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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

Mechaniker der alten Welt wohl größtentheils von der neuen Arbeitsmaschine nur durch Mittheilungen der polytechnischen Journale Kenntniß erhalten, und ein nicht immer ungerechtfertigtes Mißtrauen gegen amerikanische Marktschreiereien könnte sie leicht von eigenen Versuchen abgehalten haben. Jetzt, nachdem viele Tausende die Maschine in Thätigkeit gesehen, oder wenigstens die in vielen Probestücken ausgestellten Leistungen derselben bewundert haben, dürfte der neue Bundesgenosse des Grabstichels und der Feile mit ziemlicher Schnelligkeit in unsere Werkstätten einziehen und bald für jeden Arbeitszweig zu der wünschenswerthen Vollkommenheit gebracht werden. Die Gesammtheit aber wird den Vorteil haben, zahlreiche Arbeiten in Glas, Stein und Metall nicht nur billiger, sondern auch in größerer Vollendung geliefert zu erhalten, als bisher.

Carus Sterne.





Künstler und Fürstenkind.
Von August Lienhardt.
(Schluß.)


Amalie, Vergebung! Du hättest seine leuchtenden Augen sehen sollen, den Schritt, mit dem er auf mich zukam, meine Schulter faßte, und mir fest in’s Auge sah! Er, nicht ich sprach Deinen Namen; dann fiel er auf den Divan zurück, sein Antlitz gegen die Wand kehrend. Ich habe es nicht gewußt, daß er Dich in aller Stille, schon jahrelang anbetet, sonst hätte Nichts mich vom Sprechen abgehalten. Amalie, ich muß doch ein recht gutes Herz haben; denn ich freute mich kindisch über des Bruders, über Dein Glück. Erst nach geraumer Weile kam mir der precäre, verwickelte Zustand meiner eigenen Angelegenheiten wieder in den Sinn. Ernst war weich gestimmt. Ich mußte also das Eisen schmieden, so lange es heiß.

„Gäbe es einen zweiten Ernst, Bruder, ich hätte ihn vielleicht meinem Walter vorgezogen, denn ich will mich gar nicht für lebensmüde oder aller Herrlichkeiten satt ausgeben. Amalie hatte es besser als ich; bei ihr wählte das Herz, und der Verstand wird mit der Herzenswahl sehr zufrieden sein – aber sprich, Ernst, wärest Du damit einverstanden, wenn Amalie, schienst Du ihr in weniger glänzenden Farben, Deiner nicht geachtet hätte? Was bei Amalie eine Tugend, warum soll es bei mir ein Verbrechen sein?“

„Hedwig, Du quälst mich unsäglich! Ich bin ja nur auf Dein Wohl bedacht, und denke in der Sache wenig an unsere Familie, gar nicht an mich. Wäre ich in Amaliens Fall der Glückliche –“ hier hob er das Haupt; Du hättest eine Welt gegeben, ihn so zu sehen – „wäre ich der Glückliche, dem sie trotz Mangel an Stand, Namen und Reichthum ihre Liebe schenkte, ich würde freilich anders sprechen, doch als ihr Bruder könnte ich auch ihr in Ehren nichts Anderes rathen, als was ich Dir jetzt ernstlich wiederhole: Laß ab, laß ab von Deinem wahnsinnigen Begehren!“

Ich fing an, Hoffnung zu schöpfen, wenn auch nur schwache. Ja, wärst Du dagewesen!

„Bruder, sprich nicht so!“ begann ich wieder. „Ich liebe Walter mit so heiligem Ernste, daß mir Deine Stimme unsympathisch erklingen könnte, spräche sie stets nur gegen den Erwählten meines Herzens. Ernst! Beim Namen unserer seligen Mutter, die ich kaum kannte, beschwöre ich Dich, mache die arme Waise glücklich!“

„Mit Unrecht mahnst Du mich an unsere Mutter, Hedwig. Ich sehe sie, wie sie, ihre letzten Kräfte zusammenraffend, Dich in meine Arme legte und sprach: ‚Hüte mein Kindlein vor allen Gefahren der Welt – mache, daß der Leidenschaften rauhe Stürme niemals über dieses blonde Köpfchen hinbrausen – schütze sie lieber vor zu großem Glücke, als daß das Unglück, welches dieses meistens im Gefolge führt, ihr Aug’ mit Thränen netzte!‘ So sprach Deine Mutter, in der Todesstunde, eine Ahnung des heutigen Tages hegend. Du hörst aus ihren Worten, wie sie in diesem Falle entschieden hätte.“

„O nein! wenn sie Walter gekannt – –!“

„Und Hedwig, wenn ich als Vormund der Schwester zu solch’ unerhörtem Bunde die Hand biete, was wird die Welt dazu sagen, sie, die wir einmal zu unserer Sittenrichterin ernannt? Wird sie mich nicht dem untreuen Verwalter im neuen Testament vergleichen?“

„Ernst, wenn ich Unrecht that, Dich an die Mutter zu mahnen, so thatest Du’s noch mehr, mir den Vormund in’s Gedächtniß zurückzurufen. Hast Du vergessen, welches Alter ich erreicht, und daß in sechs Monaten Deine Verantwortlichkeit von dieser Seite aufhört? O Gott! daß ich gezwungen bin, solche Argumente zu gebrauchen! Wenn Walter zu mir spricht: ‚Kein Mensch kann etwas dawider haben, wenn Du des Bruders Haus für das des freierwählten Gatten vertauscht!‘ wie soll ich ihm nicht folgen? Hast Du bedacht, Ernst, daß diese mich ganz beherrschende Liebe mich Pflicht, schwesterliche Gefühle, Alles vergessen heißen kann? Was wäre Amalie nicht im Stande für Dich zu thun! Doch bei Euch Zweien tritt kein Bruder hinzu und heißt Euch scheiden.“

Du siehst, ich wurde bitter, und wenn ich auch meine Worte, nachdem ich sie kaum ausgesprochen, bereute, ich rief sie dennoch nicht zurück, denn ich fühlte, daß meine Sache gerecht, daß schon ihr zu Nutzen Alles gesagt sein mußte.

„Dein Geist hat sich in einem Labyrinthe von Leidenschaften verirrt. Du bist nicht mehr Hedwig, meine ruhige, verständige Hedwig,“ nahm Ernst das Wort.

„Nein, das bin ich nicht mehr. Ist es denn ein so großes Verdienst, wie eine Blume in ihrem Topf, ohne Leidenschaft, Alles gleichgültig betrachtend, dahinzuleben? Ich fühle, daß ich ganz Hedwig bin, nur kommen Gefühle bei mir zur Geltung, die bis hieher schlummerten. Eine neue Phase meines Lebens brach an; ich bin nicht mehr Hedwig von Waldemberg – jede Faser an mir ist Hedwig Impach geworden, deren ich mich nicht zu schämen brauche. Bruder, Du mißbrauchst Deine Gewalt, mich unglücklich zu machen, und ich möchte mich nicht von Dir lossagen, nicht meine Unabhängigkeit um den Preis Deiner Liebe erkaufen.“

Ich mag ein Bild der verzehrendsten Leidenschaft gewesen sein, denn Ernst sah starr auf mich, seiner Trauer, seinem Erstaunen ein wenig Bewunderung beimischend. Wo ich den Muth hernahm, so zu sprechen – ich weiß es nicht. Ernst mag doch geglaubt haben, daß Gefühle, welche solche Worte eingeben, keine flüchtig aufflackernden, schnell erlöschenden sind.

Meine beiden Hände ergreifend, sprach er gepreßt: „Gott weiß, welche Schmerzen Du mir heute verursacht! Warum mußtest Du mich in demselben Augenblicke durch die Mittheilung eines lang verborgenen Geheimnisses zum Glücklichsten aller Sterblichen machen? Schau, Hedwig, ich kann Dich nicht unglücklich sehen, kann Dir aber auch nicht erlauben, Dein jetziges Glück mit der Ruhe Deines ganzen Lebens zu erkaufen. Nur, wenn Deine Gefühle durch die Zeit erprobt, kann von Deinem künftigen Glücke die Rede sein. So warte in Gottes Namen ein Jahr – sprichst Du dann noch wie heute, so soll das Unerhörte geschehen, und Hedwig aus dem Fürstenhaus in’s Künstleratelier schreiten.“

„Ernst, mein Bruder! Vor einem Jahre, glaubst Du, schrecke ich zurück? Du kennst mich nicht, noch meinen Walter. Doch da Du diese Probe forderst, so gehe ich sie mit Freuden ein.“

„Wohlverstanden, Du siehst weder den Künstler, noch darf ein Briefwechsel irgend welcher Art zwischen Euch stattfinden. Er wird verreisen, und Du einstweilen mir helfen, ein Heim für Amalien bereiten.“

Was ich, da ich um mein Glück mit ihm rang, nicht that, ich habe es aus Dank gethan, habe vor Ernst gekniet. Gott sei mir gnädig! Ich fasse mein Glück nicht, und muß mich fragen, ob ich träume oder wache.

Heute Morgen, nachdem er Walter empfangen, reist Ernst mit ihm ab, diesmal er der Brautwerber; er bringt Dir diesen Brief und stellt Dir meinen Walter vor.

Grüß’ ihn noch einmal! Auf seliges Wiedersehen, geliebte, theure Amalie – Schwägerin!

Deine Hedwig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 702. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_702.JPG&oldid=- (Version vom 7.1.2019)