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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

Heinrich der Vogelsteller.
Harzer Herbstskizze.
(Schluß.)


„Aber ich will auch Häher und Spechte haben,“ sagte der Alte, und alsbald mischten sich in die Monotonie des Eulenrufes andere Vogelstimmen, die der Alte täuschend nachzuahmen wußte und die abermals manch Vöglein auf den Leim führten; nur die Spechte hielten sich fern, und doch hatte sich unser Führer darauf gesteift, uns gerade durch das prachtvolle Gefieder der Bunt- und Grünspechte zu ergötzen. Aber diese schienen nicht Lust zu haben, dem Locke zu folgen. Waren sie früher schon einmal in Gefahr gerathen oder war der Lock doch nicht verführerisch genug, es strichen vier bis fünf Spechte mehrmals über den Baum hinweg, ohne sich zu setzen. Der Alte wurde eifrig; er begann eine neue Verführungsmethode; er gab ein Duett zum Besten, den Zank einer Eule mit einem Specht darstellend. Erst Eulenruf, dann einfaches Spechtgeschrei mit kleinen Pausen, dann auf einmal ein mehr gellender Eulenschrei, aber gleichzeitig auch ein wilderer, rascherer Aufschrei des Spechtes, als hätte Eins dem Andern ein Leid gethan; nun unablässig der Schrei des Spechtes und der Eule durcheinander, bald lauter, triumphirender von der einen und matter, klagender von der andern Seite, bald umgekehrt, als hätte der Kampf eine andere Wendung genommen. Es war eine wirklich kunstvoll durchgeführte Darstellung eines mit wechselndem Glück geführten Kampfes. Ueberraschend war auch die Wirkung nach außen; die fünf Spechte hemmten den Flug; sie ließen sich auf den benachbarten Bäumen nieder, augenscheinlich den Stimmen mit großer Spannung lauschend. Jetzt auf einmal schien die Eule im Vortheil zu sein. Ihr Pfeifen klang siegreich; die Stimme des Spechtes wurde ein klägliches, langgezogenes Gekrächz wie ein verzweifelter Hülferuf. Mit einem Male erhoben sich auch die Spechte und flatterten einige Zweige näher zur Bucht; aber ebenso rasch, fast ängstlich, flatterten sie auch wieder zurück, als hätten sie die Lust, nicht aber den Muth, dem bedrängten Gefährten zu helfen.

Die List des alten Vogelstellers war vergebens gewesen. Er änderte nun seine Methode. Das Kriegsglück schien sich in der Bucht zu wenden, der Specht allmählich die Ueberhand zu gewinnen und seinen spitzen Schnabel in den Körper des Gegners zu bohren, denn auf einmal war das Pfeifen der Eule ein so schmerzliches, das Geschrei des Spechtes aber ein so lautes, keckes, hochmüthiges, daß man deutlich hier den Sieg, dort die Niederlage daraus erkannte; und die letztere ward immer vollständiger, denn das Pfeifen wurde schmerzlicher, schwächer, hinsterbend und das Triumphgeschrei des Spechtes immer heller, sicherer. Was der Hülferuf vorher nicht bewirkt hatte, das geschah jetzt. Am Kampfe theilzunehmen war weniger verlockend als theilzunehmen am Siege. Rasch und entschlossen senkte sich ein prächtiger Buntspecht auf die Bucht nieder, auf eine der Leimruten nahe über der Eulenbucht. Er war gefangen, und das wäre auch wohl schon jetzt das Schicksal der übrigen gewesen; aber es tönten auf einmal Schritte und Stimmen durch den Wald. Drei Wanderer kamen gegangen, den Weg nach dem Hexentanzplatze zu erfragen, und der Fang war für einen Augenblick unterbrochen.

Dennoch war auch diese Unterbrechung nicht uninteressant, denn sie gab dem Onkel Heinrich Gelegenheit, den drei Wanderern einen Einblick in seine Kunst zu geben. Das gereichte ihm immer zur Befriedigung, hier aber um so mehr, als er später erfuhr, daß es zwei junge deutsche Fürstensöhne mit ihrem Gouverneur gewesen seien, die hier an seiner Eulenbucht gestanden und ihre Hüte mit seinen Goldhähnchen geschmückt hatten.

Nachdem sie ihren Weg fortgesetzt hatten, drang der unersättliche Vogelfänger entschieden auf Wiederbeginn des Fanges. Der lange Widerstand der Spechte hatte ihn gereizt; er wollte seinen Willen, er wollte mehr Spechte haben. Wir mußten uns fügen. Es war übrigens ein trefflicher Helfershelfer für ihn gewonnen: das war der gefangene Specht; der ward nun mit in die Bucht genommen und durch leichte Schläge an den Schnabel gereizt, seine Gefährten aus dem Walde herbeizurufen, wie der Alte es vorher selbst gethan hatte. Der Erfolg war ein erwünschter; innerhalb weniger Minuten saßen einige Spechte nebst mehreren Hähern auf dem Leime, und der Neuntödter war befriedigt; wir waren’s nicht minder, denn wie interessant und spannend auch einige Momente des Fanges sind, auf die Dauer mischt sich doch etwas Ermüdendes hinein, und es gehört die Passion des echten Vogelstellers dazu, tagelang dabei auszuharren.

Die Ausbeute, welche der Fang auf dem Busche und auf der Eulenbucht gegeben hatte, belief sich auf etwa hundert Vögel. Der Alte suchte einige der besten Singvögel heraus, die übrigen wurden für die Küche bestimmt. Von besonderm Werthe waren für ihn von dem ganzen Fange nur einige Finken und Dompfaffen; die Finken sind überhaupt die Lieblinge der Harzer Vogelsteller; sie finden jede Eigenthümlichkeit im Gesange, jede besondere Modulation heraus und haben dafür besondere Benennungen. Der Weida und der Vaxirr sind die am meisten geschätzten; sie haben diese Namen von den eigenthümlichen Gesangswendungen erhalten, mit denen sie ihre Läufe schließen und die sie auch in der Mitte des Gesanges häufig anbringen und wiederholen; beide haben eine Menge Unterabtheilungen, der Feinweida, der Reitervaxirr, der Spatzirr etc. Der Harzer Vogelsteller kennt in seiner Nachbarschaft die Stimmen der einzelnen Finken genau, und wenn er einen recht guten Weida oder Reitervaxirr ausgekundschaftet hat, so gelten alle seine Bemühungen und Fangvorrichtungen oft nur diesem; er ruht nicht, bis er ihn aus der Luft hernieder auf seinen Leim gelockt hat. Gute Finken werden auch theuer bezahlt, noch theurer die Dompfaffen, eine Finkenart, welche im Freien nicht zu singen pflegt, in der Gefangenschaft aber durch ausdauernde Bemühungen dahin gebracht wird, Melodien beliebter Lieder zu pfeifen. Ein solcher Dompfaff wird oft mit Louisd’ors bezahlt, während Singvögel wie Zeisige, Stieglitze und Finken geringeren Schlages für wenige Groschen, ja für einige Pfennige zu haben sind. Diejenigen Schläger freilich, die sich zu Lockvögeln eignen, giebt der Vogelsteller nur ungern weg.

Außer den beschriebenen Arten des Vogelfanges ist noch die auf dem Vogelherde zu erwähnen, die lohnendste und früher deshalb die gebräuchlichste. Jetzt wird sie nur ausnahmsweise gestattet und ist im Harze sehr selten geworden. Nur im Oberharze existiren noch einige Vogelherde.

Der Vogelherd ist ein dauernd zum Vogelfang bestimmter Platz im Walde oder doch am Waldrande, in einer Größe von zwanzig bis dreißig Fuß sorgfältig geebnet und von Strauchwerk und Büschen gereinigt. Seitwärts dieses Platzes werden unter dort angebrachten dichten Zweigen Vogelbauer mit Lockvögeln angebracht, der Platz selbst aber wird mit Sämereien aller Art, die den Vögeln als Leckerbissen gelten, mit Hanfsamen, Leinsamen, Rübsaat und dergleichen, reich bestreut und ebenso reich mit verführerischen schwarzen und rothen Beeren ausgestattet.

Auf beiden Seiten des Herdes ist ein die ganze Länge einfassendes Netz aufgerichtet, welches durch einen Zug mit einer Schnur gleichzeitig so zum Zuklappen gebracht wird, daß es den ganzen Herd bedeckt. Nahe dem Herde, durch Wald verdeckt, steht eine aus Zweigen oder Borke aufgeführte unscheinbare Hütte mit einer Oeffnung zum Ausschauen nach dem Herde und einer zweiten, durch welche die Schnur von den Netzen aus so gezogen ist, daß der Vogelsteller sie bequem zur Hand hat und sie in jedem Augenblicke, der ihm passend erscheint, anziehen und dadurch das Netz zum Zuschlagen bringen kann. Hier steht er nun regungslos und harrt des günstigen Augenblickes.

Die Lockvögel sind in Thätigkeit; die im Walde zerstreuten Vögel ziehen heran und füllen bereits die nahen Bäume, die zum Theil der Zweige beraubt sind, damit diese nicht den Vögeln hinderlich sind, nach dem unten für sie hergerichteten Speisesaale zu schauen. Um sie aber sicherer zu machen und damit der Platz nicht verdächtig erscheine, sind auf ihm noch einige Verführer, Läufer genannt, placirt, das sind Vögel, die, durch einen dünnen langen Faden festgehalten, allerdings nicht davonfliegen, aber doch sich hinreichend auf dem freien Platze bewegen können; sie spazieren scheinbar in voller Freiheit umher und lassen die reichlich verstreuten Körner sich vortrefflich schmecken.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 696. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_696.JPG&oldid=- (Version vom 7.1.2019)