Fliederzweiges darüberschob, in deren vorderer Höhlung er die Ruthen einzwängte. Eben solche Ruthen befestigte er an der Stange, dem Vogelbaume, wie er sie nannte, indem er sie neben dem Gebüsch aufrichtete und in die Erde rammte; sie war zum Fange derjenigen Vögel bestimmt, welche nicht gern auf niedere Büsche fliegen. Die Ruthen an dem Gebüsch ragten ein wenig daraus hervor, unmerklich, aber doch so, daß, wenn sich Vögel auf diesen Büschen niederlassen wollten, sie unwillkürlich diese Ruthen wählen mußten. Die Ruthen waren mit Vogelleim überzogen, einer zähen, klebrigen Masse, die aus Leinöl mit einem Zusatze von Colophonium, Pech, dickem Terpentin oder dergleichen gekocht wird und deren Zubereitung für schwierig gilt; ein guter Leim ist ein Haupterforderniß beim Vogelfange, und einzelne Vogelsteller erfreuen sich in dieser Kunst eines ganz besonderen Rufes bei allen ihren Genossen.

Nachdem die Leimruthen gesteckt waren, brachte der Vogelsteller die mitgebrachten Käfige unter dem Buschwerk an. Diese Käfige enthielten die Lockvögel von den verschiedensten Arten, Finken, Zeisige, Stieglitze etc. Dieselben ließen alsbald ihre Stimmen ertönen, ihre im Walde zerstreuten Stammgenossen herbeizurufen. Onkel Heinrich zog uns derweil auf den moosigen Rain am Waldrande nieder, wo wir den Erfolg der Vorkehrungen abwarteten. Wir wollten uns schweigsam und versteckt halten, aber er hielt das für unnöthig. „Wir können immerhin ein wenig plaudern, das scheucht die Vögel nicht hinweg; sie sind an Menschennähe und Menschenstimmen gewöhnt. Nur nicht zu laut und nicht zu viel Bewegung. Es möchte auch langweilig werden, solltet Ihr hier sitzen ohne Frage und Rede. Mir freilich ist’s nie langweilig gewesen. Habe immer meine Gedanken zur Gesellschaft bei mir gehabt; die haben mir denn allerlei vorgeplaudert aus meinem eigenen Leben, aus meiner Jugendzeit und dann auch wieder aus alten, lange verschwundenen Tagen, aus Tagen, die nicht mehr sind. Seht, das ist gar eine hübsche Unterhaltung, während man sitzt und den Zug erwartet. Doch jetzt paßt auf, es sind Zeisige im Anzuge.“

Wir sahen nichts, wir hörten nichts, weder Zeisige noch andere Vögel.

„Und dennoch sind sie nahe,“ versicherte Onkel Heinrich. „Hört Ihr nicht, daß mein Zeisig im Bauer dort eben anfängt, frischer, lauter und kräftiger zu locken? Seine Genossen sind nicht fern. Hört doch! schon melden sie sich.“

Und in der That drangen aus dem Geflüster des welken Laubes einige zirpende Laute hervor, ganz einzeln, halblaut, zaghaft, fast wie eine schüchterne Frage. Alsbald schien den Zeisig im Käfige ein neuer Geist zu beseelen, seine Stimme erhob sich heller und freudiger; die einzelnen Töne schienen eine freundliche Antwort auf die schüchternen Fragen zu geben; die Fragen wurden lauter, länger, zusammenhängender; sie bildeten sich zum Gespräch, das in traulichster Weise von dem Gefangenen im Käfige unter dem gelben Laube erwidert wurde. Aber gewiß erzählte er nichts von seinem engen Käfige, nichts von der Art, wie er selbst einst gefangen worden, sonst wäre wohl nicht erst ein Zeisig, dann ein zweiter, ein dritter aus dem Walde heran und ihm näher geflattert. Ein Hüpfen von Baum zu Baum, von Busch zu Busch bis zu der gefährlichen Hecke, und dann von Zweig zu Zweig, den verführerischen Lauten immer näher, bis zu den verrätherischen Ruthen, die sofort ihre Füße heimtückisch mit dem klebrigen Leime festhielten; dann war es allerdings mit dem Hüpfen vorbei; ein kurzes Flattern, ein vergeblicher Versuch, sich loszureißen, dann folgte meist eine stille Ergebung in das traurige Schicksal.

Dies Schicksal war indeß keinerlei Warnung für die Zahl der übrigen Vögel, die inzwischen, den Lockvögeln ihrer Gattung folgend, sich genähert hatten. Das Flattern der Gefangenen veranlaßte sie nicht, wie man annehmen müßte, zur Flucht, sondern zog sie vielmehr noch näher heran. Bemerkten sie die unglückliche Lage der Gefangenen nicht, oder trieb sie Neugier oder Theilnahme, genug, sie kamen zahlreicher und hastiger herbeigeflattert und gaben sich noch unvorsichtiger auf den verhängnißvollen Leim, der ihnen ein gleiches trauriges Loos bereitete. Immer noch mehrte sich der Zuzug, nächst den Zeisigen eine Anzahl der winzigen Goldhähnchen mit ihren purpurnen Diademen, Goldammern und Rothkehlchen, Finken aller Art, auch der seltenere Dompfaff, alle wurden allmählich aus dem Walde herausgelockt; sie folgten alle dem verführerischen Zwitschern und Zirpen und Schlagen, und viele von ihnen wanderten auf die Ruthen und dann in die Hand des Neuntödters, der einen Theil in den Käfig wandern ließ, die übrigen aber schonungslos tödtete.

Wie neu uns auch das Alles war, doch baten wir ihn bald: „O, lasset genug sein des grausamen Spiels!“ Und der Alte willfahrte uns gern, aber nur um uns eine andere schwierigere, aber auch interessantere von seinen Künsten vorzuführen.

„Das Stellen ‚auf den Busch‘ ist keine Kunst; das kann ein Jeder, der gute Lockvögel hat und guten Leim zu kochen versteht. Ich denke, das haben hier vor Jahrhunderten die alten Burgknappen auch schon gekonnt. Aber auf der Eulenbucht fangen, das ist ein ander Stück.“

Der Fang in der Eulenbucht ist allerdings wesentlich verschieden von dem eben beschriebenen. Mitten im Walde wird ein wo möglich etwas isolirt stehender Baum seiner unteren Zweige beraubt, und an Stelle derselben werden Leimruthen angebracht. Die abgehauenen Zweige werden unten am Stamme schräg gegen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 685. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_685.JPG&oldid=- (Version vom 7.1.2019)